Vielseitig

Das von ästhetischer Reduktion, flächigem, kontrastreichem Farbauftrag und Anklängen außereuropäischer Kunst bestimmte Gemälde „Atelierszene“ markiert einen Höhepunkt im expressionistischen Schaffen Erich Heckels (1883–1970). Zugleich hält es eine der legendären Aktsitzungen der Dresdner Künstlergruppe „Die Brücke“ fest, in der sich vier weibliche Modelle zwischen grünem Paravent und gelbem Vorhang im häufig frequentierten Wohnatelier Ernst Ludwig Kirchners tummeln.

Erich Heckel, Atelierszene, 1910/11, verso: Steine, 1939, 70 x 48 cm; Albertinum / SKD; © Nachlass Erich Heckel, Hemmenhofen 2017, Foto: Elke Estel / Hans-Peter Klut
Erich Heckel, Atelierszene, 1910/11, verso: Steine, 1939, 70 x 48 cm; Albertinum / SKD; © Nachlass Erich Heckel, Hemmenhofen 2017, Foto: Elke Estel / Hans-Peter Klut

Unter den Nationalsozialisten mit einem Ausstellungsverbot belegt und als „entartet“ diffamiert, war Erich Heckel der Möglichkeit beraubt, seine avantgardistischen Leitgedanken weiterzuverfolgen. Um dennoch malen zu können, passte sich der Maler in seiner künstlerischen Praxis an: Er entwickelte einen zurückhaltenden Stil, der sich vom Expressiven der „Brücke“-Zeit klar unterschied. So arbeitete Heckel auch noch unter verschärften politischen Bedingungen und sogar während des Krieges. 1939 spannte er die bereits bemalte Leinwand der „Atelierszene“ um, überstrich die nun rückseitigen Aktdarstellungen und malte auf die neu entstandene Vorderseite das in matter, reduzierter Farbpalette gehaltene Gemälde „Steine“. Nach dem Tod des Künstlers gelangte das für diese spätere Werkperiode typische Stillleben aus dem Nachlass Heckels als Leihgabe nach Schloss Gottorf in Schleswig. Der damalige Direktor ließ 1986 die rückseitige „Atelierszene“ freilegen und die Leinwand erneut umspannen, sodass Heckels getilgtes Gemälde wieder zur Bildvorderseite avancierte.

In dieser Form befindet sich das wiederentdeckte Werk „Atelierszene“ seit 2009 als Dauerleihgabe im Albertinum / Galerie Neue Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Aus dem Nachlass Erich Heckels konnte das sächsische Museum das Werk mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Ernst von Siemens Kunststiftung, des Ostdeutschen Sparkassenstiftung und der Ostsächsischen Sparkasse Dresden erwerben. Die Sammlung, die 1937 ebenfalls von der Beschlagnahmungsaktion der Nationalsozialisten betroffen war und dabei u. a. ihre einzigen beiden Heckel-Gemälde verlor, kann durch den Ankauf des Werkes diese schmerzliche Lücke schließen. Neben der Strahlkraft der „Atelierszene“ begründet auch der auf eine Leinwand gebannte Kontrast zwischen expressionistischer Vorderseite und zurückgenommener Rückseite die Bedeutung des Gemäldes, welche im nun vorliegenden Patrimonia-Band ausführlich und kenntnisreich beleuchtet wird.