Erwerbungen
Im Stahlnetz
Ein künstlerisch-komplexes Spiel zwischen Distanz und Nähe, Flüchtigkeit und Beständigkeit verbirgt sich hinter Katharina Sieverdings Hommage an ihren Lehrer Joseph Beuys. Porträts sollen meist eine Verbindung zum Betrachter aufbauen, doch die Fotografie der Multimedia-Virtuosin Sieverding macht diese Nähe zu einem flüchtigen Moment, eingefroren für die Ewigkeit. Die Fotografie eines Fernsehbildes aus einem TV-Interview von Beuys anlässlich seines gefeierten Japan-Besuches 1984 macht erst auf den zweiten Blick die vielschichtige Distanzierung deutlich: Die Augen des Porträtierten sind vom Hut verschattet, das Gesicht hinter einem Metallnetz eingesperrt und in kalten Stahl gerahmt, der Untertitel erscheint in japanischen Schriftzeichen – „nämlich etwas, daß man heute in der materiellen Begrifflichkeit nicht fassen kann“ –, ein Verweis auf Beuys’ Kritik am materialistischen Denken.
Die vom Museum Schloss Moyland jüngst erworbene Arbeit basiert auf einem fotografischen Werk von Katharina Sieverding aus den 80er Jahren, das nun, als Triptychon gerahmt, monumentale Ausmaße angenommen hat – ein Markenzeichnen der 1944 in Prag geborenen Künstlerin. Und die Nähe zum Betrachter entsteht dann doch noch: Durch die Spiegeleffekte der Hochglanzoberfläche wird man selbst zum Teil des Bildes, das ein Bild im Bild zeigt.
Der Schirm der Kraniche
Einen Blick zurück nach vorn warf der bedeutende Lackmeister der Meiji-Zeit Ogawa Shōmin (1847–1891), als er für diesen kleinformatigen Stellschirm Entwürfe eines der Erneuerer der japanischen Kunst, Ogata Kōrin (1658 –1716), aufgriff. Charakteristisch für die von Kōrin und Anderen begründete Rimpa-Malerei ist die Verbindung von Realismus und Stilisierung, hier exemplarisch vorgeführt in den mit höchster Kunstfertigkeit ausgeführten Kranichen aus Lack und Perlmutt vor einem abstrakten Hintergrund aus geflochtenem Bambus. Aus europäischer Perspektive faszinierend ist die Begegnung mit einem Künstler, der als Zeitgenosse der rapiden Modernisierung Japans im ausgehenden 19. Jahrhundert als Bewahrer und Erneuerer des kulturellen Erbes agierte: 1876 war er zur Weltausstellung nach Philadelphia gereist. Die Ausstellung wurde ein Meilenstein für die Ausbreitung der westlichen Japonismus-Mode in den Vereinigten Staaten, von der Europa bereits Mitte des Jahrhunderts erfasst wurde. In Japan war Ogawa Shōmin bekannt für seine Kopien klassischer Lackwerke, er wurde zum Mitbegründer der Japanischen Lackvereinigung (J. Nihon Shikko Kyōkai), die ihre Rolle in der Stärkung der Tradition sah. Zugleich gab er seit 1890 als Lehrer an der neu gegründeten Tokioter Kunstschule der Lackkunst neue Impulse. Zu bewundern ist der Stellschirm als zweiter Teil der geglückten Erwerbung bedeutender Objekte aus der Kollektion des Sammlers, Kunsthändlers und Mäzens Klaus F. Naumann, die das Museum für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder nun realisieren konnte.
Bischofs Büchlein
Als seien die schimmernden Goldblättchen gerade aufgelegt, die meisterhaften Miniaturen erst getrocknet und die Schreibfeder soeben abgesetzt – das vor über 500 Jahren entstandene Gebetbuch des Kölner Erzbischofs Hermann IV. von Hessen (um 1450 – 1508) beeindruckt mit leuchtender Farbfrische. Die gestalterische Finesse des bisher unbekannten, reich illuminierten Breviers ist eines Kirchenfürsten würdig: Großzügige purpurne, blaue und rote Initialen ruhen auf glänzendem Goldgrund, filigranes Flecht- und Federwerk sowie güldene Blätterranken und Rispen mit zarten Blüten umspielen die lateinische Fraktur. Zudem schmückte der Buchmaler das Pergament mit Heiligenfiguren, Fabelwesen und biblischen Szenen zu den Gebeten herausragender Kirchenfeste der Sommermonate. Wer das Büchlein um 1485 fertigte, ist den Wissenschaftlern noch ein Rätsel. Doch der Künstler arbeitete in einer Kölner Schreibstube, darauf weist das für die Domstadt charakteristische Buchdekor des Spätmittelalters. Mit Hermann von Hessen ist dagegen der Auftraggeber des kostbaren Kleinods bekannt: In einer besonders aufwändigen Miniatur mit dem Wappen der Landgrafen von Hessen kniet der „hermannus pacificus“ genannte, friedvolle Hermann vor der Heiligen Elisabeth, der Schutzpatronin derer von Hessen; Helfer schaffen eifrig Mitra, Krummstab und liturgisches Buch herbei. Das Blatt mit der Darstellung der Bischofsweihe ist ein neues Dokument zur Geschichte der Kölner Kirche, die sich unter dem Erzbischof auf Mildtätigkeit und Kulturförderung konzentrierte. Das Büchlein ergänzt im Historischen Archiv der Stadt Köln den Bestand an nach dem Einsturz im Jahr 2009 geretteten und restaurierten Dokumenten und eröffnet zahlreiche Querverbindungen zur Erforschung des Kölner Kunstschaffens. Die Forscher des Archivs brennen jedoch zuerst darauf, die erworbene Handschrift mit dem in der Liverpooler Walker Art Gallery vermuteten zweiten Teil des Buches abzugleichen, welches die Gebete der Wintermonate umfasst.
Papierne Zeitgeister
Berlin (West) 1964: Eine Mauer zerschnitt die Stadt, da träumte Klaus Wagenbach den Traum einer grenzenlosen Literatur. Doch seine Utopie eines Ost-West-Verlags für eine unteilbare deutsche Dichtkunst scheiterte schon früh an den politischen Realitäten. Nachdem der gerade gegründete Wagenbach-Verlag 1965 Wolf Biermanns „Drahtharfe“ in der Bundesrepublik zum Bestseller machte, belegten die obersten DDR-Behörden den jungen Verleger mit einem Lizenz- und Einreiseverbot. Die Historie des mittlerweile traditionsreichen Verlages spiegelt den wechselhaften Zeitgeist und die politischen wie literarischen Landschaften Deutschlands: Berühmt-berüchtigt sind nicht nur die Veröffentlichung von Ulrike Meinhofs Drehbuch „Bambule“, der Druck von RAF-Heften oder die letztlich gescheiterte Vision eines sozialistisch strukturierten „Verlags-Kollektivs“, sondern auch die bibliophilen Prachtbände und das breite Programm an philosophischen, literarischen und kunstwissenschaftlichen Publikationen des Hauses, das sich schon bald vom anfänglich ausschließlich links-politischen Image emanzipieren sollte. Das Archiv des Verlages Klaus Wagenbach – rund 260 Ordner und 2.100 große Umschläge mit Künstlerkorrespondenzen und Manuskripten von u. a. Günter Grass, Ingeborg Bachmann, Erich Fried oder Ernst Jandl – ist daher eine wertvolle Fundgrube für die Geschichts- und Literaturwissenschaft. Die Forscher der Staatsbibliothek zu Berlin, die das Archiv der Jahre 1964 bis 2004 jüngst vom Verlag erwerben konnte, beginnen nun, den papiernen Schatz zu bergen und aufzuarbeiten.
Malerisches Murnau
Murnau ist ein wahrhaft malerischer Fleck. Gelegen inmitten sanfter Hügel und umspielt vom intensiven Licht der Voralpen, beflügelte die Ortschaft zwischen 1909 und 1914 eine junge Malergeneration zu neuen Ausdrucksformen. Die Geburtsstätte der Künstlergruppe „Blauer Reiter“ inspirierte neben Wassily Kandinsky und Alexej von Jawlensky besonders Gabriele Münter (1877–1962) immer wieder zu expressionistischen Bildfindungen wie Farbexplosionen. In ihrem 1939 – nur wenige Monate vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges – geschaffenen Gemälde „Dorf mit grauer Wolke“ porträtierte die Künstlerin ihren Wohnort experimentierfreudig mittels Ölfarbe, Feigenmilch und Terpentin. Flächig prallen intensiv kolorierte, schwarz konturierte Farbfelder aufeinander; diese fügen sich in klaren, stark vereinfachten Formen zu einer atmosphärischen Ortsansicht vor blauer Hügelkette. Doch Gewitterwolken gleich dunkler Vorahnungen bäumen sich auf. Sie ergreifen krallenartig das idyllische Dorf und beginnen bereits den Giebel des Murnauer Schlosses im Bildzentrum zu verschatten. Im nur auf den ersten Blick harmlosen Landschaftsgemälde chiffriert Münter so die politischen Ereignisse: Denn das Grauen des Nationalsozialismus vollzieht sich längst nicht mehr nur in den Städten, sondern stürzt das ganze Land, selbst das friedliche Murnau, in die Katastrophe. Die Künstlerin war zur Zeit der Entstehung des Gemäldes selbst Opfer des Regimes, ihre Werke als „entartet“ verfemt und aus musealen Sammlungen verbannt – sie zog sich in ihre Wahlheimat Murnau zurück. Als politischer Kommentar der Künstlerin repräsentiert „Dorf mit grauer Wolke“ fortan im Schloßmuseum Murnau Münters Schaffen während der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland.
Tischlein wandle dich!
Die Form folgt der Funktion, lautet das Credo der modernen Designgeschichte, hier spielerisch vorgeführt vom großen Möbelkünstler Abraham Roentgen (1711 –1793). Noch bevor er 1750 in Neuwied seine Manufaktur gründete, fertigte Abraham in Herrnhaag in der Wetterau eine Gruppe englisch inspirierter Kirschholzmöbel an: Neben Stühlen und Hockern und einem Tisch mit kunstvoll gravierter Messing- und Perlmutteinlage gehört zu dem Ensemble diese kühne Konstruktion aus Spiel- und Schreibtisch – ein Verwandlungsmöbel, das technische Invention und handwerkliche Perfektion zu einer ästhetisch gelungenen Synthese bringt. Bis in die jüngste Zeit gehörten die Stücke zur Ausstattung von Schloss Büdingen, Wohnsitz der Familie Ysenburg-Büdingen, Roentgens damaligen Landesherren, und sind den Kennern seit langem als „Ysenburg-Salon“ bekannt. Dem Roentgen-Museum Neuwied ist nun die Erwerbung einer doppelten Rarität gelungen, denn eigenhändige Frühwerke Abraham Roentgens sind so selten wie Möbelensembles, die intakt den Wechsel von Moden und Generationen überstehen.