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Content statt Corona

Spartenoffen, niedrigschwellig und partizipativ: das Förderprogramm KULTUR.GEMEINSCHAFTEN

Was haben eine Bochumer Handpuppe auf TikTok und Gerhart Hauptmanns digitale Sommerfrische auf Hiddensee mit einer virtuellen Galerie in Goslar, einem hybriden Jazzkonzert am Bodensee oder einem Youtube-Clip zu historischen Klöstern der Mark Brandenburg gemeinsam? Es sind Beispiele für im Förderprogramm KULTUR.GEMEINSCHAFTEN entstandene ­digitale Produktionen. Was zunächst als „Corona-Nothilfe“ im Rahmen von NEUSTART KULTUR gedacht war, wurde so im Umfang – 450 Projekte werden bundesweit gefördert – und im Volumen (insgesamt rund 20 Millionen Euro von Bund und Ländern) eines der reichweitenstärksten spartenübergreifenden Digitalprogramme in der kooperativen Kulturförderung von Bund und Ländern.

Ein kleines Projektteam von mittlerweile fünf Mitarbeiter:innen betreut seit Herbst 2020 in den beiden Förderlinien KULTUR.GEMEINSCHAFTEN (2020/21) und KULTUR.GEMEINSCHAFTEN – Kompetenzen, Köpfe, Kooperationen (2021/21) bundesweit 450 kleine, oftmals ehrenamtlich geführte Kultureinrichtungen. Die Mitarbeiter:innen beraten, geben Hilfestellung bei den Produktionen und sind im Helpdesk auch für formale Fragen zu Antragstellung und Fördermittelabrufen erreichbar. Darüber hinaus kuratieren sie eine Fortbildungsreihe zu Themen der digitalen Kulturvermittlung und produzieren Video-Tutorials zu den Grundlagen der digitalen Produktion in Bild und Ton. In rund 20 Online-Seminaren konnten über 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihr Wissen vertiefen und anhand von Praxisbeispielen diskutieren. Die geförderten Institutionen kommen unter anderem aus den Bereichen Erinnerungskultur, Theater, Moderner Tanz und Performance, Kunstvermittlung, Fotografie, Musik, Museum, Filmfestivals, Jazzclubs, Literaturvermittlung, Popkultur, Soziokultur und kulturelle Bildung. Bei den digitalen Projekten geht es beispielsweise um die Entwicklung von Augmented oder Virtual Reality-Anwendungen, interaktives Streamen von Veranstaltungen, partizipative Museumsführungen oder die Programmierung von Apps. Ein breites Spektrum ist entstanden, das es sichtbar zu machen gilt. Hierfür ist Anfang November unter der URL www.kulturgemeinschaften.de ein Webportal online gegangen, das jedes geförderte Projekt in einem Kurzporträt vorstellt und nach und nach von den geförderten Einrichtungen mit Inhalten befüllt wird. Zudem sind auf der Seite die verschiedenen Weiterbildungsangebote zur digitalen Content-Produktion und Kulturvermittlung aufgeführt.

Bemerkenswert ist nicht nur der spartenoffene Charakter, sondern auch der niedrigschwellige und partizipative Ansatz, der viele der Projekte auszeichnet. Dies ist weniger auf Mega­trends wie den Drang nach Selbstwirksamkeit oder die vielbeschworene Abgabe von Deutungshoheit zurückzuführen, sondern eher dem Umstand geschuldet, dass viele der geförderten Einrichtungen seit jeher so arbeiten. Einfach weil es ohne Mitwirkung und Teilhabe in vielen der häufig ehrenamtlich geführten, zum Teil mit wenigen Honorarkräften auskommenden kleinsten Kulturinstitutionen kein Programm gäbe. Neu ist vielmehr die Selbstverständlichkeit, mit der von den Projektträgern nun auch digitale Tools und Frameworks genutzt und für die eigene Kulturproduktion eingesetzt werden. Und dies bei vergleichsweise geringem Einzelbudget.

Um möglichst vielen Einrichtungen in der Pandemie zu helfen, wurde in der ersten Förderlinie die Fördersumme bei 50.000,- und in der zweiten im Fall einer Beantragung im Verbund mehrerer Partner die Förderung bei 75.000,- Euro je Projekt gedeckelt. Dass diese Summen eigentlich keine großen Sprünge erlauben, wissen alle, die schon einmal digitale Produktionen, Apps, Webportale oder ähnliches in Auftrag gegeben haben. Umso erfreulicher ist es, dass in den zurückliegenden beiden Jahren zum Teil sehr innovative Ergebnisse entstanden sind. Da je gefördertem Projekt mindestens zwei Digitalproduktionen einzureichen sind und nicht wenige Einrichtungen mehr als nur diese Mindestanzahl durchführten, wird bis zum Projektende Anfang des kommenden Jahres eine Zahl von knapp 1.000 Kulturproduktionen aus allen Teilen Deutschlands entstanden sein. Es lohnt sich also, von Zeit zu Zeit auf die Seite www.kulturgemeinschaften.de zu gehen, um zu schauen, was hier an digitaler Vielfalt gewachsen ist!

Text: Conrad Mücke, Projektkoordinator (gemeinsam mit Sarah Ehrhardt) des Förderprogramms KULTUR.GEMEINSCHAFTEN der Kulturstiftung der Länder.

GRIMMkids: Die sprachwissenschaftlichen Pionierleistungen der Brüder Grimm im digitalen Zeitalter

Sie alle haben ein zartes Gesicht mit großen, neugierigen Augen, aus ihren Körpern wachsen dünne Arme und Beine: eine Lupe, eine Feder, ein Buch, eine Schere und ein Tintenfass. Die Illustratorin Katrin Nicklas hat aus Alltagsgegenständen bunte Cartooncharaktere erschaffen, die über eine eigene Persönlichkeit, über Gestik und Mimik verfügen.

Die „Grimmies“ werden zu Identifikationsfiguren für einen Teil des Grimmschen Werks, der im Vergleich zu den allseits bekannten Märchen für die meisten Besucherinnen und Besucher weniger attraktiv erscheint. Die beiden Brüder waren bedeutende Sprachforscher und gelten als Mitbegründer der Germanistik, sie verfassten eines der ersten Wörterbücher deutscher Sprache. „Gerade für Kinder ist der Zugang hier viel schwieriger herzustellen. Grammatik wird mit Lernen, mit Schule verknüpft und damit leider selten mit Spaß“, so Julia Ronge, die die Kunstvermittlung im „Erlebnisraum Grimmwelt“ leitet. Sie ergänzt: „Das wollten wir ändern und zeigen, wie spielerischer Wissensgewinn gehen kann.“ Denn in Kassel, wo die Brüder einst lange Jahre lebten und arbeiteten, möchte man mehr als ein traditionelles Museum sein. „Wir wollen zum aktiven Mitmachen einladen“, sagt Ronge. Es geht um das Erlebnis, viele der Exponate sind interaktiv: Im musealen Märchenwald kann man sich herrlich verlaufen, ein Knusperhäuschen lädt zum Verweilen ein und ein überdimensioniertes Tintenfass zeigt eindrücklich, wie viel Tinte die berühmten Brüder in ihrem Leben verbrauchten.

„Nicht das 100. Rotkäppchen“: Ganz in diesem Sinne nehmen nun auch die Grimmies, die fünf Freunde aus dem Schreibbedarf, Kinder von fünf bis zwölf Jahren mit auf eine abenteuerliche Schnitzeljagd durch die Ausstellung. Als Titelhelden des musealen Begleithefts für Familien „Nachts in der Grimmwelt“ gab es Lupine, die kleine Lupe, Buchhilde, das Buch, Feodor, die Schreibfeder, Tintus, das Tintenfass und Sissie, die Schere, schon länger, nun sollten sie noch realistischer und greifbarer werden, vom Papier in die virtuelle Welt wachsen, sprich aufs Handy oder Tablet reisen. Ronge führt aus: „Unser Plan war, die bereits bestehenden Angebote in den digitalen Raum zu überführen.“ Der Startschuss für die neue App „GRIMMkids“ war gegeben.

Das Digitale wollte man nicht nur um der Digitalität willen: Das Erproben neuer Erzähl- und Vermittlungsstrategien stand im Vordergrund. Die App biete dabei ganz neue Möglichkeiten, so Ronge. Technische Details nämlich, die die mit der Programmierung beauftragte Firma „Magig“ sonst auch gerne im Gaming-Bereich oder der Virtual Reality einsetzt. So werden im Ausstellungsraum platzierte „Cookies“, ganz ähnlich einem QR-Code, zu punktuellen Portalen in die digitalen Sphären der App – wie die Brotkrumen, die einst Hänsel und Gretel den Weg durch den dunklen Märchenwald wiesen. Immer wieder sollen so analoge Eindrücke um virtuelle ergänzt werden. Visuelle Inputs werden um auditive Elemente ergänzt und so neue Assoziationen geknüpft: Entertainment trifft innovative Lernstrategien.

„Mit den personifizierten Schreibutensilien werden Objekte zum Leben erweckt, die erstmal langweilig wirken und sich sonst hinter dickem Vitrinenglas verbergen“, so Ronge. „Für Kinder ist eine mediale Aufbereitung oft viel intuitiver und leichter zugänglich. Gleichzeitig entsteht ein intergenerationales Moment. Oft sind es die Kleinen, die ihren Eltern oder Großeltern die Bedienung erklären.“ Es ginge auch darum, ein Medium zu schaffen, das Zugänge herstellt und sich möglichst barrierefrei nutzen lässt. Eine Audiospur, die auf Deutsch und Englisch verfügbar ist, bietet die Option, sich Inhalte hörend zu erschließen.

Die erste Version der App, deren aufwendige Produktion durch das Förderprogramm KULTUR.GEMEINSCHAFTEN möglich war, soll nur der Anfang sein. Julia Ronge sagt: „Wir wollten einen soliden Prototyp entwickeln, der sich ganz im Sinne der Nachhaltigkeit weiterführen und um neue Inhalte ergänzen lässt. In Stufe zwei wollen wir die Grimmies dann mit Hilfe von Augmented Reality auch dreidimensional erlebbar machen.“

Text: Anna Marckwald

DDR-Box: Jugendalltag in der DDR

„Es war ganz normal, in einem Land aufzuwachen, um das eine Mauer steht.“ Die Berliner Fotografin Nadja Klier möchte Jugendlichen den Alltag in der DDR näherbringen: In der DDR-Box werden Zeitzeuginnen und -zeugen interviewt, die ihre Erlebnisse und Erfahrungen berichten – von Themen wie Mangelwirtschaft, Sexualität und Probleme mit dem sozialistischen System in der DDR berichten.

Das Projekt geht auf die Initiative der Fotografin und Videografin Nadja Klier zurück. Als Tochter einer Künstlerfamilie wuchs sie im Trubel der Ost-Berliner Künstlerszene auf und wurde samt Familie schließlich in das fremde West-Berlin ausgebürgert. „Gerade, weil so viel in meiner Jugend passiert ist, habe ich mich ganz lange nicht damit beschäftigt. Man kann sich aber nicht einfach von seiner eigenen Identität wegdrehen“, berichtet die Gründerin. Selbst Teil beider Welten, spürte sie das Bedürfnis, ihre Jugend in der DDR aufzuarbeiten und diesen wichtigen Teil deutsch-deutscher Geschichte zu vermitteln. Um auch Jugendliche zu erreichen, gründete sie den Verein DDR-Box e. V. „Jugendliche lesen heute eher selten Bücher. Um sie mit Informationen zu erreichen, braucht man unbedingt ein digitales Format“, so Nadja Klier. Mit Unterstützung des Programms KULTUR.GEMEINSCHAFTEN launcht sie im März 2023 eine digitale, interaktive Wissensplattform.

Aus den Schulbüchern ins echte Leben: In der „DDR-Box“ nehmen politikinteressierte Jugendliche aus ganz Deutschland das Mikrofon in die Hand. In einer eigens für das Projekt entworfenen DDR-Wohnzimmer-Kulisse im Berliner Stasi-Unterlagen-Archiv befragen sie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen: Es geht um den Alltag von Jugendlichen in der DDR, auch Aspekte wie Rassismus, Sexualität und Drogen kommen zur Sprache. Zwei Generationen treffen aufeinander. Mehr als historische Fakten interessiert die Jugendlichen, wie sich Gleichaltrige in der DDR fühlten. Was waren die prägendsten Erfahrungen in einem Leben unter ständiger Kontrolle? „Man lebte schon als Kind mit der ständigen Gefahr, in Schwierigkeiten zu kommen, wenn man nur dem falschen Verein angehörte“, verrät Ahne aus Ostberlin im Vorgespräch. Dabei überrascht die Jugendlichen eine Antwort, die man immer wieder hört: Es war ganz normal, in einem Land aufzuwachsen, um das eine Mauer steht, da man nichts Anderes kannte.

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR auf eine spielerische, interaktive Weise soll die Kluft zwischen schulischer und außerschulischer Bildung schließen. Der Dialog ist wichtig. „Ich weiß super wenig über die Zeit in der DDR an sich, obwohl das so viele Jahre deutscher Geschichte sind. Ich habe das Gefühl, dass das in der Schule total ausgeklammert wird“, berichtet Pia aus Berlin. Auf einer interaktiven Wissensplattform sollen die Wohnzimmer-Interviews, Zeitzeugen-Steckbriefe und Erklärvideos in Blockthemen schließlich auch für andere jederzeit digital verfügbar gemacht werden: Ein Video über die Mauer wird beispielsweise mit Interviews von Leuten verknüpft, denen eine Flucht über die Mauer nicht gelang.

Um das Projekt wissenschaftlich und inhaltlich vorzubereiten, kooperierte Nadja Klier mit verschiedenen Partnern wie dem Deutschen Rundfunkarchiv und dem Stasi-Unterlagen-­Archiv. Informationen wurden gesammelt und Themen Stück für Stück aufgearbeitet. So wurden zum einen der Themen­katalog für die Interviews erstellt und zum anderen Erklärvideos vorbereitet. Auch für die Archive sind solche Projekte interessant. „Wir wollen mit den nächsten Generationen in den Dialog treten. Es ist gar nicht so einfach, das auf Augenhöhe zu schaffen und Interesse bei den jungen Leuten zu wecken“, so Dagmar Hovestädt vom Stasi-Unterlagen-Archiv.

Durch die Förderung von KULTUR.GEMEINSCHAFTEN konnte mittlerweile ein Prototyp der Webseite programmiert werden. Für Nadja Klier liegt eine steile Lernkurve hinter ihr: „Die enorm aufwendige Entwicklung des Projektes habe ich sicher unterschätzt. Auch die intensive Recherchearbeit in der Vorbereitung hat uns im Umfang überrascht.“ Doch Klier ist mit dem Ergebnis sehr zufrieden, jeglicher Aufwand habe sich ausgezahlt. „Es ist schön, zu sehen, wie begeistert Menschen auf das Projekt reagieren und die Mühe und Liebe erkennen, die reingeflossen sind“, berichtet die Gründerin über ihr Herzens­projekt.

Text: Dela Mießen

#keinRembrandt: Das Netzwerk teilt Ressourcen, um gemeinsam an ein Ziel zu kommen

Der Verbund besteht mittlerweile aus sechs kleineren Stadt- und Heimatmuseen aus ganz Deutschland sowie dem Netzwerk „Bergische Museen“, das sich aus 20 weiteren Museen in Nordrhein-Westfalen zusammensetzt. Gemeinsam entwickeln sie digitale Strategien rund um das Thema Heimatforschung und Heimatsammlung. Sie wollen insbesondere kleine Museen stärken, die ehrenamtlich oder mit wenigen Vollzeitstellen besetzt sind. Durch kollektives Arbeiten werden vermeintliche Defizite ausgeglichen. Dabei geht es aber nicht um die Meisterwerke der internationalen Kunst- und Kulturgeschichte. „#keinRem­brandt“ hat das Ziel, Kultur vor der Haustüre mit den Menschen gemeinsam zu entdecken. Stadt- und Heimatmuseen sind für viele Menschen der erste Berührungspunkt mit Heimatkultur. Das Netzwerk widmet sich zum Beispiel dem Thema weibliche Erinnerungskultur, um damit blinde Flecken der Heimatgeschichte sichtbar zu machen. Der Projektleiter und erste Vorstand des Kultur- und Heimatvereins Egling in Bayern, Christopher Vila, erzählt im Gespräch vom Ursprung der Idee sowie von Hürden und Zielen für die Zukunft.

Arsprototo: Herr Vila, wie kam die Idee zu „#keinRem­brandt“ zustande?

Christopher Vila: Eine Kollegin stellte damals einen Förderantrag, der mit der Begründung abgelehnt wurde: „Wofür wollen Sie denn Geld, ist ja nicht so, als hätten Sie einen Rembrandt.“ Obwohl kleine Museen 50% aller Museen ausmachen, empfangen sie nur 12% aller Besucherinnen und Besucher. Und dabei sind sie doch für viele der erste Berührungspunkt mit Kultur. Deswegen sind wir immer damit beschäftigt, unsere Reichweite zu erhöhen. Wir haben festgestellt, dass wir in den kleinen Museen alle an Digitalisierung basteln, aber uns oft das nötige Equipment und Know-how fehlt. Dabei wäre es doch sinnvoll, Kanäle zu teilen und sich bei redaktionellen Arbeiten gegen­seitig zu unterstützen.

Wie sieht das aus, „sich die Arbeit teilen“?

Einmal die Woche setzen wir uns alle zusammen und besprechen, was ansteht, wo Bedarf besteht. Anfangs wurde viel Know-how aufgebaut: Wie schreibt man einen guten Instagram-Post, wie schießt man ein schönes Foto. Eine gemeinsame Webseite wurde beauftragt. Jeder übernimmt eine Aufgabe. Wir haben ein Redaktionsteam, Teams für die einzelnen Social-Media-Kanäle Facebook, Instagram und Twitter. Zum Jahreswechsel kommt noch Youtube dazu. Die viele Kommunikation zahlt sich aus: Zahlreiche neue Museen kommen aktiv auf uns zu und wollen dem Netzwerk beitreten.

Wie schaffen die Einrichtungen es zeitlich, neben dem Tagesgeschäft eine digitale Strategie zu entwickeln und anzuwenden?

Das ist der große Unterschied zu vorher. Nicht jeder muss alles wissen. Wenn ein Social-Media-Kanal besteht, muss dieser auch bespielt werden. Viele Betriebe haben als One-Man / One-Woman-Show dafür nicht die Kapazität. Durch das Netzwerk ist gewährleistet, dass Material regelmäßig fließt. Über „#keinRem­brandt“ sind Häuser in der Lage, Content zu veröffentlichen, ohne einen eigenen Kanal zu bespielen. Das Netzwerk ist also nicht nur ein Medium zum Austauschen von Wissen, sondern auch ein gemeinsamer Ressourcenpool.

Wie sieht eine digitale Strategie für Museen überhaupt aus? Was haben Sie für die nächste Zeit geplant?

Erstmal wollen wir kleineren Museen mehr Sichtbarkeit verschaffen. Viele Museen dürfen, aufgrund mangelnder Ressourcen und Expertise, keine eigene Webseite haben, sondern werden nur als kleiner Unterpunkt auf der Webseite der Stadt aufgeführt. Mit gemeinsam genutzten Social-Media-Kanälen besteht ein großes Synergiepotenzial. So erreichen wir beispielsweise die große Menge an Menschen, die sich für Stadtgeschichte interessieren. Und gewinnen sie dann vielleicht für einen Museumsbesuch. Außerdem entsteht eine Webtalk-Reihe mit Museums-Beratungsstellen aus verschiedenen Bundesländern. In Kooperation mit der Kulturpolitischen Gesellschaft wird recherchiert, welche Rahmenbedingungen und kulturpolitischen Hilfestellungen es braucht, damit kleine Museen nicht verschwinden. Nachhaltigkeit, Diversität, Inklusion – es gibt so viele verschiedene, wichtige Themen, mit denen man sich heute beschäftigen muss. Wie soll man alle Themen alleine stemmen? Ein Museum kann ein Thema aufgreifen und Grundlagen schaffen, die dann weitergegeben werden.

Welchen Herausforderungen mussten Sie sich stellen?

Es ist natürlich immer wieder eine Herausforderung, das Tagesgeschäft mit dem Digitalen in Einklang zu bringen, da so viele Leute ständig an einem zerren. Stadtämter gehen meistens nur nach analogen Besucherzahlen und haben gar keinen Blick für das Digitale. Man muss sich immer wieder motivieren, sich mit aktuellen museumspolitischen Themen zu beschäftigen. Aber das macht ja auch Spaß! Der Kulturamtsleitung ständig zu erklären, warum man eine halbe Stunde wöchentlich für einen Jour fixe mit allen Partnern investieren muss, kann auf Dauer schon anstrengend werden. Aber da sieht man auch, wie anders es ist, in einem Netzwerk zu arbeiten. To-do-Listen werden gemeinsam bearbeitet. Außerdem konnten in manchen Stadträten schon zusätzliche Stellen beispielsweise für Vermittlung gewonnen werden. Die Resonanz ist also positiv.

Das Gespräch führte Dela Mießen, Mitarbeiterin dieser Ausgabe von Arsprototo.

Museum Mobil: Wie in Angermünde Stadt­geschichte viral ging

Wichtige Gäste waren geladen, sämtliche Vorbereitungen getroffen und die Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter voll freudiger Aufregung. Anfang 2020 sollte endlich das Museum Angermünde eröffnet und damit dem geschichtsträchtigen brandenburgischen Städtchen das seit nahezu zehn Jahren geplante Stadtmuseum geschenkt werden. Das Haus Uckermark, ein über 300 Jahre altes Gebäude, das in seiner vielfältigen Nutzung als Gasthaus, Hotel und Kino und mit der zentralen Stellung am Markt stets bedeutend für die Gemeinde gewesen war, hatte seit den 1990er-Jahren leer gestanden. Die Umnutzung als Museum, der umfangreiche Sanierungs- und Umbauarbeiten vorausgegangen waren, versprach, ihm nun neues Leben einzuhauchen.

Doch die Eröffnung stand wie so viele Kulturereignisse im ersten Corona-Jahr 2020 zunächst unter keinem guten Stern. „Die Eröffnung des für unsere Stadt so wichtigen Projektes musste trotz aller Anstrengungen abgesagt werden“, so Museumsdirektor Ralf Gebuhr. Eine herbe Enttäuschung. Und auch die generelle Inbetriebnahme des Museums sollte durch die Pandemie noch um viele weitere Monate verzögert werden.

Aber das Museum ließ sich nicht unterkriegen. Nach einer Eröffnung im kleinen Kreis Ende 2020 wollte es seine Objekte, Geschichten und Zeitzeugnisse – ganz zeitgemäß – verstärkt digital vermitteln. Als kleines städtisches Museum mit nur zwei Mitarbeitern waren die Mittel dafür allerdings personell und finanziell knapp bemessen. „Da kam die Projektausschreibung KULTUR.GEMEINSCHAFTEN, die explizit digitale Formate fördern wollte, genau zum richtigen Zeitpunkt! Zeitweise war ich sogar ganz alleine im Museum – ohne die Unterstützung der Kulturstiftung und die damit verbundenen Weiterbildungsangebote hätten wir weder die nötige Technik noch das Know-how erwerben können, um auf  Online-Formate umzusatteln“, so Ralf Gebuhr.

Mittlerweile sind die virtuellen Formate des Museums Angermünde zahlreich. Mit dem Initialprojekt „Museum Mobil“ entstehen Video-Podcast-Produktionen zu Objekten des Museums und ein begehbares Hörspiel, ein Hybrid zwischen Podcast und Video, das die Stadtgeschichte audiovisuell erlebbar macht. Als 2021 erneut die Eröffnung von „Gelacht, geweint, gelangweilt – 110 Jahre Kinogeschichte in Angermünde“ wegen Corona nicht stattfinden konnte, produzierte das Museum kurzerhand ein ­virtuelles Eröffnungsvideo.

„Die neuen Mittel eröffnen ganz neue Möglichkeiten.“ Dabei geht es Ralf Gebuhr und seinem Team nicht nur um innovative Formate in pandemischen Zeiten, auch Inklusion und Barrierefreiheit spielen eine große Rolle. „Auch früher sind wir schon in die ansässigen Schulen und das nahegelegene Rehazentrum in Wolletz gegangen, um Zugänge zu schaffen und mit den Menschen in Austausch zu treten. Heute können wir das sogar, ohne physisch anwesend zu sein. Insbesondere für Menschen, die nicht mobil sind, bedeutet diese Möglichkeit einen großen Zugewinn“, so Gebuhr.

Text: Anna Marckwald

Nice Gallery: Kunst als Online-Erlebnis

Große abstrakte Gemälde der Malerin Anna Nero hängen in einem ausladenden Raum an leicht gräulich gehaltenen Wänden, rechts und links sind Wandtexte angebracht, Deckenlichter sorgen für eine professionelle Beleuchtung der Szenerie. Wenn man die Internetseite des Fördervereins Kulturstadt Görlitz-Zgorzelec (FVKS) besucht, mag man sich möglicherweise über die großzügigen Galerieräumlichkeiten, die denen moderner Museen in Großstädten in nichts nachstehen, wundern. Erst auf den zweiten Blick erkennt man jedoch: Es handelt sich um eine digitale Simulation. „Sechs Ausstellungen. Sechs verschiedene Standpunkte. Sechs dreidimensionale Veranstaltungen: Aus der Ich-Perspektive kannst Du die einzelnen Ausstellungen besuchen, das Arrangement aus Kunst und Raum wird im Internet mit Maus und Tastatur erfahrbar“, lässt sich auf der Website lesen. Die Onlineausstellungen, für die fiktive Räumlichkeiten virtuell erschaffen wurden, bieten einen kleinen Vorgeschmack auf das, was der FVKS noch plant. Denn Anfang November launcht die „Nice Gallery“, die die realen Görlitzer Räumlichkeiten maßstabsgetreu ins World Wide Web übertragen will. Den Projektinitiator und Leiter der Galerie Dr. Matthias Krick trafen wir zum Gespräch.

Arsprototo: Herr Dr. Krick, was ist die „Nice Gallery“?

Matthias Krick: Kennen Sie sich ein wenig aus mit Technologie, haben Sie schon mal ein exploratives Videospiel gespielt? So eines, bei dem man sich aus der Ich-Perspektive die Welt erschließt? So haben wir uns das vorgestellt. Wir wollten einen Raum erschaffen, der dem analogen Raum möglichst nahe ist und den man selbstständig erkunden kann, von überall auf der Welt.

Und was wird dort zu sehen sein?

Uns war wichtig, lokale Künstlerinnen und Künstler, die überregional eher unbekannt sein mögen, mit bedeutenden, die bereits Teil des Kanons sind, zu kombinieren. Für die erste Ausstellung, die mit dem Launch der „Nice Gallery“ im November online ging, zeigen wir gleich drei Positionen: „ASA (Abstract Sea Art)“ von Alexander Ostrowitzki, der als Unterwasserfotograf – zumeist – abstrakte Motive festhält; eine Ausstellung der Impressionisten mit ausgewählten Werken aus der Sammlung des Art Institute of Chicago mit u. a. Vincent van Gogh, Pierre-Auguste Renoir, Claude Monet, Alfred Sisley, Edgar Degas, Paul Cézanne und schließlich eine Ausstellung, die sich unter dem Titel „Materialitäten – 3Klang“ mit ausgewählten 3-D-Objekten und ihren Wechselwirkungen mit dem Raum, mit Formen, Farben und Strukturen beschäftigt. Neben dem Ausstellen von Kunst liegt ein zentraler Fokus der „Nice Gallery“ auf dem Raum selbst, auf den Bewegungen und Perspektiven, die sich in ihm eröffnen, also der Erfahrung. Auch ohne VR-Brille soll sich ein realitätsnahes Gefühl, ein möglichst authentisches (Ausstellung-)Erlebnis einstellen. Besonderes Augenmerk haben wir daher auf die vollkommene Bewegungsfreiheit der Nutzenden im Raum, maßstabsgetreue Blickwinkel aus der „Ich-Perspektive“ und die Möglichkeit der Interaktion mit den räumlichen Gegebenheiten gelegt – das alles im besten Fall möglichst niedrigschwellig.

Und wie genau funktioniert das?

Wir arbeiten schon seit langer Zeit mit der Medienkünstlerin ­Agnieszka Lemmer zusammen, die uns bei der technischen Umsetzung, also beim Programmieren und bei der Gestaltung der Räumlichkeiten unterstützt hat. Das war auch ein Prozess. Zunächst haben wir versucht, unsere Räumlichkeiten zu scannen, das hat nicht so gut geklappt. Also haben wir quasi alles Stein für Stein online neu gebaut. Das ganze Projekt lässt sich auch als Experiment verstehen, als Learning. Die Kulturstiftung der Länder hat uns dabei stets ermutigt, Neues zu wagen. Am Anfang war ja noch nicht klar, ob und wie unsere Idee überhaupt realisierbar ist. Mittlerweile haben wir den Dreh aber ganz gut raus. Es ist ein Modell entstanden, das wir nun immer wieder mit neuen Ausstellungen bespielen können und für das wir Werkzeuge entwickelt haben, um nun auch effizienter zu sein. Grund­elemente wie der Boden und die Wände lassen sich nun mit wenigen Clicks verändern. Die „Nice Gallery“ wird über WebGL geschaltet, also vom PC aus zugänglich sein. Die Steuerung erfolgt dann über die Maus und Tastatur. Da wir auf die bestehenden WebGL-Standards für die Übertragung dreidimensionaler Inhalte in Web-Browsern angewiesen sind, lässt sich leider noch nicht alles, was wir entwickeln, 1:1 ins Internet und zu den Nutzern transportieren. Allerdings bereits eine ganze Menge.

Spart diese Form der digitalen Ausstellungen nicht auch Ressourcen ein? Weniger Materialien als im physischen Raum, weniger Transportkosten für Kunstwerke?

Das war anfangs schon die Idee. Aber da muss ich sagen: In fünf Minuten ist die Wechselausstellung nicht gemacht. Jedes neue Bild, das wir im digitalen Raum hängen, muss vorher aus mehreren Perspektiven aufgenommen worden sein, damit sich die unterschiedlichen Blickwinkel im digitalen Raum eröffnen können. Gleichzeitig ändert sich mit jedem Werk im Raum der Schatten, die Lichtsetzung muss angeglichen, die Bildrechte, die online anders sind, bezahlt werden. Es gibt viele unplanbare Komponenten. Und natürlich bekommen die Künstlerinnen und Künstler auch hier ein Honorar. Da sind Sie auch bei einer Ausstellung im virtuellen Raum schnell bei 6.000 bis 7.000 Euro. Außerdem muss man bedenken: Die Produktion verschlingt enorme Rechnerkapazität. Wir haben es geschafft, die jeweils zum Zeitpunkt ihres Erscheinens neuesten und am besten ausgestatteten Rechner mit unseren Ideen in die Knie zu zwingen. Häufig mussten wir folglich mit zwei Hochleistungsrechnern gleichzeitig arbeiten, um zu brauchbaren Ergebnissen zu kommen. Dass uns diese Ressourcen zur Verfügung standen, verdanken wir KULTUR.GEMEINSCHAFTEN. Also, um Ihre Frage zu beantworten: ja und nein.

Ging es Ihnen auch darum, eine größere Reichweite zu erzielen und mehr Menschen Zugänge zu eröffnen?

Unser Ziel war es, die Nutzer dort abzuholen, wo sie meistens sind, nämlich im Internet. Deshalb durfte es keine Restriktionen beim Zugang geben, wie z. B. erforderliche Plug-ins oder die Nutzung von Apps, die erst installiert werden müssten. Wir wollten quasi einen Begegnungsort im Digitalen. Görlitz ist als Stadt an der deutsch-polnischen Grenze ja prädestiniert, grenzüberschreitend zu agieren und überregional Zugehörigkeit zu schaffen. Alle unsere Ausstellungen, analog und virtuell, finden dreisprachig statt: in Deutsch, Polnisch und Englisch. Gespräche unter Besuchenden der „Nice Gallery“ sind momentan zwar noch nicht möglich, aber wir arbeiten schon an Formaten, die auch eine Online-Kommunikation ermöglichen.

Das Gespräch führte Anna Marckwald, Mitarbeiterin dieser Ausgabe von Arsprototo.

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