Kölner Jahreszeiten
Dazu gehört der kleinformatige Kalender, der in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts geschrieben und illuminiert wurde. Die 12 Blätter sind nur 14,8 cm hoch und 11 cm breit. Die reich verzierten Vorderseiten weisen die Tagesdaten bis zur Monatsmitte auf, die zweite Hälfte des Monats befindet sich, lediglich mit Schmuckbuchstaben verziert, auf den jeweiligen Rückseiten.
1966 wurde die Handschrift auf einer Auktion erworben, weil ihr Auftraggeber mit Sicherheit ein Kölner war. Kölner Heilige nehmen im Kalendarium einen prominenten Platz ein. Der Soldatenheilige Gereon mit Gefährten (1.10.), die 11.000 Jungfrauen (21.10.), die Kölner Erzbischöfe Severin (23.10.) und Kunibert (12.11.) sind mit roter Tinte eingetragen; demzufolge wurden ihre Gedenktage als Hochfeste begangen. „Einfache“ Feiertage sind Erzbischof Anno (3.12.) und dem Gedächtnis der Thebäischen Legion (24.11.) gewidmet, wobei die Commemoratio Thebeorum ein spezifisches Fest der Kölner Diözese ist, das zusätzlich zu den heiligen Thebäern (Mauricius und Gefährten, 22.9.) begangen wurde.
Mit Gewissheit war ein wohlhabender Laie der Auftraggeber des Kalenders, denn die Blätter waren ursprünglich Teile eines Stundenbuchs. Dieses Andachtsbuch für Laien wurde im Laufe des 13. Jahrhunderts für ein anspruchsvolles Publikum entwickelt. Stets enthielt es ein Kalendarium, einige Tagzeiten, d. h. Andachten, die zu bestimmten Zeiten des Tages (Horen/Stunden, daher die Bezeichnung „Stundenbücher“) gebetet wurden, ferner die Bußpsalmen, die Allerheiligenlitanei, die Totenvigil mit den Gebeten für die Wache am Totenbett sowie weitere Elemente je nach Wunsch des Auftraggebers. Von unserem Exemplar ist nur der Kalender, sicherlich wegen seines wertvollen Bilderschmuckes, erhalten.
Die Bildseiten der Monate sind sorgfältig ausgeführt. Sie weisen Schmuckleisten in Blau und Gold auf, die in kleinen Drolerien oder Ornamenten münden. Die Monatsarbeiten befinden sich jeweils links oben in einem rechteckigen Feld und die Sternkreiszeichen rechts unten innerhalb einer mit drei Türmchen bekrönten Architektur in runden Medaillons. Der Hintergrund der Bildfelder ist mit Blattgold belegt. Die Miniaturen folgen den üblichen Ikonographien der Sternzeichen und greifen gängige Motive des ländlichen Jahreskreises auf wie Heumahd, Kornschnitt, Kelter und Einsaat. Mit großer Präzision sind in den kleinen Feldern, die dem Maler gerade einmal zwei Quadratzentimeter Raum bieten, Kleidungsstücke, Arbeitsgeräte und andere Gegenstände wiedergegeben.
Der abgebildete Monat Juni steht im Sternzeichen des Krebses. Die Monatsarbeit thematisiert die Holzgewinnung: Auf einem Rungenwagen, der für den Transport von Baumstämmen bestimmt ist, steht ein Arbeiter, der Brennholz lädt. Die Hinterbeine des Zugtieres sind noch sichtbar. Die Zuordnung der Arbeit im Wald zum Juni ist äußerst ungewöhnlich. Normalerweise ist das Holzfällen und -fahren den Wintermonaten zugeordnet. Die hier gewählte Juni-Darstellung ist möglicherweise ein Hinweis auf einen Auftraggeber, der wohl aus der patrizischen Kölner Oberschicht stammte. Im Mittelalter wurde nämlich jeweils am Donnerstag nach Pfingsten in Köln der sogenannte Hölzgesdag begangen. Er erinnerte an den Kölner Ritter Marsilius, der während einer Belagerung einen römischen Kaiser mit einem raffiniert geplanten Ausfall zur Beschaffung von Holz getäuscht haben soll. Große Teile der Bevölkerung nahmen alljährlich an diesem volkstümlichen Frühlingsfest teil, das mit einem Festmahl im Haus eines Patriziers ausklang. Es ist ein großes Glück, dass diese Handschrift nicht völlig zerstört wurde. Wie alle Kölner Archivalien muss sie dringend restauriert und von aggressivem Staub gereinigt werden.