Schlossbergung, Republikflucht, Kunst gegen Devisen
Provenienzforschung ist werkbezogene Kontextforschung. Interessant sind der Entstehungszusammenhang eines Werkes, seine meist mehrstufigen Erwerbungs- und möglichen Entziehungskontexte, aber auch die Bedingungen seiner historischen und aktuellen Präsentation. Deren Untersuchung erfordert differenzierte Fragestellungen und Methoden; sie ist eingebunden in je eigene Rechtskontexte. Das gilt auch für die Zeit der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und die der DDR, also für die Zeit zwischen 1945/49 und 1990.
Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschlagnahmten die Trophäenbrigaden der Roten Armee in den Bergungsdepots der SBZ all jene Bestände, die als Kompensation für die eigenen Kriegsverluste an Kulturgütern geeignet erschienen; diese Werke waren damit Teil der sowjetischen Reparationsforderungen. Die Anzahl der Stücke, die 1945/46 nach Moskau, Leningrad und Kiew abtransportiert wurden, war siebenstellig. Nach einem Jahrzehnt der völligen Tabuisierung kehrten 1955 die Gemälde der Dresdner Galerie zurück, 1958 folgten dann weitere erhebliche Konvolute von Kunstwerken. Doch nach wie vor fehlen den Museen nicht nur der ehemaligen DDR zahlreiche Stücke, von denen sich manche noch in russischen oder ukrainischen Museen befinden, andere in Privatsammlungen. An deren Identifizierung mitzuwirken, ist eine Aufgabe für die Provenienzforschung ostdeutscher Museen. Zu diesen sensiblen Fragen gibt es seit Jahren Konsultationen mit der Russischen Föderation und anderen Nachfolgestaaten der UdSSR, insbesondere mit der Ukraine. Abschließende Lösungen sind zwar noch nicht in Sicht, doch existieren mit dem Deutsch-Russischen Museumsdialog und der Deutsch-Ukrainischen Kommission für Kulturgüterrückführung erprobte institutionelle Rahmenbedingungen, um miteinander im Gespräch zu bleiben. So konzentriert sich der 2005 in Berlin auf Initiative der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der Kulturstiftung der Länder und über 80 deutschen Museen gegründete Deutsch-Russische Museumsdialog (DRMD) bei seiner Arbeit auf die Aufklärung der kriegsbedingten Verlagerungen von Kunst- und Kulturgütern beider Seiten sowie den wissenschaftlichen Austausch (vgl. Arsprototo 4/2014). Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden haben im Rahmen des DRMD die Bestände der Gemäldegalerie, der Skulpturensammlung sowie des Kupferstich-Kabinetts untersucht, und sie sind seit deren Gründung Mitglied der deutsch-ukrainischen Kommission.
Erst seit einigen Jahren ist übrigens bekannt geworden, dass die Problematik dieser Kriegsverluste auch westdeutsche Institutionen betrifft. Ausführlich publiziert ist der Fall des Aachener Suermondt-Ludwig-Museums. Dortige Bestände waren – aus heutiger Sicht wenig strategisch – noch im Februar 1941 und Oktober 1942 in Bergungsdepots auf die Albrechtsburg Meißen verlagert worden, wo größere Teile davon den Trophäenbrigaden der Roten Armee in die Hände fielen.
Ende 1945 waren alle Museen von Bedeutung zwischen Magdeburg und Frankfurt/Oder, sofern sie baulich und institutionell überhaupt noch existierten, weitgehend leergeräumt – und in der Logik der damaligen historischen Situation war nicht damit zu rechnen, diese Bestände jemals wiederzuerlangen. Zu den Ambivalenzen in der Kulturpolitik der sowjetischen Besatzungsmacht gehörte, dass gleichzeitig der Befehl erging, die Museen so schnell wie möglich wieder zu eröffnen. Parallel dazu war in der SBZ seit September 1945 die sogenannte Bodenreform angelaufen, in der nicht nur tausende Güter und Schlösser entschädigungslos enteignet wurden, sondern in der sogenannten Schlossbergung auch deren mobile Ausstattung: Kunstsammlungen, Archive, Bibliotheken, aber auch Wohnungsausstattungen ohne Kunstwert und sonstige persönliche Habe. Aus gegenwärtiger Perspektive erscheint der Begriff „Schlossbergung“ in einer merkwürdigen Ambivalenz, doch war er von den damals an der Bergung beteiligten Museumsleuten offenbar nicht so zynisch gemeint, wie er uns heute anmutet.
Gesetzliche Grundlage war die am 11. September 1945 erlassene „Bodenreformverordnung“, die auf alle Güter mit mehr als 100 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche zielte; ferner auf das Eigentum von Kriegsverbrechern und aktiven Nazis und von Mitgliedern der Reichs- und Landesregierungen. Tatsächlich wurde die Bodenreformverordnung darüber hinaus aber auch als Instrument der Repression gegen politisch Missliebige eingesetzt und war flankiert von brutalen Verfolgungsmaßnahmen gegen adlige Familien, unabhängig von deren politischer Haltung im „Dritten Reich“.
Die Museen versuchten, ihre Lücken mit Werken aus ehemaligem Adelsbesitz zu füllen
Zuständig für die „Verwertung“ der enteigneten Sachwerte in Sachsen, dem wegen seiner hohen Güterdichte von der Schlossbergung wohl am stärksten betroffenen Gebiet der SBZ, war die Landesbodenkommission (LBK), die vom Innenminister geleitet wurde, der ein von der Besatzungsmacht ausgewählter und geschulter kommunistischer Kader war. Das Interesse der LBK richtete sich primär auf eine kommerzielle Nutzung, nicht auf die Sicherung von wertvollen Stücken für die Museen. So wurde – ausgerechnet im Albertinum an der Brühlschen Terrasse, dem einzigen Museumsgebäude Dresdens, das den Krieg halbwegs unbeschadet überstanden hatte – von der LBK eine Verkaufsstelle für Schlossbergungsbestände eingerichtet. Für die Jahre 1948 –50 ist ein penibel geführtes Verkaufsbuch erhalten geblieben. Es listet neben dubiosen, bereits während der NS-Zeit aktiven Kunsthändlern, neben Parteien und Behörden, auch eine Reihe honoriger Dresdner Bürger als Käufer auf: etwa von Gemälden, Graphiken, Möbeln, Schmuck, Taschenuhren, Münzen und Geschirr.
Auch die Museen versuchten, ihre Lücken mit Werken aus ehemaligem Adelsbesitz zu füllen, deren exzeptionellste den Dresdner Wissenschaftlern natürlich bekannt waren. Es entwickelten sich langjährige heftige Konflikte mit der LBK. Zunächst ging dieser Konflikt häufig zu Ungunsten der Museen aus. Erst ab Ende der 1940er Jahre änderte sich das sukzessive; die volle Verantwortung für die Schlossbergungsbestände – soweit diese noch nicht anderweitig „verwertet“ waren – ging in Sachsen schließlich erst nach der Auflösung der LBK im Juli 1952 an die Museen über.
Mit dieser Verantwortung wurde dann ganz unterschiedlich umgegangen: In einigen Museen inventarisierte man die als museumswürdig kategorisierten Stücke gleich, in anderen fand erst später eine Nachinventarisierung statt. In der Dresdner Gemäldegalerie wurden in den 1950er Jahren zwei Sonderinventare angelegt: das S-Inventar („S“ von Schlossbergung) und das Mo-Inventar („Mo“ von Schloss Moritzburg bei Dresden, einem der beiden Großdepots für Gemälde und Möbel aus der Schlossbergung). In diese bis heute genutzten Sonderinventare fanden rund 6.000 Gemälde Aufnahme, von denen seit 1994 die meisten an die damaligen Bodenreformopfer bzw. deren Erben zurückgegeben werden konnten. Es geht beim Thema Schlossbergung also um hohe Stückzahlen, so dass der Bearbeitung und gegebenenfalls Restitution dieser Bestände im Gesamtspektrum der Provenienzforschung in den ostdeutschen Museen auch quantitativ eine herausragende Bedeutung zukommt.
Rechtliche Grundlage für den Umgang mit Schlossbergungsfällen ist das „Gesetz über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage“ von 1994, kurz auch „Ausgleichsleistungsgesetz“ oder EALG genannt. Danach gilt, dass in der Bodenreform enteignete Immobilien nicht physisch restituiert werden; hingegen regelt § 5, dass enteignete Mobilien zurückzugeben sind, soweit sie sich in öffentlichem Besitz befinden. Dies betrifft vor allem Stücke in Museen. Auch wenn das Gesetz – etwa wegen seiner kulturpolitischen Folgen für öffentliche Sammlungen – nicht ohne Kritik geblieben ist, wurde doch immerhin ein verwaltungsrechtlich abgesicherter Verfahrensweg etabliert, der sich bewährt hat, sowohl aus Museumssicht als auch aus Sicht der Anspruchsberechtigten. Bei zuständigen „Ämtern zur Regelung offener Vermögensfragen“ auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene waren und sind die Restitutionsverfahren anhängig, deren Entscheidungen gerichtlich nachprüfbar sind. Die Museen agieren, wie die Alteigentümer oder deren Erben, als Verfahrensbeteiligte; sie stellen also weder Erbberechtigungen fest noch fällen sie Restitutionsentscheidungen. Doch verkennen auch die Museen nicht ein dem EALG inhärentes Problem: das der seinerzeit recht knapp bemessenen Fristsetzung für die Anmeldung von Ansprüchen. Allerdings sind für Sachsen nur sehr wenige Einzelfälle bekannt, in denen keine fristgerechten Anträge gestellt worden sind.
Die Ansprüche des Hauses Wettin – eines der größten und kompliziertesten Verfahren des EALG
Auch der Umgang mit Ansprüchen der bis 1918 regierenden Fürstenhäuser fällt in den „neuen“ Bundesländern in den Geltungsbereich des EALG. In Sachsen wählte die Staatsregierung den Weg von direkten Verhandlungen mit dem Haus Wettin, das seine umfangreichen, aus den Schlossbergungen resultierenden Ansprüche fristgerecht geltend gemacht hatte. Es dürfte sich um eines der größten und kompliziertesten Verfahren dieser Art gehandelt haben, das im Wege des Vergleichs inzwischen zu einem einvernehmlichen Abschluss gekommen ist. In einen anderen historischen und juristischen Kontext gehören offene Vermögensfragen mit Bezug auf den Zeitraum 1949 –1990. Diese liegen nicht im Geltungsbereich des EALG, sondern des „Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen“, das die Volkskammer der DDR noch im September 1990 verabschiedet hatte. Es behandelt nicht nur offene Vermögensfragen aus der Zeit der DDR, sondern auch die Wiedergutmachung von Schäden aus NS-Verfolgung, soweit diese in der DDR unterblieben war.
Offene Vermögensfragen der Zeit von 1949 –1990 werden bisweilen pauschal als aus „DDR-Unrecht“ resultierend bezeichnet. Das ist sicherlich zu undifferenziert, da es sich dabei um ganz unterschiedliche Entziehungskontexte handelt: solche, die selbst nach DDR-Recht staatliche Willkürakte darstellten; solche, die nach DDR-Recht legal, nach heutigem Verständnis aber grob rechtsstaatswidrig waren; und schließlich auch solche, die sowohl nach DDR-Recht als auch nach heutigen rechtsstaatlichen Maßstäben nicht zu beanstanden sind. Letzteres kann etwa Teilaspekte von Steuerstrafverfahren gegen Sammler und/oder Händler in der DDR betreffen, bei denen auch heute bundesdeutsche Finanzämter oder -gerichte eine Steuerschuld feststellen würden – und dies von Fall zu Fall auch tun.
Damit soll freilich nicht der grundsätzlich rechtsstaatswidrige Charakter des spätestens seit den frühen 1970er Jahren in der DDR etablierten Verfahrens der Enteignung von Sammlern und/oder Händlern durch konstruierte Steuerstrafverfahren in Zweifel gezogen werden. Denn deren Ziel war die systematische Beschaffung von Kunstwerken aus DDR-Privathand zum Verkauf gegen Devisen. Exemplarisch für diese Opfergruppe des DDR-Unrechts steht der Dresdner Sammler und Händler Helmuth Meißner. Im März 1982 fand bei ihm eine durch massiven Einsatz von Inoffiziellen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit vorbereitete Haussuchung statt. Der Sammler selbst war zuvor zwangsweise in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen worden, wo er ohne jede medizinische Indikation ein dreiviertel Jahr festgehalten wurde; auch sein behandelnder Psychiater war IM. Währenddessen wurden Wohnung, Geschäft und Lager komplett geräumt; die vom „VEB Antikhandel Pirna“ aufgestellte Schätzliste umfasste rund 5.000 Positionen. Der Direktorin der Dresdner Staatlichen Porzellansammlung gelang es, einen seltenen Meißner Porzellankrug aus der Meißner-Sammlung zum national wertvollen Kulturgut der DDR erklären zu lassen, für ihr Museum zu reklamieren und damit dessen Verkauf ins westliche Ausland zu verhindern. Dabei „half“ ihr Ehemann, Direktor des Dresdner Grünen Gewölbes, Mitglied der Kulturgutschutzkommission der DDR – und ebenfalls IM. Der bei weitem größere Teil der Sammlung Meißner jedoch ging über das Mühlenbecker Lager der Kunst & Antiquitäten GmbH (K&A) in den Verkauf Richtung Westen und ist deshalb bis heute einer Restitution entzogen – selbst wenn man weiß, wo sich einzelne Werke heute befinden.
An diesem Fall lässt sich das ambivalente Agieren von Museumsdirektoren und -konservatoren in der DDR sinnfällig erläutern. Viele von ihnen wirkten als Gutachter und Schätzer in Strafverfahren sowie bei Fällen von „Republikflucht“ und legaler Ausreise mit. Dabei hatten sie auch die Interessen ihres Museums im Blick. In Einzelfällen dachte mancher wohl auch – das soll nicht verschwiegen werden – an seine private Sammlung. Doch sind dies nach derzeitigem Forschungsstand Einzelfälle.
Bei aller Ambivalenz ist zu konstatieren, dass durch diese spezielle Form der „Musealisierung“ Kunstwerke in öffentlicher Hand blieben, die sonst auf dem westlichen Kunstmarkt verschwunden und damit heute für die Opfer der Enteignungen nicht mehr greifbar wären. Erst der Verbleib in Museen auf dem Boden der ehemaligen DDR macht solche Stücke heute zum Gegenstand von Restitutionsverfahren nach dem „Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen“. So auch bei dem erwähnten Deckelkrug aus Meißner Porzellan: Er wurde 2005 an den Sohn von Helmuth Meißner restituiert, dann durch das Entgegenkommen des Erben für die Porzellansammlung erworben und ist heute – mit einem Ausstellungshinweis auf Sammler und Erwerbungskontext – im Dresdner Zwinger zu sehen.
Vor jeder Beurteilung des Agierens von DDR-Museumsmitarbeitern ist also genau zu prüfen, wie und mit welcher Motivation sie damals handelten. Die Museen und ihre Mitarbeiter waren in keinem der hier erörterten Entziehungskontexte Urheber der Enteignungen. Aber sie waren als Hinweisgeber und Gutachter Teil des etablierten Systems von Kunstgutentziehungen, und mitunter waren sie nicht nur Handlanger, sondern auch Profiteure.
Die Hauptakteure dieses politisch zentral gesteuerten Entzugs gehörten dem Bereich „Kommerzielle Koordinierung“ beim Ministerium für Außenhandel der DDR an bzw. der diesem attachierten, Anfang 1973 gegründeten K&A, die speziell für den Verkauf von Kunstwerken und anderen Kulturgütern gegen Devisen eingerichtet worden war. Ideengeber und Organisator dieser Aktivitäten war Alexander Schalck-Golodkowski, eine schillernde Figur der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte. Er war Staatssekretär im DDR-Ministerium für Außenhandel und als Offizier im besonderen Einsatz (OibE) zugleich Oberst des Ministeriums für Staatssicherheit.
Der K&A ging es jedoch nicht nur um Werke aus Privateigentum, sondern ausdrücklich auch um Antiquitäten und Museumsbestände aus dem „staatlichen Fundus“. Das lief auf einen systematischen Ausverkauf des qualitätvollen Kunstbesitzes der DDR hinaus. In den Verwaltungsregistraturen der DDR-Museen sind für die 1970er und 1980er Jahre regelmäßige, mehr und mehr insistierende Anfragen aus dem Kulturministerium an die Museen überliefert, Werke zum Export freizugeben, um die zuvor bereits zentral eingeplanten Millionenbeträge zu „erwirtschaften“.
Doch auch hier agierten die Museumsmitarbeiter unterschiedlich und ambivalent. Die Spanne möglicher – und durch das Ministerium letztlich akzeptierter – Handlungsoptionen reichte von vorauseilendem Gehorsam bis hin zu passivem Widerstand. Die Zimelien der Sammlungen versuchte man in aller Regel zu schonen. Da exzeptionelle, zumal publizierte Werke am Markt wiedererkennbar gewesen wären, traf sich dies mit der naiven Absicht der Partei- und Staatsführung, die Herkunft der Werke und die Mechanismen ihrer Beschaffung möglichst diskret zu behandeln – was von Anfang an aussichtslos war. An den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) beispielsweise hatte die Direktorenkonferenz unter Generaldirektor Manfred Bachmann beschlossen, keine Stücke aus dem eigenen Altbestand herauszugeben, sondern auf Werke der Schlossbergung zurückzugreifen. So gelangten hunderte von Gemälden aus sächsischen Adelsfamilien in den Handel.
Die Geschichte des privaten Sammelns und des privaten Kunsthandels in der SBZ/DDR ist bisher ungeschrieben
In der Agonie der späten DDR allerdings kehrte sich diese Konstellation in ihr Gegenteil. Zwischen November 1989 und September 1990 waren wichtige Museen der DDR Kunden der K&A. Für die SKD sind mehrere Einkaufsreisen von Museumsmitarbeitern in das Lager Mühlenbeck dokumentiert. Diese Erwerbungen versuchte man mit den konkurrierenden Kollegen aus Berlin und Potsdam zu koordinieren. Für mehr als 800.000 DDR-Mark, die das Kulturministerium aus Sondermitteln zur Verfügung gestellt hatte, erwarben die SKD in Mühlenbeck Gemälde, Graphiken, Skulpturen, Münzen, Porzellane, Möbel und andere kunstgewerbliche Objekte. Meistens – allerdings nicht immer – sind diese Zugänge in den Inventaren mit der Provenienz „Mühlenbeck“ ausgewiesen. Die Spuren konnten bisher nicht weiter zurück verfolgt werden, denn von den umfangreichen Aktenbeständen der K&A waren bisher lediglich allgemeine Geschäftsakten zugänglich, nicht jedoch die stückgenauen An- und Verkaufslisten. Das hat sich inzwischen geändert: Seit Frühjahr 2015 befinden sich auch letztere endlich im Bundesarchiv Berlin.
Die erwähnten K&A-Aktenbestände aus Mühlenbeck sollten nach der geplanten Erschließung möglichst bald und systematisch ausgewertet werden. In diesem Zusammenhang wäre ein größeres Forschungsprojekt zur detaillierten Auswertung der Geschäftsakten vorstellbar. Einerseits ermöglichte dies, die Kenntnis über diese historischen Vorgänge endlich auf eine breitere empirisch-wissenschaftliche Basis zu stellen. Andererseits könnte auch die Geschichte des privaten Sammelns und des privaten Kunsthandels in der SBZ/DDR, die bisher – abgesehen von einigen wenigen Einzeluntersuchungen – ungeschrieben geblieben ist, erheblich davon profitieren. Und schließlich ist es die Pflicht der Provenienzforschung an ostdeutschen Museen, sich Klarheit über die Voreigentümer der aus Mühlenbeck stammenden Werke in ihren Beständen zu verschaffen. Mutatis mutandis gilt dies auch für den umfangreichen Komplex der Schlossbergungen.
Derartige Grundlagenforschungen könnten auch zur Klärung beitragen, wie viele ungelöste Fälle, wie viele nicht vollzogene Restitutionen es noch gibt – bisher liegt dazu wegen der oft verschlungenen, mitunter auch grenzüberschreitenden Wege, die diese Werke in der späteren DDR gegangen sind, keine sichere Datengrundlage vor. Westdeutsche Museen, Händler und Sammler spielten bislang im hier skizzierten Kontext noch überhaupt keine Rolle. Doch auch auf sie als Akteure und Profiteure sollte sich der wissenschaftliche Blick der Provenienzforschung richten. Zwar ist die Rechtslage dazu eindeutig, so dass Restitutionen hier nicht zu erwarten sind. Doch wäre ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass der größere und qualitätvollere Teil der in der SBZ/DDR entzogenen Kunstwerke und Kulturgüter nicht im Osten geblieben ist. Denn ihr zentral initiierter und gesteuerter Entzug erfolgte zum Verkauf ins westliche Ausland.
Es ist gut und sinnvoll, dass diese Thematik nun endlich stärker in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung der Bundesrepublik rückt; ebenso, dass Grundlagenforschung und konkrete Rechercheprojekte zukünftig vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert werden können. Wenn auf Grund von versäumten, weil kurz bemessenen Anmeldefristen in Einzelfällen DDR-Unrecht bisher nicht getilgt werden konnte, so wäre auch das zu diskutieren – allerdings nicht allein von den Museen, sondern auch von politischen Entscheidungsträgern und vom Gesetzgeber. Denn von den Museen in solchen Fällen polemisch-populistisch „moralisches Handeln“ zu verlangen – was konkret heißt das eigentlich? – ist wohl wenig zielführend. Öffentliche Museen sind ihren Trägern gegenüber verpflichtet und haben jenseits geltenden Rechts klar definierte Grenzen für eigene Entscheidungsspielräume.