Eine einmalige Chance
Hinter Neuentdeckungen auf den großen internationalen Kunstmessen lassen sich meist zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler vermuten, die der Markt für sich entdeckt hat. 2016 fand die Fachwelt an den Ständen der TEFAF (The European Fine Arts Fair) jedoch neu entdeckte Kunstwerke, die Anfang des 16. Jahrhunderts entstanden waren: Insgesamt vier kleine Holztafeln des deutschen Meisters Hans Schäufelein boten drei verschiedene Galerien an. Ab 2006 waren die Tafeln nach und nach als Werke eines anonymen Malers auf dem Markt aufgetaucht. Zuvor befanden sie sich, vermutlich unerkannt, in Privatbesitz. Gemeinsam bilden die vier Szenen – das „Gebet am Ölberg“, die „Geißelung Christi“, die „Dornenkrönung Christi“ und die „Beweinung Christi“ – die Innenseite eines kleinen, für die private Andacht bestimmten Altars. Dessen Außenflügel waren bereits 1821 mit dem Erwerb der Sammlung Edward Solly in die Berliner Gemäldesammlung gelangt. Nun konnten beide Flügelseiten in der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin vereint werden. Über die Hintergründe dieser Zusammenführung haben wir mit Brigit Blass-Simmen gesprochen. Sie ist verantwortlich für eines der wesentlichen Organe des Kaiser Friedrich Museumsvereins (KFMV): die Ankaufskommission. Seit seiner Gründung 1897 unterstützt der Verein die Gemäldegalerie und die Skulpturensammlung als Förderer. Inzwischen hat er über 114 Gemälde und 166 Skulpturen erworben, die als Dauerleihgaben die Sammlungen der Berliner Museen wesentlich ergänzen.
Kulturstiftung der Länder: Die beiden Tafelgemälde „Geißelung Christi“ und „Dornenkrönung Christi“ von Hans Schäufelein, einem Schüler Albrecht Dürers, die von nun an in der Gemäldegalerie die herausragende Sammlung altdeutscher Malerei ergänzen, hat nicht das Museum selbst, sondern der Kaiser Friedrich Museumsverein erworben. Spiegelt das den üblichen Erwerbungsvorgang wieder?
Brigit Blass-Simmen: In der Tat: Als Förderverein sind wir mit unseren circa 700 Mitgliedern der wichtigste Mäzen des Museums, dem selbst meist die Mittel fehlen, größere Erwerbungen zu tätigen. Daher kauft der Museumsverein Werke für die Gemälde- und Skulpturensammlung an, oft auch mit Unterstützung von Fördergebern wie der Kulturstiftung der Länder. Beispielsweise gelang es uns so, 2015 ein Terrakotta-Bozzetto des Heiligen Alessandro Sauli von Pierre Puget für das Bode-Museum zu erwerben. Außergewöhnlich ist jedoch, dass die Staatlichen Museen eigene Mittel beisteuern, wie im Fall Schäufelein. Aufgrund der drängenden Zeit entschied sich Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, für diesen Schritt. Was wir jedoch erwerben, liegt ganz in der Hand des Museums und seiner Kuratoren. Wir kaufen nicht das, was uns gefällt, sondern das, was sich das Museum wünscht und was die Sammlung sinnvoll ergänzt. Nach dem Erwerb bleiben diese Werke zwar in unserem Besitz, gehen aber als Dauerleihgaben in die beiden von uns unterstützten Museen, die Gemäldegalerie und das Bodemuseum; eine Regelung, die auf Wilhelm von Bode zurückgeht.
KSL: Und wie kam es dazu, dass der amerikanische Sammler J. William Middendorf II. seine beiden Werke „Gebet am Ölberg“ und „Beweinung Christi“, die gemeinsam mit den erworbenen Tafeln die Innenseite des Altars komplettieren, dem Museum als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt hat?
BBS: Hier fand die Zusammenarbeit direkt zwischen dem großzügigen Leihgeber und dem Museum selbst statt, denn es liegt am Museum, Sammlungsergänzungen zu bestimmen. Um jedoch überhaupt in Erfahrung bringen zu können, wo sich die beiden Tafeln befanden, war die Vermittlung der Münchener Galerie, die an J. William Middendorf verkauft hatte, notwendig. Dort wurde dankenswerterweise auch ein Teil der Überzeugungsarbeit geleistet. Für J. William Middendorfs Leihgabe war der eigenständige Erwerb des Museums (mit Hilfe des KFMV) der „Geißelung Christi“ und der „Dornenkrönung Christi“ stets Bedingung. Eine Chance wie diese – einen über Jahrhunderte verschollen geglaubten Altar ergänzen zu können – bietet sich, wenn überhaupt, nur einmal im Leben. Mit den vier Tafeln ist nun auch die Innenseite des kleinen Altars vollständig, dessen Außenflügel sich bereits seit 1821 in der Sammlung befanden.
KSL: Der Museumsverein selbst kommt also nie in Berührung mit Sammlern?
BBS: Unserem Mitgliederkreis gehören Sammler Alter Meister an. Diesen bieten wir kunsthistorische Begleitungen wie beispielsweise Führungen, Reisen oder Vorträge an. Dadurch wird der Kontakt zwischen den Mitgliedern und den Kuratorinnen und Kuratoren des Museums hergestellt, denn schließlich haben sie die Expertise. Wenn die Häuser Werke aus bestimmten Privatsammlungen gerne als Dauerleihgabe gewinnen möchten, liegt es an ihnen, die jeweiligen Besitzer anzusprechen: „Ihr Werk würde wunderbar in unsere Sammlung passen.“
KSL: Treten die Sammler aus Ihren Mitgliederreihen auch als Leihgeber auf?
BBS: Ja. Man muss jedoch unterscheiden zwischen Leihgaben, die – je nach Vertrag – jederzeit zu beenden sind und endgültigen Schenkungen oder Vermächtnissen. Für Werke aus privaten Sammlungen wurden bis jetzt die Leihverträge direkt mit dem Museum gemacht, wir vom Verein erhalten von Mitgliedern eher Vermächtnisse oder Schenkungen. Diese Form das Mäzenatentums lässt sich zurückverfolgen bis zum Museumsgründer Wilhelm von Bode: Sein Konzept, Sammlern beratend zur Seite zu stehen, um einen qualitativ hochwertigen Sammlungszuwachs zu sichern, in der steten Hoffnung, diese Werke später als Geschenke für das Museum zu erhalten, war durchaus erfolgreich. So berechnend handeln wir heute aber nicht mehr.
Das Gespräch führte Antonia Kölbl, Volontärin der Kulturstiftung der Länder.