Kulturgutschutz kontrovers
Liebe Leserin, lieber Leser,
lange hat kein kulturpolitisches Thema die Gemüter mehr so erhitzt im ohnehin schon heißen Sommer wie die Novelle des Kulturgüterschutzgesetzes, oder, besser gesagt, das, was man dafür hielt: ein noch in Arbeit befindlicher Referentenentwurf. Der drohende Verkauf der Humboldt-Tagebücher ins Ausland und der tatsächliche zweier Warhol-Gemälde aus Aachen in New York – so ähnlich scheinend und doch so grundverschieden, befeuerten wie verunklärten die Diskussion um eine lange vorbereitete Gesetzesnovelle, die nun manchem vorkommen sollte, als schütte man das Kind mit dem Bade aus. Inakzeptable Vergleiche mit Enteignungen in Diktaturen machten die Runde.
Doch worum geht es? Und, noch wichtiger: Worum geht es nicht? Was die Frage des Exports angeht, kann man eines deutlich sagen: Nach Wert- und Altersgrenzen werden wohl über 90 Prozent aller in Deutschland gehandelten Kunstwerke von diesem Gesetz nicht betroffen sein – ebenso wie die große Mehrheit der deutschen Privatsammlungen und des überreichen hiesigen Kunstmarkts mit seinen zahlreichen Galerien und Auktionshäusern. Und von den wenigen Werken, deren Ausfuhr in Zukunft genehmigungspflichtig ist, wird wiederum nur ein geringer Bruchteil die Kriterien für eine Aufnahme in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes überhaupt erfüllen. Die allermeisten dieser Werke werden reisen können. Das heißt im Klartext: Alle Aufregung um eine geringe Prozentzahl Kunst- und Kulturgüter, die nicht ins Ausland, aber in Deutschland frei verkauft werden dürfen? Es spricht für sich, dass die große Mehrheit der deutschen Händler und Sammler nach anfänglicher, verständlicher Verunsicherung mit Besonnenheit und Souveränität auf all den Alarmismus reagiert hat. Doch auch ein Gutes hatte die Debatte: Für die Überarbeitung des Gesetzesentwurfes sind nun alle Argumente auf dem Tisch, und sicher wird manches davon in der anstehenden parlamentarischen Beratung gehört werden.
Die Kulturstiftung der Länder, die sich wie keine zweite Institution in Deutschland für den Erwerb national wertvollen Kulturguts einsetzt, hat ungezählte Ankäufe verhandeln und unterstützen können – und dies keinesfalls unter dem Eindruck einer „nationalen Liste“. Nur wenig von dem, was wir zu aller Zufriedenheit verhandelt und gefördert haben, war unter Schutz gestellt. Für Spitzenwerke, ob „gelistet“ oder nicht, sind Spitzenpreise realisiert worden, die sich am Weltmarkt orientieren. Und wir gehen sogar noch weiter: Wir helfen bei Erwerbungen von Werken, für die ein großer, freier Markt schlichtweg nicht existiert, die zu erhalten und entgelten aber dennoch wichtig ist. Nicht zuletzt die engagierte Öffentlichkeit ist es, die den Erhalt unseres Kulturerbes immer wieder einfordert: Denken Sie nur an die drohende Versteigerung der Briefe Kafkas an seine Schwester Ottla, die 2011 nach vielen Zeitungsartikeln und öffentlichen Aufrufen abgewendet werden konnte. Heute besitzen die Bodleian Library Oxford und das Deutsche Literaturarchiv Marbach das Konvolut gemeinsam.
Auch die Herbstausgabe von Arsprototo widmen wir dem schriftlichen Erbe: Es sind die Nachlässe von Schriftstellern, große Hinterlassenschaften eines Lebens, Wirkens, Suchens, die in ihrer Gesamtheit zu bewahren und zu erforschen sich die großen Archive zur Aufgabe gemacht haben. So freuen wir uns heute, Ihnen von den Nachlässen Erwin und Eva Strittmatters sowie von Siegfried Lenz erzählen zu können, die wir für die Akademie der Künste Berlin und wiederum Marbach sichern konnten.
Mir bleibt, Ihnen einen schönen Herbst zu wünschen und Ihnen ab Seite 52 unser Porträt von Hermann Roemer und Wilhelm Pelizaeus zu empfehlen, mit dem wir das Land Niedersachsen würdigen möchten – in unserer Reihe großer Sammler, die Deutschlands reiche Museumslandschaft geprägt haben und dies übrigens auch in Zukunft tun, großzügig, weitblickend, unaufgeregt.
Ihre Isabel Pfeiffer-Poensgen