Rückkehr nach 80 Jahren

Otto Dix’ aufgehende Sonne wirft ein grelles Licht auf dreizehn dahinfliegende Krähen und ein tristes Winterfeld. Der Weg, der dieses Feld diagonal durchschnei­det, führt nicht zur kalten Sonne hin – er verliert sich am Horizont, an dem sich die Wolken unruhig auftürmen. Man mag sich streiten, ob dieses 1913 entstandene Gemälde als Vorahnung auf den 1. Weltkrieg gelten kann oder nicht – es vereint in sich die Ambivalenzen, die solche Vorahnungen in sich trugen: Dix teilte zunächst die Kriegsbegeisterung vieler seiner Zeitgenossen. Statt der Hoffnung auf Er­neuerung erfuhr er jedoch bald schon die Schrecken des Krieges – fast ohne Unter­brechung sollte der Maler dies an vorderster Front erleben. Sein „Sonnen­aufgang“ erscheint so als ahnungs­volle Seelenlandschaft und existentialistisches Bekenntnis­bild zugleich, bei dessen Komposition Dix’ künstlerisches Vorbild van Gogh – besonders sein „Weizenfeld mit Krähen“ (1890) – deutliche Spuren hinterließ.

1920 schenkte Otto Dix sein wichtiges Frühwerk dem Dresdner Stadtmuseum, von wo es kurz nach Hitlers Machtübernahme zusammen mit zahlreichen anderen Werken aus den Beständen des Museums entfernt wurde. Schon im September 1933 war das Gemälde jedoch wieder zu sehen: nun allerdings im Rahmen einer im Lichthof des Dresdner Rathauses installierten Schau verfemter Werke, die in der Folge Station in sieben weiteren deutschen Städten machte. 1937 wurde der „Sonnenaufgang“ auch in die Münchener Ausstellung „Entartete Kunst“ integriert, lagerte danach im Depot des Reichspropagandaministeriums und befand sich dann seit den späten 1940er Jahren schließlich in westdeutschem Privatbesitz.

Der Städtischen Galerie Dresden, die seit ihrer Gründung 2002 den Kunstbesitz der Stadt museal betreut (eine vom Stadtmuseum übernommene Aufgabe), gelang nun mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Hermann Reemtsma Stiftung sowie der Rudolf-August Oetker-Stiftung der Ankauf von Otto Dix’ „Sonnenaufgang“. Ermöglicht wurde diese Erwerbung auch durch das Entgegenkommen der Villa Grisebach in Berlin und des vor­herigen Eigentümers, die auf die geplante Versteigerung des Werkes im Novem­ber 2012 kurzfristig verzichtet hatten. Somit kann jetzt auf glückliche Weise eine der vielen Lücken geschlossen werden, die der nationalsozialistische Bildersturm in den Museumsbeständen hinterließ. Die Kulturstiftung der Länder bemüht sich seit langem, die schweren Verluste in deutschen Sammlungen zumindest punktuell auszugleichen. So kehrt Otto Dix’ Gemälde nun in seinen ursprünglichen Sammlungszusammenhang und gleichzeitig an den Ort zurück, der für den Künstler Zeit seines Lebens ein wichtiger Bezugspunkt war.