Von den Germanen bis zur Gegenwart
Napoleon Bonaparte war der zweifelhafte Gründungsvater: Die Vorgängereinrichtung des Landesmuseums Mainz, die Städtische Gemäldesammlung, geht zurück auf eine Schenkung von 36 Gemälden durch den Feldherrn im Jahr 1803, der die Werke von seinen Kunstkommissaren an verschiedenen Orten hatte beschlagnahmen lassen. Als Zusammenschluss von Altertumsmuseum und Gemäldegalerie seit 1937 im ehemaligen kurfürstlichen Marstall untergebracht, gehört das Landesmuseum Mainz damit trotz seiner eigentümlichen Gründungsgeschichte zu den ältesten Museen Deutschlands. Spätestens seit 2007 stehen im Inneren des Hauses in Nachbarschaft zum Römisch-Germanischen Zentralmuseum allerdings alle Zeichen auf Moderne: Im Zuge einer grundlegenden Sanierung wird nun nach neuesten internationalen Museumsstandards eingerichtet, und die Ausstellungsbereiche erhalten mit vielerlei Medien auch eine zeitgemäße didaktische Ausstattung. Farbig gestaltete Räume, Inszenierungen, Touchscreens, Lebensbilder, Hör- und sogar Riechstationen sowie zahlreiche Objekte, die zum Anfassen und Mitmachen auffordern, versprechen einen spannenden und erlebnisreichen Museumsbesuch.
Von den Anfängen der Kultur bis zur Kunst der Gegenwart erstrecken sich die bedeutenden kunst- und kulturgeschichtlichen Sammlungen des Museums. Während in der archäologischen Abteilung die Vorgeschichte mit einer Darstellung der prähistorischen Kulturen im Mainzer Raum und in Rheinhessen einen Bogen von mehreren zehntausend Jahren spannt, präsentiert die römische Sammlung die Anfänge der Mainzer Stadtgeschichte. Denn welch große Bedeutung Mainz als Hauptstadt der Provinz Obergermanien erlangt hatte, zeigt sich nicht zuletzt in der großen Zahl überlieferter Ausrüstungsgegenstände des römischen Heeres. Dabei ebenfalls einzigartig an Fülle und Qualität in einem europäischen Museum nördlich der Alpen: die Sammlung von Steindenkmälern. Vor den Augen des Besuchers steht schließlich auch das frühe Mittelalter bis zu den Ottonen und Staufern wieder auf – durch reiche Funde aus dem 6. und 7. Jahrhundert, Hinterlassenschaften des fränkischen Reiches.
Ausschließlich Exponate, die aus Mainz und der näheren Umgebung stammen, zeigt dann die Sammlung mittelalterlicher Skulpturen und Tafelgemälde, die eng mit der Geschichte des Hauses verknüpft ist. Die Renaissance-Abteilung dagegen kann auf Napoleons Gemälde-Schenkung zurückgreifen, ebenso wie auf Werke aus aufgelöstem Kirchenbesitz.
Das Herzstück des Museums ist die Sammlung niederländischer Malerei des 17. Jahrhunderts, deren Grundstock in Vermächtnissen Mainzer Bürger des 19. Jahrhunderts liegt und die ein eindruckvolles Panorama der Malerschulen Hollands und Flanderns „im goldenen Zeitalter“ offenbart. Aber auch Skulpturen, Möbel und Porzellane finden sich aus der Barockzeit im Museum, wobei Spitzenwerke Höchster Porzellans besonders herausstechen. Und wiederum Schenkungen aus bürgerlichen Familien haben die Gemäldesammlung glanzvoll erweitert: In Porträts, Landschaften, Genre- und Historienbildern überblickt man die Zeit von der Romantik bis zum Historismus.
Auch die reiche Jugendstil-Kollektion des Landesmuseums Mainz weist weit über die Region hinaus! Mit Namen wie Gallé und Tiffany zählt die Glassammlung dieser Zeit zu den bedeutendsten Sammlungen Deutschlands. Und Werke großer deutscher Impressionisten sowie der berühmte kubistische „Frauenkopf“ von Pablo Picasso bilden den Auftakt zur Sammlung der Moderne, ein Parcours durch die Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts bis hin zu Arbeiten zeitgenössischer Künstler. Die Judaica-Abteilung schließlich verfügt neben bedeutenden Grabsteinen ab dem 11. Jahrhundert vor allem über Kultgegenstände des 18. und 19. Jahrhunderts, die Mainz als eines der bedeutendsten Zentren der Schum-Gemeinden seit dem Mittelalter widerspiegeln. In fast allen Sammlungsbereichen werden überdies Zeugnisse der Mainzer Stadtgeschichte bewahrt. So sind die Abteilungen Judaica und Stadtgeschichte in den chronologischen Rundgang integriert, während die umfangreiche Graphische Sammlung den Abschluss desselben bildet. Mit ca. 45.000 Blättern ist sie die größte des Landes Rheinland-Pfalz und umfasst Zeichnungen und Druckgraphiken von der Dürerzeit bis zur Gegenwart. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Zeichnung des 19. Jahrhunderts, dort besonders auf der deutschen Romantik.
Nun wird ein Monumentalgemälde ans Licht geholt: Zu den Gemälden des 19. Jahrhunderts im Mainzer Landesmuseum zählen neben Arbeiten regionaler Künstler auch Werke der Düsseldorfer und Münchner Schule. Eines der bedeutendsten Gemälde der Münchner Landschaftsmalerei konnte wegen seiner enormen Ausmaße bisher keinen Platz in den Schausammlungen des Museums finden und schlummert nun schon seit Jahrzehnten im Depot: Ludwig Willroiders Monumentalgemälde „Nach der Sintflut … und die Wasser verliefen sich“. Das 1902 entstandene Bild, eines der Hauptwerke des aus Villach stammenden Malers, wurde 1904 von der Stadt Mainz direkt aus dem Münchner Atelier des Künstlers für die Städtische Gemäldegalerie angekauft. Schon der Ankaufspreis – die für die damalige Zeit immense Summe von 8.000 Mark – spricht für die Wertschätzung, die man dem Künstler entgegenbrachte. Die gewaltigen Dimensionen des Bildes (3,53 x 5,20 m) stellten allerdings spätere Museumsdirektoren vor große Probleme. Denn war das Riesenbild bis zum Krieg im Mainzer kurfürstlichen Schloss untergebracht, konnte es später nur noch gerollt im Depot des Museums aufbewahrt werden.
Im Œuvre Ludwig Willroiders existierten insgesamt vier großformatige Gemälde mit biblischem Inhalt, darunter „Gang nach Emmaus“ und „Dies irae“. Beide Bilder zählen, ebenso wie sein Hauptwerk, die 1888 entstandene „Sintflut“, zu den Kriegsverlusten. Daher ist das einzige noch erhaltene Kolossalgemälde dieser Reihe das hier vorgestellte Bild „Nach der Sintflut … und die Wasser verliefen sich“. 1995 gelang es, vorübergehend das Gemälde zu entrollen und die durch unsachgemäße Lagerung vor und nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Schäden in Augenschein zu nehmen.
Durch das Aufrollen auf eine im Durchmesser zu klein bemessene Holzröhre war die Malschicht stark gestaucht worden. Zudem hatten das Einwirken von Wasser und eine darauf folgende Schimmelbildung erhebliche Schäden in der Malschicht und im Firnisbereich hervorgerufen. Als erste präventive Maßnahme wurden daher die Oberfläche gereinigt und gelöste Farbpartikel gefestigt. Danach erfolgte das Aufrollen auf eine wesentlich dickere Rolle aus säurefreiem Museumskarton.
Mit den 2010 abgeschlossenen Umbaumaßnahmen und einer für 2011 geplanten Ausstellung zum Thema „Wasser“ bietet sich nun die Gelegenheit, Willroiders bedeutendes Gemälde nicht länger dem Publikum vorzuenthalten. Vor einer erstmaligen Präsentation müsste jedoch eine umfangreiche Konservierung und Restaurierung durchgeführt werden. Um die störenden Laufspuren auf der Gemäldeoberfläche und im Firnis zu reduzieren und um dem Betrachter wieder ein ästhetisches und einheitlich lesbares Bild präsentieren zu können, müsste zunächst eine umfangreiche Festigung der losen Malschichtpartien vorgenommen werden. Die nächste zeitaufwendige Arbeit bedeutet das Kitten und die Retusche der zahlreichen Fehlstellen. Ein abschließender neuer Firnisauftrag würde der Malschicht wieder Tiefenlicht verleihen und der Betrachter hätte die Möglichkeit, die großartige Landschaftsimpression wieder ungetrübt wahrzunehmen. Eine logistische Herausforderung stellt schließlich die Anfertigung des Keilrahmens sowie das Aufspannen des Gemäldes dar.