Die Familie kehrt zurück

Ein echtes Schwergewicht ist Oskar Schlemmers Monumental-Malerei „Familie“ – nicht nur in künstlerischer Hinsicht. Über eine halbe Tonne wiegt das Kunstwerk, das der Bauhäusler Schlemmer 1940 auf eine Wand im Stuttgarter Haus des Verlegers Dieter Keller malte. 1995 sorgfältig durch Herausfräsen vor dem Abriss des Hauses gerettet, erwarb nun die Staatsgalerie Stuttgart aus einer ausländischen Privatsammlung das kostbare Kunstwerk auf Mauer und Putz. Damit kehrt nach 20 Jahren – mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Museumsstiftung Baden-Württemberg und dank vieler privater Spenden im Rahmen einer Sammelaktion – das Werk im Wohnzimmerwandformat von 2,2 x 4,5 Metern an seinen Entstehungsort zurück.

Oskar Schlemmer, Wandbild Familie, ursprünglich im Hause Dieter Keller, 1940, Wachsfarben und Bronzen auf imprägniertem und kreidegrundiertem Nessel, aufgeklebt auf Gipswand, 220 x 450 cm, Staatsgalerie Stuttgart © Foto: Galerie Valentien
Oskar Schlemmer, Wandbild Familie, ursprünglich im Hause Dieter Keller, 1940, Wachsfarben und Bronzen auf imprägniertem und kreidegrundiertem Nessel, aufgeklebt auf Gipswand, 220 x 450 cm, Staatsgalerie Stuttgart © Foto: Galerie Valentien

Familienglück, Familienleid und die Kunst im Schatten des Zweiten Weltkrieges: Die berühmten Wandbilder des als „entartet“ gebrandmarkten Oskar Schlemmer (1888–1943) – im Werkstattgebäude des Weimarer Bauhauses und im Essener Museum Folkwang – waren dem Bildersturm der Nazis längst zum Opfer gefallen, da erhielt der mit Berufsverbot belegte Maler und Bauhauslehrer vom befreundeten Kunstsammler Dieter Keller die Chance, im geschützten privaten Rahmen seine künstlerische Visionen in einer freien Wandgestaltung zu verwirklichen. Im Geheimen plante der in Stuttgart geborene Künstler wie besessen in rund 80 Vorstudien das gegen die Kunstdoktrinen des nationalsozialistischen Regimes ankämpfende Kunstwerk. Mit sparsamen Mitteln verdichtet Schlemmer die persönliche Geschichte der Eheleute Dieter und Martha Keller zwischen Familienglück und Kriegstrauer: Vor geometrischen Abstraktionen in blassen Grundfarben schweben die Silhouetten von Mann, Frau und Kind im weißen Raumgrund. Die Familie ist eingekeilt zwischen zwei rätselhaften bronzefarbenen Gestalten – einer aus dem Bild schreitenden Figur, einem Verweis auf den Frontdienst Kellers während der Schwangerschaft seiner Ehefrau, und einem großen Kopf im Profil, Sinnbild für das „Schicksal, wie es uns anschaut“, so Martha Keller in einer brieflichen Rückschau.

Mit dem Werk „Familie“ sichert sich die Staatsgalerie Stuttgart das letzte Wandbild Oskar Schlemmers und zugleich dessen zentrales Spätwerk, in dem der in Stuttgart geborene Künstler seine lebenslange Beschäftigung mit abstrakten Farb-Form-Kompositionen und der Figur im Raum zu einem Höhepunkt in seinem Schaffen vereint. Das Werk ergänzt im Museum, einem Zentrum für das Schaffen Schlemmers, 45 Gemälde und Skulpturen, rund 250 Graphiken und das umfangreiche Schlemmer-Archiv.