Passionierte Tafeln

Mit den seit 1821 vorhandenen Außenseiten der Flügel sind damit alle erhaltenen Teile des wichtigen Zeugnisses der deutschen Frührenaissance wieder beieinander. Schäufeleins Werk entsteht, als viele deutsche Maler, auch Albrecht Dürer und sein Umkreis, unter italienischem Einfluss das Bildfeuerwerk der biblischen Legenden noch einmal neu entfachen. Zehn Jahre später spüren die Künstler, die einträglich das katholische Bildprogramm bedienen, hautnah die reformatorische Umwälzung. Welche ideologischen Ziele verfolgt die Kunst, in welchen kommerziellen Zusammenhängen wird sie produziert? Fragen, die der Berliner Altar neben seiner kunsthistorischen Bedeutung aufwirft, beschäftigen uns auch heute, beispielsweise, wenn wir Kunst und Kommerz bewerten und unterscheiden müssen.

Frank Druffner, kommissarischer Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder sagte: „Die Eindringlichkeit der Darstellungen macht selbst noch das kleine Format zur dramatischen Bühne. Die Reformatoren störten sich an derlei drastischer Verbildlichung und vertrauten stattdessen ganz auf die Wirkmacht des Wortes. Ehemals geschätzte Altarmaler verloren ihr Betätigungsfeld – Schäufeleins Nördlinger Werkstatt musste nach dem Übertritt der Stadt zum reformierten Glauben schließen.“

Die Zuschreibung der Tafeln an Hans Schäufelein ließ die beiden unerkannten Meisterwerke aus ihrem jahrhundertelangen Schlaf erwachen. Schäufelein bezieht sich in seiner Gestaltung direkt auf Dürers Holzschnitte aus dem Band der „Großen Passion“: Der Zyklus gilt als Geburtshelfer grafischer Medien, da er Bild und Text erstmals gleichwertig behandelte. So sind die Altartafeln Schäufeleins ein authentisches Echo dieser bahnbrechenden Phase des Nürnberger Malers und Grafikers. Die Berliner Gemäldegalerie gewinnt ein dichtes Zeugnis der großen Bilderzählungen dieser Zeit aus Dürers unmittelbarem Umfeld.

Frank Druffner: „Besonders bedanken möchte ich mich für die Grenzen überwindende, großzügige Geste des amerikanischen Sammlers und Mäzens J. William Middendorf II., durch die ein Kleinod des deutschen Kulturerbes für die vielen Besucher aus aller Welt wieder erlebbar wird.“

Kaum einer kam Dürer näher: Am Vorabend der Reformation wurde Hans Schäufelein Geselle des Malers, der von seiner Werkstatt aus die deutsche Zeichen-, Mal- und Druckkunst als virtuoser Bildschöpfer neu erfand. Der junge Schäufelein trat nicht als Schüler ein, denn die gab es bei Dürer, der in Nürnberg sein europaweit handelndes und florierendes Bild- und Buchuniversum führte, nicht. Ihre eigene Fertigkeit weiterentwickeln sollten die Malergesellen, an Dürers Aufträgen mitarbeiten oder nach seinen Entwürfen ausführen. Hans Schäufelein erlebte wohl noch, wie der Bildmagier Dürer nach einer Italienreise vom erfolgreichen Porträtmaler zum gefeierten und umworbenen Gestalter der großen christlichen Bildgeschichten der deutschen Renaissance mutierte. Schäufelein saugte den Stil des Lehrmeisters auf, es gelang ihm, das Geheimnis der neuartigen Bilddramaturgie zu erkennen und in seinen eigenen Werken zu verarbeiten. „Kostbarer als Edelsteine“ nannte ein kundiger Zeitgenosse die Werke Hans Schäufeleins, in einem Atemzug mit den Malern Lucas Cranach d. Ä., Hans Baldung Grien und Albrecht Dürer. Schäufelein konnte später selbst mit seinem eigenen Formenrepertoire eine ganze Generation von Künstlern beeinflussen.