Ewige Weisheit der Nonnen

Ein reicher Fundus mittelalterlicher Handschriften findet sich in der Stadt­bib­liothek Nürnberg – nicht zuletzt dank einiger Hundert dort erhaltener, kost­barer Bände des ehemaligen Katharinenklosters. Die Bibliothek des 1295 gegrün­deten Dominikanerinnenkonvents beherbergte mit fast 600 nach­weisbaren deutsch­sprachigen Handschriften eine der größten Laienbiblio­theken des späten Mittel­alters. Nach 1428 entwickelte sich das Kloster zu einem Zentrum der Ordens­reform: Die Dominikanerinnen reisten über Jahrzehnte in andere Klöster, um die Ordensgebote – insbesondere die der Armut und Besitz­losigkeit – weiter zu verbreiten. Auch betätigten sich die Nonnen selbst als Schreiberinnen und fertigten Hand­schriften für die Klosterbiblio­thek an. Als das Kloster im Jahr 1596 aufgelöst wurde, kamen die Bestände größtenteils in die nach Einführung der Reformation 1525 gegründete Stadtbibliothek Nürnberg.

Der Stadtbibliothek Nürnberg gelang es nun mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und der Zukunftsstiftung der Sparkasse Nürnberg, die Sammlung des Katharinenklosters um einen wertvollen Band zu ergänzen: In einem schweizeri­schen Antiquariat wieder aufgetaucht, kehrt die ver­schollen ge­glaubte Handschrift des „Büchleins der ewigen Weisheit“ glücklich zurück nach Nürnberg. Das einfluss­reiche Werk des Mystikers Heinrich Seuse (1295/97–1366) war vor allem in den Reformklös­tern sehr beliebt; in seinem Traktat schildert Seuse, wie Christus ihn in die Geheim­nisse seiner Lehre und seines Leidens einwies. Beson­ders häufig gelesen wurde das Werk in süddeutschen Frauenklöstern.

Aus über­lieferten Inventaren des Klosters erfährt man, wie der jetzt erworbene Band in das Kloster gelangte – die Nonne Margreth Köpfin hatte ihn als Ge­schenk von ihrer Schwester erhalten, als sie in den Konvent eintrat. Außerge­wöhnlich wertvoll macht die Handschrift aber nicht ihr sehr guter Erhaltungszu­stand, sondern u. a. die exakt mögliche Datierung auf 1435 sowie die Nennung eines zwischen 1432 und 1454 tätigen Schreibers, Johann Rosengart: Damit gewinnt die Erforschung der süddeutschen Handschriften in der Zeit vor Erfindung des Buch­drucks einen neuen wichtigen Mosaikstein hinzu. Außerdem finden sich auf einem eingeklebten Pergamentfragment eine Namensliste der Schwestern des Kon­vents sowie weitere handschriftliche Vermerke: Sie lassen Rückschlüsse auf die Nutzung der Handschrift und die Sitzordnung der Nonnen im Chor zu. Die Handschrift bietet somit ergänzende Hinweise auf die Ent­wicklung der Schreibtätigkeit im Kloster, den Aufbau und die Organisation der dortigen Biblio­thek sowie den Bildungsstand der Frauen.