Erwerbungen

Odyssee einer Dorfstraße

Otto Modersohn, Dorfstraße in Worpswede, 1897
Otto Modersohn, Dorfstraße in Worpswede, 1897

Jahrzehntelang war sie verschollen, jetzt ist sie wieder da: Otto Modersohns farbenprächtige „Dorfstraße in Worpswede“, gemalt 1897 und alsbald aus einer Breslauer Ausstellung heraus an einen Industriellen verkauft. Noch dessen Witwe bewahrte das Bild, doch als sie mit ihrem neuen Mann, dem Pianisten, Kommunisten und Juden Bruno Eisner 1936 nach New York emigrieren musste, blieb das Werk zurück. Zum letzten Mal erscheinen sollte es in der Großen Deutschen Kunstausstellung 1937, wo nach der „Säuberung der Kunsttempel“ alles Gute und Gesunde nach neuer deutscher Kunstauffassung Urständ feierte. Ein halbjüdischer Arzt, wie man heute weiß, erwarb das Gemälde dort. Dann verliert sich die Spur. Ein knappes Dreivierteljahrhundert später kam Post aus Mittelamerika: Der Sohn und Erbe des damaligen Käufers offerierte dem Otto-Modersohn-Museum das Bild. Lange hatte man dort nach jenem expressiven Hauptwerk des Worpsweder Meisters gesucht – jetzt, nach einer gütlichen Einigung zwischen dem Otto-Modersohn-Museum und den Erben der Vorbesitzer, gelangt das idyllische Gemälde in das nicht minder idyllische Fischerhude nahe Bremen, Heimat des Museums.

Träume und Albträume

Arnold Böcklin, Schlafende Diana, von zwei Faunen belauscht, 1877
Arnold Böcklin, Schlafende Diana, von zwei Faunen belauscht, 1877

Wie kaum ein zweiter traf Arnold Böcklin (1827–1901) den Nerv der Zeit – besser: die Nerven, und hier besonders die Sehnsucht nach Ruhe und Einkehr. Während in ganz Europa explodierende Industrie und rasantes Wachstum jahrhunderte­alte Gesellschaftsstrukturen auf den Kopf stellten, schuf der Düsseldorfer Malerschüler in seiner Wahlheimat Italien Abbilder eines seligen Arkadiens: Schlafende Nymphen, lauschende Faune, sommerstille Landschaften: kurzum „Bilder zum Träumen“. Je rastloser die Zeiten, desto geliebter der Schweizer. Auf dem Gipfel einer alles zerreißenden Epoche – Hitler persönlich erbaute sich an seiner Fassung der weltberühmten „Toteninsel“ – verlor auch die jüdische Bankiersfamilie Behrens „ihren“ Böcklin: die „Schlafende Diana“. Kein geringerer Platz als das „Führermuseum“ in Linz war für das Gemälde vorgesehen, das aller Wahrscheinlichkeit nach unter dem Druck der Verfolgung verkauft worden war – und nun restituiert worden ist. Seit 1966 verwahrte Düsseldorf das Bild. Und es bleibt an der Wand im dortigen „museum kunst palast“. Denn die Stadt und die Erben der Familie Behrens haben sich gütlich darüber geeinigt.

Prinzchen in Pastell

Christoph Friedrich Reinhold Lisiewsky, Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, um 1758
Christoph Friedrich Reinhold Lisiewsky, Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, um 1758

Jungs blau, Mädchen rosa: Was sich noch heut im Kinderzimmer schickt, das war bereits im Rokoko en vogue. Und wo in Deutschland mochte man dies kultivierter präsentieren als in Anhalt-Dessau? Christoph Friedrich Reinhold Lisiewsky hieß der Hofmaler des Landesfürsten; er war bekannt dafür, mehr zu grübeln vor der Leinwand als zu malen. Hartes Sitzfleisch selbst der zarteren Modelle tat aus diesen Gründen not. So auch beim jungen Fürsten Franz und seinem Schwesterchen Agnese. Doch die Ergebnisse belohnten alle Mühen. Stupende Lebensnähe, Wachheit, Witz und feine Charakterisierung, brillante Farbe, technische Bravour und souveräner, klarer Bildaufbau. Wer nach 1750 konnte diesem Porträtisten noch das Wasser reichen? Das, so Johann Gottfried Schadow, war der „Triumph der Prosa in der Malerei“! Die Kulturstiftung DessauWörlitz hat jetzt die beiden einzigen gesicherten Pastelle von Lisiewsky für Schloss Mosigkau erworben.

Biblisches Universum

Bibel-Sammlung Walter Remy; Bibelmuseum der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Bibel-Sammlung Walter Remy; Bibelmuseum der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

Sein ganzes Leben hat der nun fünfundsiebzigjährige Rechtsanwalt und Antiquar Walter Remy Bibeln und wertvolle Bücher gesammelt. Aber nicht nur die seltenen Ausgaben, Illustrationen, kostbaren Inkunabeln und prächtigen Einbände haben ihn interessiert. Wer sich mit ihm unterhält, erfährt, dass die Bibel und ihre Botschaft sein Leben bestimmten. Und das nicht von ungefähr – denn Walter Remy stammt aus einer der ältesten Hugenottenfamilien Deutschlands, und das Lesen der Heiligen Schrift gab ihm Identifikation und Heimat. Besonders interessante und schöne Stücke aus seinem Antiquariat hat er nicht verkauft, sondern bis zuletzt behalten. Über 600 lateinische, griechische, syrische, hebrä­ische und mehrsprachige Bibeln kamen so zusammen, Inkunabeln und Drucke aus dem 15. bis zum 18. Jahrhundert. Durch den Erwerb der Bibel-Sammlung Remy rückt das Münsteraner Bibelmuseum in eine Reihe mit den Spezialsammlungen der Württembergischen Landes­bibliothek in Stuttgart und der Herzog August Biblio­thek in Wolfenbüttel. Die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Münster plant innerhalb des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ Forschungs­projekte mit der nun erworbenen Kollektion. Anlässlich der Präsentation der Sammlung sorgte Walter Remy noch für eine Überraschung: Er übergab eine 1541 entstandene Lutherbibel mit Holzschnitten von Lucas Cranach. Ein fürstliches Geschenk!

Poesie in Öl

Paul Klee, Rhythmus der Fenster, 1920, Öl auf Karton (auf Holz aufgezogen). 51,5x41,3 cm, Staatsgalerie Stuttgart
Paul Klee, Rhythmus der Fenster, 1920, Öl auf Karton (auf Holz aufgezogen). 51,5×41,3 cm, Staatsgalerie Stuttgart

Zeit seines Lebens zur Dichtung und Musik hingezogen, versah Paul Klee seine Bilder mit poetischen Titeln wie „Tanze, Du Ungeheuer, zu meinem sanften Lied“ oder „Einst dem Grau der Nacht enttaucht“. Den Betrachter vermochte er auf diese Weise unmittelbar in seine zauberhafte Bilderwelt einzuführen. Gegen die Musik und für die Kunst hatte sich schon der junge Klee bei der Wahl seiner Ausbildung entschieden und sich zunächst im Zeichnen und Radieren geübt. Doch der „Blaue Reiter“ in München mit den farbenreichen Bildern Kandinskys, aber auch die „Fensterbilder“ Robert Delaunays, die, wie Klee notierte, „ohne Motive aus der Natur ein ganz abstraktes Formdasein“ führten, sollten dem späteren Bauhaus-Lehrer die Tür zur Malerei und zu einer neuen Bildsprache öffnen. Auf seiner Reise nach Tunis 1914 gemeinsam mit August Macke und Louis René Moilliet entdeckte Klee schließlich die Farbe ganz für sich: „Die Farbe hat mich.“ Damit war der Boden für seine symbolisch-abstrakten Bilder bereitet. Zeichnungen und Aquarelle dominieren zwar im Schaffen Klees, doch nach dem Ersten Weltkrieg wandte sich der Maler verstärkt der Ölmalerei zu. Kurz vor seinem Ruf an das Bauhaus in Weimar 1920 entsteht das Ölbild „Rhythmus der Fenster“, das zu den großen Bild­erfindungen aus der starken Phase jener Jahre gehört: Aus einem von tiefem Blau zu Violett oszillierenden Bildgrund arbeitet sich Klee mit Weiß in hellere Zonen vor und setzt mit leichter Hand graphische Akzente. Quadrate, Kreise und Dreiecke formieren sich zu Häusern, Fenstern, Pflanzen und Gestirnen; Abstraktes und Figürliches verschmelzen zu einem poetischen Universum. Auf der ersten retrospektiven Einzelausstellung Klees 1920 in München gezeigt, wird das Gemälde bereits vier Jahre später von der Staatsgalerie Stuttgart erworben – doch sollte es dort zunächst nur 13 Jahre hängen. Denn zusammen mit 53 weiteren Gemälden und Skulpturen sowie 285 Arbeiten auf Papier wird das Bild 1937 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München präsentiert. Bis auf wenige Ausnahmen liegt das Schicksal der meisten damals in der Staatsgalerie konfiszierten Werke bis heute im Dunkeln – um so erfreulicher, dass Paul Klees „Rhythmus der Fenster“ nach rund 70 Jahren nach Stuttgart zurückgekehrt ist.

Maler und Fürst

Johann Christian Fiedler, Selbstbildnis mit dem Porträt des Landgrafen Ludwig VIII. von Hessen-Darmstadt, 1752
Johann Christian Fiedler, Selbstbildnis mit dem Porträt des Landgrafen Ludwig VIII. von Hessen-Darmstadt, 1752

Auf den ersten Blick scheint er bescheiden, der Herr Oberkabinettmaler Johann Christian Fiedler, in einfacher Malertracht auf diesem Selbstbildnis, immer im treuen Dienst des Landgrafen Ludwig VIII. am Darmstädter Hof, dessen Porträt er gerade beendet. Den Fürsten dagegen zeigt er edel im Hermelin, mit dem polnischen weißen Adlerorden an der Uniform des königlichen Generalfeldmarschalls. Und doch, auf den zweiten Blick, wirkt der Ausdruck im Gesicht des Künstlers prüfend, fast ein wenig arrogant. So einfach ist sie doch nicht, die Arbeitskluft des Malers: golddurchwirkt der Hausmantel, aus Pelz die modische Mütze, artistisch die Haltung seines Pinsels. Das Gemälde ist signiert und datiert – hier hat der 55-jährige Chefmaler des Hofes, oberster Porträtist der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt und der umliegenden Länder, führender Maler des Darmstädter Rokoko unterzeichnet. Streng und konzentriert entwirft Fiedler das gültige Abbild seines Fürsten, verleiht dem Regenten und seinen Taten Ewigkeit – im Bild im Bild. Überraschend tauchte das Selbstporträt von 1752 im Kunsthandel auf: Im Museum Jagdschloss Kranichstein in Darmstadt fand es jetzt seinen schönsten Platz – direkt neben Fiedlers bereits ausgestelltem Bildnis seines Fürsten.