Neue Sachlichkeit im Großformat

„Nur dank des gemeinsamen Engagements von Bund, Ländern und Zivilgesellschaft konnte dieses Gemälde für das Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg erworben werden“, so Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder. „Die Geschichte des Gemäldes verpflichtet uns in besonderer Weise“, so Hilgert weiter. Künftig soll in Regensburg diese Geschichte in all ihren Aspekten vermittelt werden: Zum einen als die eines herausragenden Gemäldes der Neuen Sachlichkeit im Spiegel des Kunstschaffens der Weimarer Republik. Zum anderen als Mahnmal für den politisch-ideologischen Missbrauch der Kunst und die Entrechtung jüdischer Mitbürger während der Zeit des Nationalsozialismus. „Mit dem Erwerb übernimmt das Kunstforum also auch die verantwortungsvolle Aufgabe der aktiven Erinnerung, der Aufklärung und der kulturellen Bildung“, so Markus Hilgert.

 

Stilleben mit hölzernem Tisch, gedeckt mit einer weißen Porzellanschale, einer eckigen, grünen Flasche auf einem Holzschemel und einer immergrünen Pflanze im Blumentopf vor rotem und gelbem Tuch.

Alexander Kanoldt, Stillleben I/1927, 1927, 110,5 × 87,6 cm; Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg; © Atelier Schneider Berlin / Courtesy Nathan Fine Art

 

Der jüdische Fabrikant, Generalkonsul und Kunstliebhaber Leo Smoschewer (1875-1938) hatte das Gemälde vermutlich gleich nach Fertigstellung erworben. Nach seinem Tod war 1939 seine Witwe gezwungen worden, das Bild zu einem mutmaßlich viel zu niedrigen Preis an die Kunstsammlung Görlitz zu verkaufen. Ohne Zugriff auf den Erlös und ohne Möglichkeit zur Flucht, nahm sich Elise Smoschewer kurz darauf das Leben.

Das Gemälde Stillleben I/1927 zeigt ein für Kanoldt typisches Motiv: Ein hölzerner Tisch, gedeckt mit einer weißen Porzellanschale, einer eckigen, grünen Flasche auf einem Holzschemel und einer immergrünen Pflanze im Blumentopf vor rotem und gelbem Tuch. Außergewöhnlich ist das Gemälde allerdings in Hinsicht auf Größe und handwerklichen Qualität. Während seiner Zeit an der Staatlichen Akademie für Kunst und Kunstgewerbe Breslau in den Jahren 1925 bis 1931 hatte Kanoldt insgesamt nur 34 Stillleben geschaffen. Knapp die Hälfte von ihnen gilt heute als verschollen oder zerstört. Und so wurde seit langem kein vergleichbares Werk Kanoldts auf dem internationalen Kunstmarkt gehandelt.

Während des Zweiten Weltkriegs war das Gemälde als Bestandteil der Görlitzer Sammlung in ein Depot in Niederschlesien ausgelagert und dort gestohlen worden. Seither galt es als verschollen. Erst vierzig Jahre später tauchte es im westdeutschen Kunsthandel auf und wurde 1987 vom Saarlandmuseum in Saarbrücken erworben. Nach umfänglicher Provenienzforschung restituierte das Saarlandmuseum 2017 das Gemälde gemäß der Washingtoner Prinzipien an die Erben Leo Smoschewers. Von ihnen erwarb es jetzt das Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, das eine einzigartige Sammlung mit Werken deutschsprachiger Künstler aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa verwahrt. Das Kunstmuseum vermittelt zudem aktuelle Positionen aus dem mittelosteuropäischen Raum. Bislang musste das Kunstforum stets auf Leihgaben von Kanoldt-Originalen aus anderen Museen zurückgreifen, um das breite Wirken Kanoldts darstellen zu können.

Der aus Karlsruhe stammende Kanoldt absolvierte nach dem Abitur zunächst eine zweijährige Ausbildung an der Kunstgewerbeschule Karlsruhe. Anschließend folgte ein Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in seiner Heimatstadt. 1909 gründete er unter anderem mit Wassily Kandinsky, Alexej von Jawlensky, Gabriele Münter und Marianne von Werefkin die Neue Künstlervereinigung München (N.K.V.M.), aus der heraus ab 1911 die Künstlergruppe des Blauen Reiters entstand. 1925 wurde Kanoldt als Professor an die Staatliche Akademie für Kunst und Kunstgewerbe Breslau berufen. Im gleichen Jahr war Kanoldt mit insgesamt 15 Ölgemälden auf der von Gustav Friedrich Hartlaub veranstalteten Ausstellung „Die Neue Sachlichkeit. Deutsche Malerei seit dem Expressionismus“ in Mannheim vertreten, die namengebend für die ganze Stilrichtung  werden sollte. Zwei Jahre später schuf Kanoldt das Stillleben I/1927. 1927 wurde Kanoldt außerdem zu einem der Gründungsmitglieder der Badischen Secession. Bereits 1932 trat Kanoldt in die NSDAP ein und wurde ein Jahr später unter anderem zum Leiter der Staatlichen Kunstschule Berlin berufen. Seine Personalpolitik löste allerdings teilweise den Protest der nationalsozialistischen Studierenden hervor und seine Malerei wurde durch das NS-Regime als „entartet“ geächtet. 22 Werke des Künstlers wurden 1937 in verschiedenen deutschen Museen beschlagnahmt. Gesundheitliche Gründe hatten Kanoldt 1936 zur Niederlegung seiner Professur in Berlin gezwungen, 1939 starb er hier.

Weitere Förderer dieser Erwerbung: Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Ernst von Siemens Kunststiftung, Freunde und Förderer des Kunstforums Ostdeutsche Galerie in Regensburg e.V.