Keine Experimente?
Die 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren nicht gerade arm an gesellschaftlichen Umbrüchen – auf den Straßen der großen Universitätsstädte revoltierten die Studenten („Macht kaputt, was Euch kaputt macht!“), die englische Pop-Musik füllte Fußballstadien mit innovativer Musik und kreischenden Fans und in der bildenden Kunst stellte eine neue Künstlergeneration die Ästhetik des Informel in Frage und verbannte sie auf die Schreibtische der Kunsthistoriker. Paris wurde seit Ende des Zweiten Weltkrieges mit der École de Paris und den Nouveaux Réalistes als Zentrum der Nachkriegs-Kunstwelt gefeiert, doch nun machten zunehmend US-amerikanische Künstler und eine junge Künstlergeneration im Rheinland von sich reden. Sie wandten sich von der Malerei ihrer Lehrer ab, probierten jenseits von Leinwand und klassischer Skulptur neue Formate und Techniken aus und entwarfen Visionen einer Einheit von Kunst und Leben.
1959 erschien zum ersten Mal auf der großen Bühne der documenta 2 in Kassel aktuelle US-amerikanische Kunst, ein Auftritt mit Folgen. Wie der spätere Galerist Rudolf Zwirner, damals Generalsekretär der documenta 2, berichtet, übernahmen die Verantwortlichen Arnold Bode und Werner Haftmann ungesehen ein kostenlos angeliefertes und vom Museum of Modern Art in New York, kuratiertes Konvolut mit Werken von Künstlern wie Jackson Pollock, Mark Rothko und Robert Rauschenberg. Wegen der unerwarteten Größe dieser Bilder – Zwirner musste gestehen, dass er ihre Maße nicht überprüft hatte – konnten sie nur im Erdgeschoss des Museum Fridericianum präsentiert werden, was die eher kleinformatige Kunst aus den anderen Ländern in die Nebenräume und die oberen Stockwerke und damit auch unversehens auf die Plätze verwies: Heftige interne Auseinandersetzungen sowie Besucherreaktionen auf den US-Import waren die Folge.
Doch waren die Frische und Energie dieser Kunst – radikale Experimente mit Material, Form und Format, zeitbezogene Künste wie Performance oder Film /Video, Op-Art, Pop-Art, Minimal Art, Konzeptkunst, Land-Art, die nach und nach ins Rheinland kamen – nicht zu übersehen. Einige Museumsdirektoren (und mit ihnen eine noch überschaubare Anzahl von Künstlern, Galeristen, Kunstkritikern und Sammlern) reagierten mit einer gewissen Zeitverzögerung, dann aber doch entschieden: Hier war sie endlich, die zweite Avantgarde – nach der Verfemung der ersten durch die Nazis! Dieser Begriff aus der Militärsprache, der sich als „Vorhut“ (mit Feindberührung) übersetzen lässt, kennzeichnete die folgenden Jahrzehnte wie kein zweiter. Er ließ sich – je nach Sichtweise – auf die spröde Konzeptkunst eines Carl Andre oder Sol LeWitt, auf die Fluxus-Arbeiten eines Joseph Beuys wie auf die dem realen Leben abgeschaute und marktfreundliche Pop-Art eines Roy Lichtenstein oder Andy Warhol, sogar auf Film und Video anwenden. Die hohe Aktivität der rheinischen Kunstszene und ihrer Akteure, mit angefeuert durch die Studenten und einen Teil der Professoren der Düsseldorfer Kunstakademie, ließ die „Kunstfamilie“ sich rasch vermehren und führte zu der weltweit bis heute einzigartigen Vielzahl von Museen und Ausstellungshäusern für zeitgenössische Kunst an Rhein und Ruhr.
Im Europa der 1960er Jahre stehen im Wesentlichen sechs Orte und sieben Namen für die Avantgarde: in Luzern Jean-Christophe Ammann, in Bern Harald Szeemann, in Amsterdam Willem Sandberg und später Wim Beeren, in Kopenhagen Knud W. Jensen, in Stockholm Pontus Hultén und später in Eindhoven Rudi Fuchs. In Deutschland, genauer gesagt im Rheinland, ragte früh eine charismatische und weit über die Grenzen strahlende Figur heraus: Paul Wember, von 1947 bis 1975 Direktor des Kaiser-Wilhelm-Museums in Krefeld. Er setzte von Beginn seiner Amtszeit an radikal auf aktuelle Kunst – nicht zuletzt aus Kostengründen – und verursachte damit auch überregional widerhallende Skandale wie bereits 1961 mit einer Ausstellung von Yves Klein im zu den Krefelder Museen gehörenden Haus Lange.
Andra Lauffs-Wegner, eine der sechs Töchter des Unternehmers Walter Lauffs, erinnert sich: Ein Artikel von Hans Strelow vom 22. Dezember 1967 in „Die Zeit“ über Paul Wember – interessanterweise betitelt mit „Keine Experimente“, obwohl er das Engagement des Krefelder Museumsdirektors für die Avantgarde zum Thema hatte – begeisterte ihren Vater so sehr, dass er Kontakt zu Wember aufnahm. Daraus entwickelte sich Wembers langjährige Beratung der Familie Lauffs: „Nur ganz selten hat mein Vater etwas eigenständig gekauft.“ Etwa 500 Werke der aktuellen Kunst, meist Hauptwerke, wie sich später herausstellte, wurden zusammengetragen und im Krefelder Museum ohne vertragliche Bindung über 40 Jahre immer wieder ausgestellt. Andra Lauffs-Wegner hat im Krefelder Museum ihre Initiation als Sammlerin erfahren: „Wenn man zu Wember gefahren ist, kam man immer glücklich nach Hause, richtig beglückt! Jede Eröffnung war ein Ereignis.“ Julian Heynen, stellvertretender Direktor des Krefelder Museums unter Wembers Nachfolger Gerhard Storck und danach viele Jahre Kurator der Kunstsammlung NRW, erinnert sich: „Paul Wember ist nicht viel gereist, denn bis man damals eine Dienstreise von der Stadt genehmigt bekommen hat, dauerte es lange. Außerdem war Wember Kriegsinvalide. Er fuhr alle paar Jahre nach Paris. Sein erster Kontakt im Rheinland war [der Galerist] Alfred Schmela.“ Wember nutzte im Laufe der Jahre die sich schnell entwickelnde Galerienlandschaft des Rheinlands: Haus Lange wurde 1969 mit der legendären Ausstellung „Live in your Head – When Attitude Becomes Form“ von Harald Szeemann wiedereröffnet, bei der viele Künstler der beiden Galerien Konrad Fischer und Rolf Ricke vertreten waren.
Auch die beiden anderen Museen, die entschieden für die deutsche Avantgarde und für die junge Künstlergeneration von der Ostküste der USA eintraten, standen in der rheinischen Provinz, in Mönchengladbach und Leverkusen: Johannes Cladders, ab 1957 Assistent von Paul Wember und von 1967 bis 1985 Direktor des Mönchengladbacher Kunstmuseums, nach dem Neubau umbenannt in Museum Abteiberg, und die beiden Direktoren von Museum Schloss Morsbroich in Leverkusen, Udo Kultermann von 1959 bis 1964, gefolgt von Rolf Wedewer von 1965 bis 1995. Sie machten ihre Museen neben Krefeld für die kommenden Jahre zu deutschen Zentren für Konzeptkunst, Minimal Art und später Arte Povera, wobei „Konzeptkunst“ durchaus weitherzig ausgelegt wurde und aufsteigende regionale Matadore wie Joseph Beuys, Sigmar Polke und Gerhard Richter einschloss. Sie alle hatten, wie es Karl Ruhrberg einmal beschrieb, nicht nur keine Scheu, sondern im Gegenteil große Lust daran, sich „mit dem erschütterten Museumsbegriff, dem erschütterten Kunstbegriff und dem erneuerten gesellschaftlichen Verständnis von Kunst“ in direkter Kooperation mit den Künstlern zu beschäftigen. So klein die Museen waren, sie wollten an die Spitze der Kunstentwicklung in Westdeutschland. Marianne Stockebrand, ehemalige wissenschaftliche Assistentin am Krefelder Museum, erinnert sich gern an die besondere Atmosphäre jener Jahre: „Wir waren damals keine Konkurrenten, im Gegenteil, man war froh, wenn sich auch andere mit den Künstlern unserer Avantgarde beschäftigten. Wir mochten halt die spröde Kunst lieber als Pop oder marktgängige Arbeiten.“
Die politisch an Bedeutung gewachsene Virulenz der künstlerischen Aktivitäten und Aktionen, auch die Fluxus-Veranstaltungen mit Bazon Brock, Wolf Vostell und Joseph Beuys führten zu teils spektakulären Konfrontationen. Erinnert sei an die Attacke auf Beuys während des „Festivals der Neuen Kunst“ 1964 an der Aachener Technischen Hochschule, als der Faustschlag eines Zuschauers bei Beuys ein Nasenbluten auslöste und dieser geistesgegenwärtig aus der Tasche ein Kreuz zog und mit deklamatorischer Geste in die Höhe hielt – fotografiert von Heinrich Riebesehl und als Ikone eingegangen in die Kunstgeschichte. Wobei bis heute die Frage unbeantwortet ist, warum Beuys das Kreuz mit sich führte.
Auch der eher traditionelle Ausstellungsbetrieb führte zu gehöriger öffentlicher Empörung wie Harald Szeemanns von der Stadt Köln beauftragte Ausstellung „Happening und Fluxus“ von 1970 (Teilnehmer: Joseph Beuys, Günther Brus, Alan Kaprow, Charlotte Moorman, Otto Mühl, Hermann Nitsch, Ben Vautier und Wolf Vostell) im Kölnischen Kunstverein, die massenhafte Vereinsaustritte zur Folge hatte.
Im Rheinland entstanden im Zuge der gesellschaftlichen und künstlerischen Umwälzungen neue Institutionen: 1968 gründete Klaus Honnef, Kunstkritiker bei den Aachener Nachrichten, mit dem Wirt Will Kranenpohl und der Künstlerin Rune Mields den Verein „Zentrum für aktuelle Kunst – Gegenverkehr e.V.“, der bis 1972 existierte und sich ganz der zweiten Avantgarde verpflichtet hatte. Es wurden Undergroundfilme gezeigt, Gerhard Richter hatte 1969 dort seine erste Einzelausstellung, Eat Art von Daniel Spoerri und Pin-Up Girls von Mel Ramos fanden ihren Weg in die Grenzstadt. Zeitweise hatte der Verein 500 zahlende Mitglieder. Honnef und Mields zogen weiter an den Kunstverein in Münster, wo sie ihr radikales Programm fortsetzten.
1967 eröffnete die Städtische Kunsthalle in Düsseldorf und im gleichen Jahr eine weitere in Köln. Diese Häuser sollten keine eigene Sammlung aufbauen, sondern hatten stattdessen den Auftrag, Ausstellungen losgelöst vom Museumsbetrieb zu machen oder, wie in Köln, den städtischen Museen die nötige Ausstellungsfläche bereit zu stellen. Karl Ruhrberg, erster Direktor der Düsseldorfer Kunsthalle, vorher Journalist und zeitweise Operndramaturg mit Ausgleichssport Boxen, geriet mit dem damals von vielen Künstlern als architektonisch völlig ungeeignet abgelehnten brutalistischen Gebäude zwischen die Fronten. Als er 1969 die aus Den Haag übernommene Ausstellung „Minimal Art“ eröffnete, gab es lautstarken Protest von Studenten gegen die „elitäre Kunst“, darunter auch von Jörg Immendorff, der einem anderen Künstler Honig in die Haare pumpen wollte. Ruhrberg erinnerte sich in einem Interview mit Uwe M. Schneede kurz vor seinem Tod 2006: „Ich war damals noch Mitglied des Boxrings Düsseldorf und stand auf der Treppe […]. Und dann habe ich gesagt: ‚Immendorff, die Garderobe ist da unten!‘ Ich hätte ihm auch eine gelangt. Das hat er gemerkt. Und da ist er brav die Treppe herunter gegangen und hat die Honigpumpe abgegeben.“ Stein des Anstoßes und vieler hitziger Diskussionen war die Haltung Ruhrbergs, die Museen nicht zu zerstören, wie die Studenten es forderten, sondern für neue Aufgaben zu öffnen.
Auch Sammler suchten die Öffentlichkeit: 1968 zeigte der Schokoladenfabrikant und promovierte Kunsthistoriker Peter Ludwig aus Aachen unter dem Titel „Kunst der sechziger Jahre“ zum ersten Mal seine rasch wachsende Kollektion aktueller Kunst mit viel US-amerikanischer Pop-Art, aber auch Franzosen und Deutschen, im dortigen Suermondt-Museum, 1969 dann mit ungleich größerem und nachhaltigem Erfolg im Kölner Wallraf-Richartz-Museum. Diesen Erfolg verdankte Ludwig unter anderem dem Katalog zur Ausstellung, den er von Wolf Vostell gestalten ließ und der in fünf Auflagen seinen Siegeszug durch die internationale Kunstwelt antrat – den Vertrieb hatte Ludwig dem späteren Kunstbuchhändler und Verleger Walther König übertragen. Im Jahr zuvor hatte an gleicher Stelle der Chefrestaurator der Kölner Museen, Wolfgang Hahn, mit seiner vorbildhaften internationalen Sammlung ein erfolgreiches Gastspiel gegeben.
Und zeitgleich erschienen schließlich auch Galerien neuen Typs, die eine Schlüsselrolle in der Öffnung des Rheinlandes hin zu amerikanischer Kunst und dem Einzug von Minimal Art, Konzeptkunst und der ihnen verwandten Arte Povera mit Mario Merz und Jannis Kounellis an den Rhein übernahmen: 1967 eröffnete der Künstler Konrad Lueg als Konrad Fischer mit seiner Frau Dorothee seinen ersten Ausstellungsraum „Ausstellungen bei Konrad Fischer“ in Düsseldorf mit einer Präsentation von Carl Andre. Anfang 1968 kam der Galerist Rolf Ricke aus Kassel nach Köln und eröffnete mit Jasper Johns. Den jungen Schallplattenhändler hatten die documenta 1, insbesondere aber die documenta 2 mit den schon erwähnten Arbeiten von Pollock, Rothko und Rauschenberg so elektrisiert, dass er fast täglich die Ausstellung besucht und sie systematisch durchfotografiert hatte.
Die Galerien Fischer und Ricke verband bei allen Unterschieden eins: die Leidenschaft für aktuelle, noch nicht durchgesetzte Kunst, hohe Risikobereitschaft und überaus schmale finanzielle Mittel. Konrad Fischer hatte als Künstler eine Antenne für Künstler und ihre Bedürfnisse. Aber er hatte auch einen guten Freund: Kasper König lebte zu der Zeit in New York und kannte sich bestens aus. Er verdiente sich seinen Unterhalt als Scout und Vermittler von Kunst und Künstlern nach Europa und umgekehrt. Da Fischer vorerst aus finanziellen Gründen nicht reisen konnte, aber durch Kunstzeitschriften gut informiert war, bat er König, ihm zu helfen. Er bot ihm sogar eine Teilhaberschaft an, die König aber ausschlug. Jahrelang war gerade genug Geld für den Hin- und Rückflug der Künstler vorhanden; für das karge restliche Budget war Dorothee Fischers Gehalt als Lehrerin unverzichtbar. Die ersten Jahre wohnten die Künstler bei den Fischers, wurden gut versorgt und erarbeiteten die Ausstellung meist vor Ort. Diese herzliche Gastfreundschaft machte in der New Yorker Kunstszene schnell von sich reden – sie war das erste und vielleicht wichtigste Kapital für Dorothee und Konrad Fischer, wobei sein immer waches und begabtes Marketingtalent für seine Künstler bald große Erfolge erzielte.
In den ersten beiden Jahren realisierte Fischer bereits 25 Ausstellungen in der kleinen Galerie in der Neubrückstraße 12, einem elf Meter langen und kaum drei Meter breiten Tordurchgang. Die meisten waren Erstpräsentationen in Deutschland: Richard Artschwager, Richard Long, Hamish Fulton, Dan Flavin, Jan Dibbets, Bruce Nauman, Panamarenko, Hanne Darboven, Lawrence Weiner und viele mehr. Obwohl er keine Verträge mit den Künstlern schloss, blieben die meisten von ihnen der Galerie bis heute treu. Thomas Kellein konstatierte 2010: „Seine legendäre Wirkung manifestierte sich zusammengefasst darin, dass er in der rheinischen Kunstszene für viele Jahre nach 1967 – vergleichbar nur mit Joseph Beuys – der wahrscheinlich wichtigste Wegweiser für die tragfähigen künstlerischen Richtungen war.“ Und Friedrich Meschede, Nachfolger von Kellein als Direktor der Kunsthalle Bielefeld, ergänzt: „Man muss sich klar machen, dass Konrad Fischer über die Jahre erfolgreich mit drei verschiedenen Künstlergenerationen gearbeitet hat, eine seltene Leistung!“ Fischer starb 1996, seine Frau Dorothee führte die Galerie bis zu ihrem Tod 2015 weiter, seither leitet Tochter Berta Fischer die Galerie, inzwischen mit einer Dependance in Berlin.
Rolf Ricke hatte auf andere Weise Glück: Der Industrielle und Sammler Hans Joachim Etzold aus Moers am Niederrhein gab ihm im Dezember 1964 rund 16.000 DM (damals 4.000 Dollar), um in New York für ihn amerikanische Pop-Graphik einzukaufen, wie sie Etzold bei Paul Wember im Krefelder Haus Lange gesehen hatte. Ricke konnte im Januar 1965 einen Exklusivvertrag für den Europavertrieb mit der legendären Tatjana Grossmann abschließen, die damals sämtliche Graphiken für die Pop-Künstler druckte. Es gelang ihm, alle Wünsche Etzolds zu erfüllen, der ihm die Arbeiten für eine Ausstellung in seiner Kasseler Galerie überließ – da sie bereits verkauft waren, hatte Ricke kein Risiko. 1967 begann er, wie Harald Szeemann es ausdrückte, „das Abenteuer mit der Objekt- und Prozesskunst“ mit einer Ausstellung von Gary Kuehn, die – wie viele spätere in Köln – vor Ort in Kassel entstand. Ricke, der seine guten Beziehungen nach New York so eifrig pflegte wie sein Düsseldorfer Kollege Fischer, wurde zum Galeristen von Richard Serra, James Rosenquist, Keith Sonnier, Bill Bollinger, von den Deutschen Michael Buthe, Ulrich Rückriem und anderen. Pop-Art verkaufte er jahrelang an Peter Ludwig, der ihn aber verließ, als Ricke sich der Konzeptkunst zuwandte. Rolf Ricke ging zur Wende 1967/68 nach Köln, um vom aufstrebenden Kunstmarkt zu profitieren. Das Terrain vorbereitet hatten ihnen in Düsseldorf seit 1957 hauptsächlich die Galeristen Jean-Pierre Wilhelm (der seine „Galerie 22“ allerdings schon 1960 aufgab) und Alfred („Vatta“) Schmela. In Köln waren es Hein Stünke mit der Galerie „Der Spiegel“, die sich seit 1945 zum wichtigsten künstlerischen Diskursort in Köln entwickelt hatte, und später Rudolf Zwirner, der 1962 aus Essen nach Köln umgezogen war. Flankiert wurden diese ersten Wegbereiter von der Wuppertaler „Galerie Parnass“ des Architekten Rudolf Jährling, die sich seit 1949 bis zu ihrer Schließung 1965 radikal den aktuellen Entwicklungen in Frankreich und Deutschland verschrieben hatte und seit dem Beginn der sechziger Jahre mit ihren Happening- und Fluxus-Veranstaltungen Kunstgeschichte schrieb: Nam June Paik veranstaltete dort 1963 als erste Einzelausstellung seine „Exposition of Music – Electronic Television“, bei der sich Joseph Beuys, überraschend für alle, einmischte und mit einer Axt und einem Paar Schuhe ein Piano zertrümmerte. Dies war der Start für die Medien- und Videokunst in Deutschland. Zwirner und Stünke, die beide nur wenig Geld mit ihren Galerien verdienten, gründeten 1966 mit 16 Galerien den „Verein progressiver deutscher Kunsthändler“ und veranstalteten 1967 mit ihnen den ersten Kölner Kunstmarkt. Der damalige Kölner Kulturdezernent Kurt Hackenberg überließ ihnen die „Wohnstube“ Kölns, den Gürzenich – die traditionsreiche Festhalle in der Kölner Altstadt. Es wurde ein durchschlagender Erfolg: In vier Tagen kamen rund 15.000 Besucher, und es wurden 1,5 Millionen Mark umgesetzt.
Die Düsseldorfer Antwort blieb nicht aus: Konrad Fischer, der vom Kölner Verein abgelehnt worden war, zeigte in der Düsseldorfer Kunsthalle 1968 zusammen mit dem damaligen Kunstkritiker und späteren Galeristen Hans Strelow „Prospect 68“, eine von externen Fachleuten jurierte Verkaufsausstellung mit internationalen Galerien, die wie eine Avantgarde-Kunstausstellung auftrat. Man wollte mit „Prospect“ eine Art Vorschau auf die kommenden Ausstellungen der beteiligten Galerien geben. Damit lag der Schwerpunkt auf der Qualität der einzelnen Werke und weniger auf deren Vermarktbarkeit, was schließlich 1973 auch das Ende von „Prospect“ besiegelte. Immerhin: Die nationale und internationale Resonanz war sowohl beim Kölner Kunstmarkt wie auch bei „Prospect“ überwältigend.
Damit hatte sich das Rheinland mit Hilfe unterschiedlichster Akteure innerhalb weniger Jahre nach der Initialzündung der documenta 2 als wichtigster Standort der US-amerikanischen Avantgarde in Deutschland etabliert; ein Kunsttransfer, der nicht ohne Folgen für die Entwicklung des Kunstmarktes und der Rezeption der Künstler in den Vereinigten Staaten blieb. Die Galerie Fischer erscheint in diesem Kapitel deutsch-amerikanischer Kunstgeschichte als eine der zentralen Schnittstellen dieses transatlantischen Austauschs.