Im Gottorfer Globus die Welt drehen
Ende März dieses Jahres wurde die Ausstellung im Wikingermuseum Haithabu nahe Schleswig neu eröffnet. Seit einem Vierteljahrhundert gibt es das Museum, dessen wabenartig miteinander verbundene Gebäude wie umgedrehte Schiffsrümpfe daliegen. Da war es an der Zeit, die Ausstellung auf den aktuellen Stand der archäologischen Forschung zu bringen, mehr als bisher die neuen Medien einzubeziehen und so das Leben der Wikinger sinnlicher, einprägsamer vorzustellen. Nicht die Museumsmitarbeiter selbst haben die neue Dauerausstellung vorbereitet, sondern ein auf Ausstellungen spezialisiertes Planungsbüro aus dem fernen Stuttgart, das zuvor unter anderem für das Schiller-Nationalmuseum in Marbach gearbeitet hatte. Es war eine fruchtbare, viel gelobte Zusammenarbeit. So gibt es jetzt in einer der Waben für den Besucher eine Art Schaufensterbummel, wo er wie in einem Warenhaus sehen kann, was in Haithabu, der ersten mittelalterlichen Stadt in Nordeuropa, so mit wem gehandelt wurde – vom Rohstoff Quecksilber bis hin zum wertvollen „Kiewer Ei“, einem christlichen Auferstehungssymbol aus Keramik. Haithabu – das sind heute zwei Museumsteile, die ein paar hundert Meter voneinander entfernt an einer Bucht der Schlei liegen: Das Museum selbst und die an Hand von Tausenden Grabungsfunden nachempfundene Siedlung mit sieben Wikingerhäusern und dem Landungssteg des Hafens genau dort, wo der sagenumwobene frühmittelalterliche Ort tatsächlich gelegen hat. Dreihundert Jahre lang war Haithabu eines der wichtigsten Handelszentren im Norden. Von hier nahm auch das Christentum seinen Siegeszug. 1.500 Menschen, so schätzen es die Wissenschaftler, dürften in Haithabu gelebt haben. Für das Frühmittelalter war das eine Metropole. Der Ort lag strategisch günstig. Über die Schlei kamen die Schiffe aus der Ostsee weit in das Landesinnere. Über Eider und Treene gelangten sie aus der Nordsee zumindest in die Nähe von Haithabu. Die Eider, heute eher unbeachtet, war ein wichtiger Grenzfluss in der damaligen Welt, der seit dem 9. Jahrhundert den nördlichen Rand des Frankenreichs markierte. Die Dänen bauten deshalb auf ihrer Seite das Danewerk, eine für die damalige Zeit gewaltige Befestigungsanlage, an der später auch die vier Kilometer lange Waldemarmauer entstand, ein sieben Meter hoher Ziegelsteinbau, der erste profane Backsteinbau im Land. Haithabu und Danewerk sollen, wenn es nach der Stiftung Landesmuseen Schleswig-Holstein geht, Weltkulturerbe werden.
1066 kamen die Slawen, die Holsten, und zerstörten die frühe Hafenstadt. Jenseits der Schlei war da schon eine neue Siedlung entstanden, die heutige Stadt Schleswig. An deren Rand liegt Schloss Gottorf, der Stammsitz des Herzoghauses Schleswig-Holstein-Gottorf, das mehrere schwedische Könige und russische Zaren hervorgebracht hat. Schloss Gottorf ist der bedeutendste Schlossbau in Schleswig-Holstein und beherbergt heute die Stiftung der Landesmuseen. In Gottorf gab es ursprünglich auch das älteste „Museum“ des Landes, die von Herzog Friedrich III. gegründete „Kunstkammer“ mit allerhand Kuriositäten, deren Grundstock 1651 durch den Kauf der Sammlung des niederländischen Arztes und Weltreisenden Paludanus aus Enkhuyzen entstanden war. Im Nordischen Krieg musste der von den Dänen bedrängte Herzog Carl Friedrich 1713 kapitulieren, das Herzoghaus ging unter. Die wertvolle Gottorfer Sammlung gelangte nach Kopenhagen. Die Attraktion des Gartens aber, des ersten Barockgartens im Norden, erbat sich der russische Zar Peter I. zum Geschenk – oder besser wohl: Er forderte sie. 1651 hatte es die ersten Pläne für den Gottorfer Globus gegeben. Wahrscheinlich 1665 war er vollendet, untergebracht in einem extra dafür errichteten Gebäude, der Friedrichsburg. Der Gottorfer Globus war eine bemalte Erdkugel, deren Durchmesser drei Meter betrug, so dass ein halbes Dutzend Menschen darin auf einer umlaufenden Holzbank sitzen konnte und im Innern als Planetarium die Welt der Sterne vorgeführt bekam. Der Globus drehte sich, von Wasserkraft betrieben. Eine Umdrehung dauerte einen Tag. Wem das zu lange war, der konnte eine Kurbel bedienen und so gleichsam die Welt rascher bewegen. Nach langer Reise kam der Riesenglobus schließlich 1717 in St. Petersburg an, wo er, inzwischen mehrfach restauriert, noch heute steht. In Gottorf aber gibt es seit 2005 einen Nachbau. Er steht in einem modernen Globushaus mitten im wiederhergestellten Barockgarten mit seinen mehr als tausend Pflanzenarten.
Die Landesmuseen kamen erst nach dem Zweiten Weltkrieg nach Gottorf, weil das Gebäude in Kiel, das sie ehemals beherbergte, weitgehend zerstört worden war. Im Schloss sind die volkskundliche Sammlung, das archäologische Landesmuseum und das Museum für Kunst und Kulturgeschichte untergebracht. Letzterem half die Kulturstiftung der Länder 2003 beim Ankauf einer Skulptur der polnischen Bildhauerin Magdalena Abakanowicz. Zur Stiftung Schloss Gottorf gehören zudem neben Haithabu das 1107 in Lübeck gegründete und im 13. Jahrhundert nach Cismar verlegte Benediktinerkloster, das jüdische Museum in Rendsburg und das Eisenguss-Museum in Büdelsdorf bei Rendsburg.
Vom britischen Premier Lord Palmerston (1784–1865) stammt das hübsche Bonmot über die Schleswig-Holstein-Frage: Nur drei hätten sie überhaupt verstanden – ein deutscher Professor, der darüber verrückt geworden sei, Prinzgemahl Albert, der nicht mehr lebe, und er selbst, Palmerston, der aber alles vergessen habe. Es ging um die preußisch-dänische Auseinandersetzung von 1864, aus der Palmerston sein Land heraushalten wollte. Aber seine Bemerkung wird seitdem auch gern auf die – tatsächlich verwickelte – Geschichte des Landes selbst bezogen. Die Grenzlage Schleswig-Holsteins ist an den Verwicklungen schuld. Zwar hatte sich die Ritterschaft 1460 in der dänischen Stadt Ripen geschworen, fortan sollten das Herzogtum Schleswig und die Grafschaft Holstein auf ewig ungeteilt sein: „dat se bliven ewich tosamende ungedelt“. Mit Einschränkungen hielt das sogar bis 1864. Erst 1920 entschied sich, als Spätfolge des Ersten Weltkrieges, bei einer Volksabstimmung, dass Nordschleswig zu Dänemark kam, Südschleswig zu Deutschland. Über die vielen Besonderheiten und Widersprüche des Landes erzählen die vielen Museen im Land. In Wiek auf der Nordseeinsel Föhr geht es um die Friesen, die neben den Dänen anerkannte Minderheit sind, sogar mit eigener Partei, dem Südschleswigschen Wählerverband. In Meldorf wird die Bauernrepublik Dithmarschen, die bis heute die Gemüter bewegt, noch einmal lebendig. Das Gebäude des Ratzeburger Museums baute ein Herzog aus Mecklenburg-Strelitz, der seinerzeit die Dominsel besaß und im Übrigen in die Literatur eingegangen ist – als Fritz Reuters Dörchläuchting.
In Ratzeburg hat Ernst Barlach einige Jahre seiner Kindheit verbracht. Eine Gedenkstätte erinnert an den Bildhauer. Der Maler Emil Nolde lebte in Seebüll nahe der dänischen Grenze, seit er sich dort 1927 ein Haus nach seinen Entwürfen hatte bauen lassen. Nach seinem Tod 1956 wurde es, seinem Willen folgend, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und vor zwei Jahren erweitert. Nun ist auch der berühmte Nolde-Garten in seiner alten Pracht wieder zu erleben. Durch Schleswig-Holstein lässt sich aber ebenso literarisch reisen. Husum erinnert an Theodor Storm in jenem Haus, wo der Dichter von 1866 bis 1880 lebte. Sein Nachlass liegt in der Landesbibliothek in Kiel. In Wesselburen wurde der Dramatiker Christian Friedrich Hebbel geboren. Das Museum dort ist auch Sitz der Hebbel-Gesellschaft. In Heide gibt es das Klaus-Groth-Museum im Geburtshaus des niederdeutschen Dichters. In Eutin erinnert das Ostholstein-Museum sowohl an den Homer-Übersetzer Johann Heinrich Voss, der einige Jahre lang in der Stadt lebte, als auch an den Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, der hier gestorben ist. Seit 2008 gibt es in den sogenannten Hummerbuden auf Helgoland ein kleines Museum für den Kinderbuchautor James Krüss.
In Lübeck sind gleich drei Nobelpreisträger mit Erinnerungsstätten vertreten, die sogar nur wenige Schritte voneinander entfernt im Stadtzentrum liegen. An Thomas Mann und seinen Bruder Heinrich erinnert das Buddenbrookhaus, 2000 eröffnet und heute eines der beliebtesten Literaturmuseen in Deutschland. Auch hier hat die Kulturstiftung den Erwerb eines Thomas-Mann-Konvoluts unterstützt. Durch einen gemeinsamen Hof verbunden sind das 2007 eröffnete Willy-Brandt-Haus und das 2002 eröffnete Günter-Grass-Haus. Das an Museen so reiche Lübeck ist in der Museumslandschaft des nördlichsten Bundeslandes allerdings in gewisser Weise ein Sonderfall. Die Hansestadt verlor erst 1937 ihre seit 1226 bewahrte Eigenständigkeit und kam zu Schleswig-Holstein. Die erste Lübecker Adresse ist das St. Annen-Museum im ehemaligen Augustinerinnen-Kloster mitten im mittelalterlichen Aegidienviertel. Es besitzt eine große Sammlung mittelalterlicher Schnitzaltäre aus Norddeutschland, zudem sakrale niederländische Malerei aus dem 15. und 16. Jahrhundert, vor allem den Passionsaltar von Hans Memling von 1491. Seit 2003 gehört zum Museum auch die Kunsthalle, die durch die hochgelobte Verbindung alter und moderner Architektur auf dem Gelände der alten Kirche entstand und moderne Kunst zeigt. Stadtgeschichte vermittelt das Museum im Holstentor, das vor wenigen Jahren umfassend saniert wurde. Außerdem die Museumskirche St. Katharinen sowie Dräger- und Behnhaus mit ihren klassizistischen Fassaden, die in der Königstraße nebeneinander liegen. Seit 2005 ist das Museum für Archäologie Teil des Kulturforums Burgkloster, für das die Kulturstiftung der Länder den vor mehr als einem Vierteljahrhundert zufällig bei Bauarbeiten gefundenen Münzschatz aus dem 16. Jahrhundert erwerben half. Die größte Unterstützung durch die Kulturstiftung gab es bislang in Lübeck freilich für eine Einrichtung, die nur nebenbei ein kleines Museum unterhält. Immer wieder half die Stiftung, Manuskripte, Briefe und Autographen von Johannes Brahms für das gleichnamige Institut an der Musikhochschule zu erwerben. So 1993 das „Deutsche Requiem“ und zuletzt 2008 die „Sieben Lieder für den gemischten Chor“, op. 62. Das Museum in der Villa Eschenburg auf dem Jerusalemberg zeigt eine Rekonstruktion von Brahms’ Wiener Musikzimmer, einschließlich Bismarck-Bild mit Lorbeerkranz.
Die mit Abstand am meisten besuchte museale Einrichtung in Schleswig-Holstein jedoch liegt weder in Lübeck noch gehört sie zu Gottorf. Das vom Nationalpark Wattenmeer betriebene Multimar Wattforum in Tönning an der Westküste hat in den ersten zehn Jahren seines Bestehens mehr als zwei Millionen Besucher angezogen. Bis zu 240.000 kommen im Jahr. Woraus klar wird: Das Land zwischen den Meeren ist nicht das Land, in das man Bildungsreisen unternimmt. Man macht Ferien dort und besucht bei dieser Gelegenheit auch gern – vornehmlich an Regentagen – das eine oder andere der mehr als einhundert Museen in Schleswig-Holstein. Bildend ist freilich auch das.