Kokoschkas Blau-Akkorde
Sanft spiegelt sich das leuchtende Blau von Himmel und Elbe in den großen Kinderaugen – in einem Meer aus Ultramarin fing Oskar Kokoschka 1921 das Antlitz der zehnjährigen Gitta Wallerstein ein. Das ausdrucksstarke Porträt – das der österreichische Maler und Graphiker in Dresden auf dem Gipfel seines künstlerischen Schaffens fertigte – erwarben die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) aus der Privatsammlung von Dr. Peter Hahn: Damit besitzt die Galerie Neue Meister nach 77 Jahren wieder ein kostbares Hauptwerk des Expressionisten.
Das Bildnis Gitta Wallersteins besticht mit den für Kokoschkas Dresdner Phase typischen farbintensiven Blau-Akkorden: Mit breitem Pinsel modellierte der Künstler die Tochter des jüdischen Kunsthändlers Victor Wallerstein aus zäher, großflächig vermalter Ölpaste, ließ dabei leuchtende Töne kontrastreich auf der Leinwand aufeinanderprallen. Im Porträt des Mädchens lebt die Ungezwungenheit und Frische des Malprozesses spürbar auf. Als Höhepunkte der Moderne pries die Kritik schon zu Lebzeiten die Werke Oskar Kokoschkas (1886–1980), der von 1916 bis 1923 in Dresden lebte und ab 1919 als bis dato jüngster Professor der Dresdner Kunstakademie einflussreich auf eine junge Künstlergeneration wirkte. Sechs Gemälde des als „Oberwildling“ gefeierten Künstlers bildeten ehemals das Herzstück der Dresdner Modernen Galerie: Die Bilder des von den Nationalsozialisten als „Entartetsten unter den Entarteten“ diffamierten Kokoschka wurden 1937 beschlagnahmt; sie sind heute in musealen Sammlungen rund um den Globus verstreut. Mit der Unterstützung der Kulturstiftung der Länder schließen die SKD mit dem Erwerb des seit 2005 als Leihgabe im Albertinum gezeigten Bildnisses diese schmerzhafte Sammlungslücke und bauen ihren Ruf als ein zentrales Forschungszentrum zum Werk Kokoschkas weiter aus. Das Patrimonia-Heft zum Gemälde „Gitta Wallerstein“ beschäftigt sich intentsiv mit dem Leben der Porträtierten und bitetet detailreiche Einblicke in die Malweise Oskar Kokoschkas.