Kunstgewerbe

Glück und Glas

Wie die Gebrauchsglassammlung Schwiezer das kulturelle Selbstverständnis des Weserberglands stärkt von Hans-Georg Moek

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Grußwort von Prof. Dr. Markus Hilgert:

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Bad Münder ist sanft eingebettet zwischen dem Süntel und dem Deister, zwei mit Buchenmischwald bedeckte Höhenzüge, deren Waldreichtum typisch ist für das Weserbergland. Die Verfügbarkeit von Holz und die Entdeckung von Quarzsand-, Kalk- und Soda-Vorkommen – Zutaten, aus denen schon im alten Ägypten Glas hergestellt wurde – haben dazu geführt, dass auch hier in der Region schon früh mit der Herstellung von Glas begonnen wurde.

Die Geschichte der Glasproduktion im Weserbergland reicht zurück in das 9. Jahrhundert. Erst 2012 wurde im Kreickgrund nahe Bodenfelde die mit Abstand älteste Waldglashütte Europas entdeckt, die wahrscheinlich das nahe und zu dieser Zeit entstehende Kloster Corvey mit Glas beliefert hat. Und noch heute künden acht Produktionsstandorte mit weit über 2.000 Beschäftigten von einer Industriekultur, die das Weserbergland weit über 1.000 Jahre geprägt hat und bis heute prägt.

Hermann Wessling hat lange in der Glashütte in Bad Münder gearbeitet. Als Personalmanager hat er viele Menschen kennengelernt, die über Fertigkeiten und Kenntnisse in der Glasherstellung verfügten oder Dokumente oder Arbeitsgeräte besaßen, die die technischen Entwicklungen bei der Glasherstellung belegten. Als er nach 27 Jahren in Rente ging, hat seine Überzeugung, dass das nicht alles untergehen darf, dafür gesorgt, dass er bis heute nicht im Ruhestand angekommen ist. Eine Überzeugung, die 2006 zur Gründung des Vereins Forum Glas e.V. führte, ein Verein, der sich die Erforschung und Vermittlung der Glasgeschichte auf die Fahnen geschrieben hat. Unter den Mitstreitern der Historiker Klaus Vohn-Fortagne, der seither über die Glasgeschichte in der Deister-Süntel-Region forscht. Um diese bis dahin weithin unbekannte Geschichte bekannt zu machen, hat der Verein überall dort, wo in dieser Region früher Glas produziert wurde, Glasstelen aufgestellt, sieben Informationstafeln, die über die Geschichte des jeweiligen Standortes erzählen.

Mit verschiedenen Glaskunst-Ausstellungen und Installationen, die heute im Stadtbild sichtbar sind, hat Forum Glas seither auf die 400-jährige Tradition der Glasherstellung in der Region Deister-Süntel aufmerksam gemacht. Ein Glas­skulpturenweg von der Altstadt bis zum Kurpark Bad Münder und dort der Glas­skulpturenpark machen durch Objekte zeitgenössischer Glaskunst den Werkstoff im Stadtbild sichtbar. Bis heute bietet der Verein Exkursionen an, bei denen er Orte der Glasgeschichte und der Glaskunst z. B. in Museen oder Ausstellungen nicht nur in der Region besucht.

Erst haben sie mit der Forschung begonnen, dann kam die Kunst hinzu. Und in Klein Süntel holt Forum Glas regelrecht die Geschichte der Region aus der Erde. Dass der Verein vor 10 Jahren begonnen hat, die Fundamente der einstigen Glashütte im Ortsteil Klein Süntel auszugraben und sie zu einem Denkmal umzugestalten, verdankt sich einem glücklichen Zufall: Die örtliche Feuerwehr wollte einen Parkplatz bauen und stieß bei ersten Grabungen schon früh auf Mauerwerk. Ortskundige vermuteten sofort, dass dies mit der früheren Glashütte zu tun habe. Der Landkreis stellte die Baustelle schließlich unter Denkmalschutz. Die untere Denkmalschutzbehörde übertrug die Erkundung der Mauerreste dem Verein Forum Glas, auch, weil die Behörde selbst weder über Experten noch über Mittel verfügte.

Die Mittel und die Experten hat schließlich der Verein Forum Glas organisiert. Hermann Wesslings Sohn Roland, Dozent im englischen Cranfield, forensischer Archäologe und Experte für geophysikalische Exploration, hat erst die Fundstelle erforscht. Danach kam er in drei aufeinanderfolgenden Jahren für jeweils eine Woche mit seinen Studenten zu archäologischen Ausgrabungen. 400.000 Euro an Fördermitteln hat der Verein allein für dieses Projekt mittlerweile eingeworben. Derzeit werden die historischen Fundamente denkmalgerecht saniert. Den alten Rauchgaskegel werden sie hier allein schon wegen der enormen Kosten nicht originalgetreu aufbauen, aber auch weil er einst 27 Meter hoch war und das benachbarte Seniorenheim deutlich überragen würde. Jetzt wollen sie mit Laserlicht den einstigen Glasturm so nachbilden, dass die Ursprungsformate im Dunkeln erkennbar sind; ein weithin sichtbares Symbol der hiesigen Glasgeschichte. Für das Projekt wurde Hermann Wessling mit dem Forum Glas e.V. erst im November 2022 vom Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz mit dem Deutschen Preis für Denkmalschutz ausgezeichnet.

Bis heute entsteht in der Region vor allem Gebrauchsglas. Heute sind das Verpackungen für Getränke, Lebensmittel oder für die Pharmazie. In Klein Süntel wurden mit Unterbrechungen zwischen 1620 und 1886 bis zu 500.000 Bier-, Schnaps- und Arzneiflaschen jährlich produziert und bis nach Amerika vertrieben. Und weil beim Kauf einer Bier- oder Weinflasche kaum interessiert, wo die Flasche herkommt, ist das Weserbergland als Glasstandort nie so bekannt geworden wie andere Regionen in Deutschland, in denen Weihnachtsschmuck oder Kunst aus Glas entsteht. Es ist auch die Ursache dafür, dass das, was buchstäblich „für den Gebrauch bestimmt“ war, wenig gesammelt oder aufbewahrt wurde und daher heute hohe Seltenheit hat.

Der mittlerweile verstorbene Glassammler Albert Schwiezer hat über 30 Jahre eine Sammlung zusammengetragen, die im Schwerpunkt genau solche Gläser umfasst hat. Eine Sammlung von über 20.000 Objekten, wie es im europäischen Raum keine zweite gab, vor allem Gebrauchsgläser des 17. bis 20. Jahrhundert aus den Glashütten des Weserraumes. Zehn Jahre lang hatte der Verein Forum Glas sich bemüht, das historische Glas zu erwerben und in einem Museum zu präsentieren.

Rund 70 Gläser hat der Verein von Stefanie Schwiezer, Tochter und Erbin des Sammlers, im vergangenen Jahr aus dessen Sammlung erworben, gefördert von der Kulturstiftung der Länder und dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur. Das Konvolut umfasst historische Gläser aus dem Alltag des Weserberglands im 18. und 19. Jahrhundert, viele davon aus der Glashütte in Klein Süntel. Die Sammlung wird nun zusammen mit der regionalen Glasgeschichte im „Museum für Regionalgeschichte Bad Münder“ präsentiert. „Ein Traum, der Wirklichkeit geworden ist“, sagte Hermann Wessling im Juni dieses Jahres anlässlich der Eröffnung der Ausstellung, die auch für beispielhaftes bürgerschaft­liches Engagement steht: Der Verein ­Forum Glas schafft es in vorbild­licher Weise, das kulturelle Selbstverständnis der Region zu stärken, indem er deren Geschichte sowie die Kultur der Glasproduktion erforscht und sichtbar macht.

Hans-Georg Moek ist Leiter Kommunikation der Kulturstiftung der Länder.

Museum im Wettbergschen Adelshof
Kellerstraße 13, 31848 Bad Münder am Deister
Telefon 05042 - 6228
www.museum-badmuender.de

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