Kulturvermittlung und Globalisierung gehen Hand in Hand

Künstler und ihre Werke sind und waren seit jeher Vermittler zwischen unterschiedlichen Kulturkreisen. Sie garantieren kulturelle Vielfalt, die so wichtig für die Grundlage unseres Selbst-verständnisses ist. Gerade in Zeiten der gesellschaftlichen Polarisierung, der scheinbaren Überforderung und eines zunehmenden Nationalismus können Kunst und Kultur Brücken bauen und Diskussionen anregen. Aktuelle Ereignisse wie der Brexit oder der Ausgang der US-amerikanischen Wahlen gelten als Anzeichen für eine ansteigende Angst vor einer zunehmend global und komplexer werdenden Welt, aber auch vor einer heterogener werdenden Bevölkerung und dem vermeintlich „Fremden“. Angesichts einer „Hyper“-Globalisierung, bei der nationale Grenzen verschwinden, wird der Lokal-patriotismus beflügelt und der Wunsch nach realen Grenzen in Form von Mauern wieder größer. Kulturelle und insbesondere transkulturelle Bildung, die den Fokus auf das Verständnis zwischen unterschiedlichen Kulturkreisen legt, ist heute umso wichtiger denn je.

Der Soziologe Guy Rocher definiert die „Globalisierung“ als multiples Phänomen und unterscheidet zwischen mehreren Prozessen: der politischen, wirtschaftlichen, rechtlichen und kulturellen Globalisierung. Diese ist somit ein hochkomplexes Phänomen, das viele Fragen um die Identität aufwirft und immer wieder neu verhandelt werden muss. Aus wirtschaftlicher, kapitalistischer Sicht zum Beispiel findet im Zuge der Globalisierung eine Standardisierung und Normierung statt. Das „Fremde“ oder „Andere“ soll hierbei so weit wie möglich reduziert werden, um Handels-abkommen zu erleichtern, die Produktion zu steigern und Renditen zu erhöhen. In der kulturellen Globalisierung hingegen wird heute die Differenz der verschiedenen Traditionen offengelegt und unterstützt. So definierte die UNESCO in einer allgemeinen Erklärung von 2001 die kulturelle Diversität als gemeinsames, menschliches Kulturgut, das bewahrt werden muss. In der UNESCO-Konferenz von 2005 wurde die Förderung von Diversität des kulturellen Ausdrucks unterstrichen.

Folgende Aspekte der Globalisierung sind in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus geraten und im Zusammenhang mit Kunst- und Kulturvermittlung diskutiert worden:

  • das Zusammenspiel von globalen und lokalen Prozessen sowie die Verschiebung der Perspektive je nach Standort,
  • die Unterscheidung zwischen einem globalisierten „Lokalismus“, wie beispielsweise der weltweiten Verbreitung von US-amerikanischer Pop-Musik, und einer lokalen Globalisierung, wie der Ausbeutung von natürlichen Ressourcen,
  • das ständige Austarieren und Neudefinieren der lokalen Identitäten durch die Globalisierung, durch Migration und den Zuzug in große Städte, respektive die Abwanderung aus den Dörfern und ländlichen Gebieten,
  • das Spannungsverhältnis zwischen den lokalen Einheiten und einer Welt-Gesellschaft, im Sinne des „global village“ von Marshall McLuhan,
  • die transkulturelle Vermittlung als Möglichkeit, das Globale und Lokale, das Einzelne und das Universelle miteinander zu verbinden und zu versöhnen.

 

Über diese Aspekte hinaus besteht ein wachsendes Interesse an dem Transnationalen und dem Multikulturellen im Bereich der zeitgenössischen Kunst und Kultur. Die nationalen Grenzen und die damit einhergehenden Zuschreibungen werden im Kunstbereich fortgehend aufgeweicht. Als Beispiel hierfür kann man Künstler anführen, die auf drei Kontinenten zuhause sind und mindestens drei Sprachen beherrschen, wie Kader Attia, Mona Hatoum oder Tamara Abdul Hadi. Sie sind nicht nur in der Kultur eines einzigen Landes verwurzelt, sondern können aus mehreren Kulturkreisen schöpfen. Die zunehmend transnationalen Biografien der zeitgenössischen Künstler (und überhaupt der Menschen) und sich ändernde, vielfältiger werdende Gesellschaften fordern von den westlichen kulturellen Institutionen ein globaleres Denken sowie das Verständnis, dass Kulturgeschichte zum Teil auch eine Erzählung der Kolonialisierung und der Dominanz-mechanismen ist. Spätestens seit den 1980er Jahren wurde der Wunsch nach einem globaleren Narrativ in der Kunstgeschichte stärker, angeregt durch fortschreitende Technologien, ein sich rasant ausbreitendes digitales Netzwerk und die Entstehung neuer weltweiter Finanzmetropolen. Verlässt man aber das sichere Feld der eurozentrischen Kunstgeschichtsschreibung und öffnet es für andere, internationale Perspektiven, so steht man einem vielschichtigen Gebilde und dichten, fast undurchdringbaren Verflechtungsnetz gegenüber. Die kritische Analyse der eigenen Geschichte und die Verantwortung ihr gegenüber, stellen auch bisher als gültig geltende westliche Werte und Methoden in Frage. Können Kunstwerke nicht-europäischer Künstler und außereuropäische Gedankenprozesse mit europäisch geprägten Methoden wie der Komparatistik, dem Relativismus, dem Poststrukturalismus oder der Dekonstruktion (in welchen es um die Beziehungen zwischen den Dingen geht) analysiert und gedeutet, oder gar vermittelt werden? Wie kann man also den geschulten und geformten Blick auf die Kunst und Vermittlung anderer Kulturen öffnen?

Es gilt den Kanon als geschlossenes System, das viele ausgrenzt, zu erkennen und aufzubrechen, die internationalen Netzwerke auszudehnen, zu nutzen, mit Leben zu füllen, um eine differenzierte Sicht auf den Kanon zu gewinnen. So konnten beispielsweise im Zuge des Forschungsprojektes „museum global“, das wir 2014, unterstützt von der Kulturstiftung des Bundes, an der Kunst-sammlung Nordrhein-Westfalen initiiert haben, viele neue Erkenntnisse aus der Beschäftigung mit der internationalen kulturellen Vielfalt erschlossen werden, ein neuer Blick auf die globale Moderne entstehen und – gerade im Hinblick auf die Methoden und dahinterliegenden ethischen Vorstellungen – die eigenen Ansätze hier vor Ort überprüft werden.

Eine dieser mit geschärftem Blick gesehenen Inspirationsquellen für die eigene Arbeit war das Werk der brasilianischen Architektin Lina Bo Bardi. 1914 in Italien geboren, zog sie 1946 mit ihrem Mann Pietro Maria Bardi nach Brasilien, der dort ein Jahr später gemeinsam mit Assis Chateaubriand das São Paulo Museum of Art – MASP gründen sollte. Lina Bo Bardi entwickelte die Architektur und Gestaltung für dieses Museum. Insbesondere die radikale Inszenierung der Werke, die sie zu dessen Eröffnung 1968 einrichtete, erscheint aus heutiger Sicht immer noch bahnbrechend. So wurden die Kunstwerke auf Betonsockeln und zwischen freistehenden Glasscheiben präsentiert, den Eindruck erweckend, dass die Gemälde in einer lichtdurchfluteten Halle schwebten. Die Beschreibungstexte konnte der Besucher erst auf der Rückseite eines jeden einzelnen Werkes finden. Der erste Kontakt zum Werk sollte ausschließlich in der Konzentration auf das Gesehene liegen, ohne jeden Hinweis auf den Künstler, der das Werk erschaffen hatte, oder auf den Erstehungskontext. Lina Bo Bardi intendierte eine Enthierarchisierung und die Demokratisierung des Museums. Ihre Methoden werfen die Frage danach auf, was diesem Ziel eher dient: die Kontextualisierung oder die ästhetische Isolierung zur puren Kontemplation?

Brasilien ist das Land der kulturellen Vielfalt par excellence. Im 20. Jahrhundert war die Kunst- und Kulturszene sehr lebendig (mit beispielsweise der „Antropophagie-Bewegung“ Ende der 1920er Jahre oder dem „Neoconcretismo“ Ende der 1950er Jahre). Brasilien gilt auch als Land der großen kulturellen Diversität, die in hohem Maße auf die Koloniali-sierung und die Zwangsmigration zurückgeht. Auch heute noch können wir viel von dem Land und seiner Kultur lernen. So sieht Marcelo Rezende, der das Museum für moderne Kunst in Salvador de Bahia geleitet hat (MAM-BA) (das auch von Lina Bo Bardi konzipiert wurde), das Museum als Schule, als Demokratie-Maschine. Es ist ein großes Glück, dass die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ihn für das Archiv der Avantgarden in Dresden gewonnen haben und mit ihm neue Wege der transkulturellen Vermittlung testen können.

Einhergehend mit der Beschleunigung und Vergünstigung der Transportmittel wurden vor allem seit dem 20. Jahrhundert die Wanderungsbewegungen schneller und die Sensibilisierung für das Thema ausgeprägter. Auch in Zukunft wird mit großen Menschenströmen zu rechnen sein, beispielswiese von Klimaflüchtlingen. Mit der Migration gehen intensive Transferprozesse zwischen verschiedenen Kulturkreisen einher. Ideen und Motive springen zwischen den Kulturkreisen über, sobald sie in Berührung kommen. Anders als die eurozentrische Kunstgeschichtsschreibung uns bisher lehrte, sind diese Transferprozesse immer gegenseitige Wechselwirkungen und nicht unilaterale Beziehungen. Künstler und künstlerische Gruppen, Kulturagenten und Vermittler befanden sich seit jeher in einem regen Austausch, reagierten aufeinander, ließen sich auch beeinflussen oder verwarfen bewusst Strömungen. Seit jeher erlaubt der Kontakt mit anderen Kulturkreisen die Erweiterung des eigenen Blicks und der eigenen Perspektive.

Als zweites Beispiel für die Gewinnung von Erkenntnis durch die Beschäftigung mit der Geschichte eines anderen Kulturkreises ist die Weltuniversität von Rabindranath Tagore (1861–1941) anzuführen. Der bengalische Dichter und Künstler erhielt 1913 als erster Nicht-Europäer den Literaturnobelpreis. Im Jahr 1901 eröffnet er eine erste Schule auf Grundlage einer kleinen Gemeinschaft. Die Kunsthochschule in Shantiniketan gründete er 18 Jahre später, also zeitgleich zum, wenn auch unabhängig vom Bauhaus in Weimar. Die Visava-Bharati eröffnete 1921 als Weltuniversität; Ziel von Tagore war es, eine inter-nationale Gemeinschaft zu schaffen. An der Schule etablierte er so u.a. ein Institut für chinesische Studien. Für Rabindranath Tagore war es notwendig, in einen Austausch mit anderen Kulturen zu treten, um eine vielfältige und lebendige Kreativität garantieren zu können. Durch den Kontakt mit anderen Kulturen konnten seiner Ansicht nach innovative Transformationen in der eigenen Kultur vorgenommen werden. Shantiniketan kann als Bildungsexperiment gelten, das auf der Basis von Kosmopolitismus funktionierte und dabei die Wichtigkeit des alltäglichen Lebens bedachte. Zwischen Kunst und (Kunst-)Handwerk gab es keine trennende Grenze, wie dies auch im Bauhaus der Fall war. Eine zentrale Rolle kam auch dem einheimischen Handwerk zu, das es galt, weiterzuführen. Darüber hinaus wurden die lokalen Praktiken mit internationalem Handwerk verschränkt, zum Beispiel durch Töpfer aus Deutschland oder Weber aus Skandinavien.

Gerade heute ist eine Besinnung auf die Rolle des „Craft“ (der Produktion von Kunsthandwerk und Handwerk) und der Materialität zu beobachten – als Gegenimpuls zur rein intellektbezogenen Rezeption. Die Funktion der Hand in der Kunst soll somit wieder stärker betont werden und die über den Körper vermittelten Erfahrungen den Geist wieder anregen. Das Thema des Crafts spielt auch eine wichtige Rolle in der Diskussion um die Überwindung gesellschaftlicher Brüche (z.B. nach dem Brexit). Auch wendet man sich im Bereich der kulturellen Bildung zunehmend von der statischen Wissensvermittlung und der „Top down Methode“ ab. An ihre Stelle treten Methoden, die das eigene und gemeinsame Lernen, das interne und öffentliche Lernen, verschränken. Die Herausforderung des „to unlearn“ hat an Bedeutung in allen Bereichen der Kultur und ihrer Vermittlung gewonnen. Festgeschriebene Klassifizierungen und Etiketten, wie afrikanische oder asiatische Kunst, werden obsolet, sobald man sich mit der globalen Vernetzung beschäftigt und die eurozentrische Sichtweise ablegt.

Auch der Gedanke einer „nationalen Identität“ ist, wie wir wissen, ein konstruierter. In ihrer Abhandlung „La création des identités nationales“ beschreibt die französische Kulturhistorikerin Anne-Marie Thiesse wie u.a. die Geschichte, Familie und Sprache die Identität eines Individuums bedingen und darüber hinaus die nationale Identität durch exklusive Systeme und lokale Prozesse als Fiktion aufrechterhalten wird. Die Konstruktion des „Fremden“ und der einhergehende Rassismus wurden Anfang des 20. Jahrhunderts durch die Völkerschauen im kollektiven Gedächtnis verfestigt. Diese Klischees und Vorurteile wirken bis heute fort, sei es in dem Gefühl der wachsenden Angst vor dem vermeintlich Fremden oder sei es in den „unconscious bias“, die unser alltägliches Verhalten bestimmen. Den kulturellen Institutionen und Schulen heute kommt somit nach wie vor (und gerade noch etwas mehr) die sehr große Verantwortung zu, Formen solch stereotypen Denkens aufzubrechen.

Als Kulturvermittler müssen wir uns stets die Frage stellen: Wie wirken diese Exklusionsmechanismen fort und wie viel „Zugang“ lassen wir wirklich zu? Pierre Bourdieu und Alain Darbel hatten 1966 in ihrem Buch L’Amour de l’Art beschrieben, wie die musealen Strukturen und ihre Organisation nur die „Favorisierten favorisieren“. Wie ist der Stand mehr als 50 Jahre nach dieser Analyse? Hat sich das Thema des Zugangs zum Museum wirklich massiv zum Positiven verändert? Was macht eine konsequent umgesetzte Teilhabe eines erweiterten Publikums eigentlich mit uns, mit unseren Vermittlungsinhalten?

Als historisches, aber zeitlich noch nicht zu weit entferntes Beispiel möchte ich den sogenannten „Bantu Education Act“ in Südafrika als diskriminierende Maßnahme in der Schulbildung gegenüber der einheimischen schwarzen Bevölkerung anführen. Es ging um die offiziell vorgeschriebene Schulsprache wie auch die Prüfungsverfahren (Benachteiligung und Bildungsexklusion schwarzer Schüler). Im Juni 1976 kam es zu dem bekannten Protestmarsch in Soweto, einem „Township“ von Johannesburg, bei dem circa 15.000 Menschen, unter ihnen auch Kinder und Jugendliche, teilnahmen und mehrere Hunderte starben. Heute warnt das Hector Pieterson Memorial and Museum, das den Namen eines durch die Polizei erschossenen 12-Jährigen Jungen stellvertretend trägt, vor der Ungerechtigkeit gegenüber Kindern.

In Südafrika, das seit dem Ende der Apartheid 1994 elf amtliche Sprachen führt, gibt es heute einige modellhafte Ansätze transkultureller Prozesse. In der de Wits School of the Arts wird zum Beispiel nicht nur Zeichnen und Malen gelehrt, sondern auch Performance und Aktivismus. Die Studenten gingen letztes Jahr auf die Straße und stürzten koloniale Denkmäler. Auch die Ursprungsidee von William Kentridges Werkstatt ist hier zu nennen. Sein Ansatz bestand darin, Menschen aus dem umliegenden Stadtviertel in die Werkstatt einzuladen und ihnen dort Raum für eigene Aktivitäten und Produktionen zu geben. Anfang 2017 hat Kentridge einen neuen Ort für Künstler eröffnet, er ist weder eine staatliche Einrichtung noch eine NGO: das „Centre for the Less Good Idea“. Es geht ihm darum, (unabhängig von Leistungsdruck und Kennzahlen) kreative und performative Kraft freizusetzen, damit sich communities bilden können und gesellschaftlicher Zusammenhalt erfahrbar wird. Ein weiterer Protagonist aus der südafrikanischen künstlerischen Szene, der in seiner Arbeit Kultur und Gesellschaft verschränkt, ist Robin Rhode, der performativ mit Jugendlichen in prekären Bedingungen Straßenprojekte entwickelt, z.B. auf Mauern, die wie Leinwände im öffentlichen Raum funktionieren.

Diese drei Beispiele zeigen eine explizite Durchdringung von Kunst und Politik, Kunst und Sozialarbeit und verweisen auf die große Bedeutung der Kreativität, auch im Hinblick auf die Vermittlung von Wissen. Kunst kann dort als Vermittler dienen, wo die Sprache versagt.

Aktuell stellt sich die Frage der Exklusionsmechanismen und des Zugangs zu Wissen und Information in Deutschland mit der sogenannten Flüchtlingskrise. Für Museen und Schulen geht es um die Frage, wie Diversität auf eine gute Weise in die eigene Kultur integriert werden kann, was wir von ihr lernen können, und wie Menschen mit Fluchterfahrung nicht als „isolierte Gruppe“ bezeichnet, sondern in ihrer Menschlichkeit und als Teil von uns gesehen werden können. Seit sechs Jahren werden dem Thema Migration vermehrt Ausstellungen in Deutschland gewidmet. Auch im V&A Museum of Childhood wird durch einen gezielten Schwerpunkt zum Thema Migration ein größeres Verständnis gegenüber Menschen und Kindern mit Fluchterfahrung gefördert. Ein Teil des Museums und Programms stellt individuelle Geschichten von Kindern vor, die auf der Flucht waren oder sind. Über dieses gezielte Programm kann den Londoner Kindern veranschaulicht werden, unter welchen Bedingungen Kinder flüchten müssen und was sie während der Flucht erlebt haben. Dieses Offenlegen ermöglicht es, den Kindern das Gefühl von Ungerechtigkeit zu vermitteln und sie für das Schicksal anderer Kinder zu sensibilisieren. Das Museum legt folglich den Fokus auf eine Vermittlung von Kindern für Kinder und scheut sich nicht, auch über Menschenrechtsverletzungen mit ihnen zu reden.

Auch das Grassi Museum in Leipzig legt großen Wert darauf, das Thema Migration ins aktuelle Programm immer wieder einfließen zu lassen. Die ethnographischen Sammlungen Sachsens besitzen eine der europaweit größten Sammlungen außereuropäischer Kunst- und Kulturobjekte und bewahren Zeugnisse von Geschichte, kultureller Vielfalt, Kunst und Religionen für künftige Generationen. Über neue Formate und Inhalte (wie „Salam Deutschland – Islam im Grassi“) soll die Verständigung zwischen Kontinenten und Kulturen gefördert werden. Gemeinsam mit dem Orientalischen Institut der Universität Leipzig organisiert das Grassi zum Beispiel eine Veranstaltungsreihe zu ganz unterschiedlichen Ausprägungen des Islams in Deutschland. Die Kooperation lenkt den Blick auf die gesellschaftliche Verankerung islamischer Glaubenspraxis und lädt Besucher ein, sich ein differenziertes Bild vom Lebensalltag deutscher Muslime zu machen. Durch Interventionen, Ausdifferenzierungen, Aufzeigen von Fakten sowie Multiperspektivität sollen umfangreiche und vielfältige Möglichkeiten für transkulturelle Kulturangebote angeboten und veranschaulicht werden, auch gesellschaftliche Brücken über Kunst und Kultur geschlagen werden können.

Große enzyklopädische Museen und Kulturinstitutionen verfügen über die Mittel, um Wege aufzuzeigen, die Kultur, aber auch die Gesellschaft und ihre unterschiedlichen Formen neu zu denken. Hierbei muss das Museen oder die kulturelle Organisation im Allgemeinen das Wissen über andere Kulturkreise und ihre Vermittlung nicht nur von einem kleinen ausgewählten Kreis – sprich den Museumskuratoren oder den Schullehrern – generieren lassen. Nur durch das Einbeziehen von vielen unterschiedlichen Perspektiven kann ein umfangreiches, nicht einseitiges Wissen über Kunst und Kultur erzeugt werden. Die Museen in diesem Sinne zu entkolonialisieren ist aktuell eins der dringendsten Anliegen der ethnologischen Museen, kann aber auch auf andere kulturelle Institutionen appliziert werden. Das direkte Einbeziehen und die Zusammenarbeit mit lokalen Communities und der indigenen Bevölkerung rücken hierbei immer stärker in den Fokus. Vor dem Hintergrund der kolonialen Vergangenheit Europas können Museen und kulturelle Institutionen als Orte der Wiedergutmachung gedacht werden.

Wie kann man diese notwendigen Prozesse des Umdenkens aktivieren? Als vorbildhaftes Beispiel hierfür kann die Art Gallery of Ontario dienen. Seit 1996 arbeiten die Mitarbeiter der AGO an der Diversität; indigene, homo- und transsexuelle, schwarze und behinderte Menschen werden zu wichtigen Protagonisten. Die Art Gallery of Ontario hat zudem einen Beirat für Jugendliche gegründet, der AGO Youth Council (der sich an Jugendliche zwischen 14 und 24 Jahren richtet). Auch über ein Projekt wie „UGLY“ (Unified Geniuses Living Young, 2014) kommt das gemeinsame Schaffen mit Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft zum Tragen und findet seinen angemessenen Platz im Museum, auch wenn die Projekte manchmal gegen die Konventionen und die gewohnte Sehprozesse des „durchschnittlichen“ Museumsbesuchers verstoßen. Es geht darum, auch Risiken auf sich zu nehmen und dem Experiment eine Bühne zu geben.

Menschen sind selbst als wertvolle Wissensspeicher zu betrachten. Diese sollten aktiviert werden, Geschichten gemeinsam mit Zeitzeugen oder lokalen Einwohnern erarbeitet werden, anstatt ihnen geschlossene Wissenssysteme aufzuoktroyieren. Das Itinerant Museum of Memory in Kolumbien geht beispielsweise aktiv auf die Menschen der Umgebung zu und lädt sie ein, ihre Geschichten zu erzählen. Die Sammlungs-„Objekte“ werden von den Menschen selbst bestimmt; sie geben dem Museum eine neue Bedeutung.

Auch das Programm der „internationalen Klassen“ der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, das Teil des Forschungsprojekts „museum global“ ist und von Julia Hagenberg und ihrem Team für gemischte Klassen entwickelt wurde, die sich sowohl aus deutschen Kindern sowie Kindern mit Migrationshintergrund zusammensetzen, soll diesen eine Plattform im Museum bieten. Die Jugendlichen können selbst Kunstwerke auswählen und sich ihnen aktiv, selbstbestimmt und handlungsorientiert annähern. Als letzter Teil des Programmes erklären die Schüler einer Partnerklasse Kunstwerke und schlüpfen so in die Rolle von Kunstvermittlern. Über physische und sinnliche Formen des Lernens sollen Jugendliche auf die vielfältigen Möglichkeiten der Kunst aufmerksam gemacht werden. Über Blätter in Form von „Sprechblasen“ können die Schüler ihre Fragen und Kommentare aufschreiben, die als Anregung von der Institution aufgegriffen und diskutiert werden. Ihre Gedanken und auch Kritiken an der musealen Institution sind wichtige Stimmen des Museumspublikums und führen zu Konsequenzen. Die „Sprechblase“ eines Schülers mit der Frage „Wem gehört das Museum?“ gab so das Thema vor für das Bildungssymposium der Kunstsammlung NRW im Januar 2017.

Diese Art der Zusammenarbeit greift den Gedanken von Arjun Appadurai der „Grassroots globalization“ oder der „Globalization from below“ auf. Seiner Ansicht nach gewährleisten lokale und nichtstaatliche Gruppen, wie NGO’s, gegenüber dem globalen kapitalistischen System einen Ausgleich für eine gerechte Verteilung und ermöglichen Zugänge. Appadurai formulierte es so: „Although the sociology of these emergent social forms – part movements, part networks, part organizations – has yet to be developed, there is a considerable progressive consensus that these forms are the crucibles and institutional instruments of most serious efforts to globalize from below. There is also a growing consensus on what such grassroots efforts to globalize are up against. Globalization (understood as a particular, contemporary configuration in the relationship between capital and the nation-state) is demonstrably creating increased inequalities both within and across societies, spiraling processes of ecological degradation and crisis, and unviable relations between finance and manufacturing capital, as well as between goods and the wealth required to purchase them.“ Der Text von Appadurai stammt schon von 2000, aber ist heute angesichts des wachsenden Nationalismus in Europa wichtiger denn je. Auf der einen Seite muss die Stimme der sogenannten „silent majority“ gehört werden; auf der anderen Seite obliegt den kulturellen Einrichtungen die Rolle, die Vielzahl der Stimmen einzufangen und ihnen eine Plattform bieten.

Um der kulturellen Diversität langfristig gerecht zu werden und gedankliche Exklusionsmechanismen definitiv aufdecken und abschaffen zu können, reichen eine Ausstellung oder ein Forschungsprogramm bei weitem nicht. Institutionelle Strukturen selbst müssen weitestgehend geändert werden. Diversität muss sich durch alle Strukturen der kulturellen Institutionen und Schulen ziehen. So möchte ich drei Beispiele für eine „radikale“ Veränderung solch institutioneller Strukturen anführen. Der von Kader Attia und Zico Selloum am 17. Oktober 2016 im 10. Arrondissement von Paris gegründet Ort La Colonie soll explizit dem kulturellen Austausch dienen. Über Workshops, Diskussionen, Vorträge und Lesungen werden Gedanken ausgetauscht. Auch diente der Raum als Treffpunkt, um den Wahlkampf in Frankreich zu verfolgen und zu diskutieren. Attia und Selloun definieren ihren Ort als „a space for living-knowledge” and “knowledge-sharing”“. Es geht um das Teilen von Wissen. Hierzu gehört auch die Erarbeitung einer digitalen Datenbank und einer (gratis verfügbaren) Zeitung, die ermöglichen, Wissen demokratisch zu vermitteln. Der Ausstellungs- und Diskussionsraum setzt sich kritisch mit Geschichte auseinander: So geht der Name des Ortes auf die Demonstrationen 1961 für die Unabhängigkeit von Algerien in Paris zurück, bei der 300 Personen von der Polizei getötet wurden. Kader Attia schreibt über La Colonie: „Both landmark and shelter, La Colonie is a space of variegated identity: it is a bar and an agora; a laboratory and a concert hall; a place of words, of listening, of sharing, of experiments and of demonstrations… La Colonie aspires to de-compartmentalize knowledge and practices by valuing a trans-cultural, trans-disciplinary and trans-generational approach in which everyone finds a place. We are betting that under the aegis of exchange and discussion, art and thought are the strongest vectors of this defragmentation.“ Die kulturelle Institution wird zum Schutzraum und versteht sich hierbei auch als Kritik gegenüber dem traditionellen Museumskonzept – als der bürgerlichen Institution, wie sie im 18. Jahrhundert begründet wurde.

Als zweites Beispiel für eine radikal gedachte Kulturinstitution ist das „useful museum“ zu nennen. Das „Museum of Arte Útil“ wurde 2014 von der Künstlerin Tania Bruguera initiiert, vom Van Abbemuseum entwickelt, von constructLab gebaut und von seinen „users“ verwirklicht. Die Kunst wird als Tool oder als Instrument für soziale Effekte betrachtet. Durch künstlerische Praktiken kann die Art und Weise, wie wir mit unseren Mitmenschen und der Gesellschaft umgehen, im Positiven verändert werden. Vorgegeben durch das digitale Zeitalter wird der Mensch hier als „user“ angesehen, der sich in vielen Facetten des Museums einbringen kann. Der Begriff und das Konzept vom „useful museum“ wurden auch von Alistair Hudson für das mima – Middlesbrough Institute of modern Art angewandt. Die britische Stadt Middlesbrough befindet sich in einer Gegend, die ab Mitte des 19. Jahrhundert eine rasante Entwicklung der Eisenindustrie erlebte. Nach Rückgang der Industrie und der Einwohnerzahl wurde die Stadt als „Britain’s Detroit“ bezeichnet. Für Alistair Hudson war es notwendig, das Museum der lokalen Bevölkerung komplett zu öffnen und zu einer Plattform des Austausches und Ort der Kommunikation zu machen. Er spricht hierbei vom „Museum 3.0“ – einem Museum, das mit den Menschen arbeitet und ihnen nicht etwas vorgibt. So lud er beispielsweise die Stadtbewohner ein, Werke und Objekte mitzubringen und sie während der Laufdauer einer Ausstellung in dem Museum zusammenzuführen. Hudson schreibt in seinem „Vision Statement“: „The ideal goal of the Museum 3.0 would be that its users, do not pay to use it, but in fact could be remunerated for their use of it, for helping to create its value – through making, teaching, doing something with it or in it. Think of the museum like a shared network or an online game, with everyone building and modulating its development according to individual and group needs.“

Das Museum ist fortan ein Ort der Produktion und nicht der Kontemplation oder des Konsums. Alistair Hudson nutzt den Begriff „Practitioner“ anstelle von „Participant“; für ihn ist der Begriff „Participant“ zu schwach, der einer Person oder Institution eine Funktion und somit ein ungleiches Machtverhältnis vorgebe. Die Kunst wird als Bildungsinstrument, aber nicht um ihrer selbst willen betrachtet. Die Bildung findet in jedem der einzelnen Schritte, die Hudson und sein Team gehen, statt als eine „holistic educational approach“. Kunst und Kreativität dienen so als Möglichkeit, Zugänge zu schaffen und Reflexionen darüber anzustoßen, wie wir leben und wie wir uns entwickeln wollen.

Eine Conclusio kann nur skizzenhaft sein und der Komplexität des Themas nicht gerecht werden; sie soll sich eher wie eine to do-Liste verstehen.

Museen, Kulturinstitutionen und Schulen stehen noch am Anfang eines langen Prozesses der Neuausrichtung kultureller Bildung im Zeitalter der „Hyper“-Globalisierung. Wir müssen uns über die Bedeutung von Selbstreflexion und Sensibilisierung klar werden und verständigen. Das abteilungsübergreifende und transdisziplinäre gemeinsame Lernen nimmt hierbei eine zentrale Rolle ein. Auch können wir in der verstärkten Zusammenarbeit zwischen kulturellen Institutionen und Schulen eine große Chance sehen. Im nächsten Schritt müssen die Strukturen selbst stärker in Frage gestellt werden. Um diese dauerhaft ändern und flexibler gestalten zu können, sollten Multiperspektivität und Diversität innerhalb der Systeme erhöht werden.

Auch Archive und Dokumente werden künftig eine noch wichtigere Rolle spielen. Sie ermöglichen das Bewahren der Vielfalt von Stimmen, Ideen und Gedanken – und können diese wiederum neu beleben, aufladen, aktivieren. Angesichts der gesellschaftlichen Spaltung ist von großer Dringlichkeit, dass Kulturinstitutionen, Archive und Schulen zugänglich sind und Barrieren abgebaut werden. Von großer Bedeutung für die Zukunft wird die „Demokratisierung“ des Wissens werden. Lässt man sich auf dieses Thema tief ein, wird man auch Risiken eingehen und offen für neue Formen des Lernens, der Wissensgenerierung, des Teilens und Vermittelns von Wissen und natürlich auch der transkulturellen Methodik sein müssen. Wir sollten insofern die Globalisierung als eine große Chance begreifen.

Florence Thurmes sei für die intensive Unterstützung bei Vor- und Nachbereitung dieses Vortrages gedankt.