Der Rousseau von der Saale

Was für eine Karriere! Erst war Albert Ebert (1906–1976) Hilfsarbeiter auf dem Bau, dann Soldat im Zweiten Weltkrieg. Im Lazarettbett entstand die Idee, Maler zu werden. 1946 – mit 40 Jahren – wurde er für zwei Semester Student der ­Malerei an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle, später einige Zeit ihr Heizer, denn vom Verkauf der eigenen Bilder konnte Ebert seine Familie nicht ernähren – von den monatlich 259,20 Mark Heizerlohn auch nur wenig besser. Heute gilt der Hallenser Maler Albert Ebert als einer der originellsten und interessantesten Künstler aus Halle. Dass er ein Naiver war, wird gern gesagt und ebenso gern bestritten. Doch der Titel „Rousseau von der Saale“ klingt so schön, dass man ihn ihm nicht streitig machen möchte, auch wenn er nicht so richtig passen will.

Albert Ebert, aufgenommen von seinem Freund Helmut Brade im Jahr 1973
Albert Ebert, aufgenommen von seinem Freund Helmut Brade im Jahr 1973

Als Eberts Bilder erstmals in einer Einzelpräsentation gezeigt wurden – 1957 in einem Werbe-Pavillon der Berliner Zeitung am Bahnhof Friedrichstraße – war das Staunen der herbeidrängenden Besucher groß und das Ergebnis überwältigend: Alle Bilder wurden verkauft. Auch Ludwig Justi, der greise Geheimrat und Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, ließ sich zu einem Ausstellungsbesuch überreden und kaufte zwei Bilder für die Nationalgalerie: „Heizers Geburtstagsständchen“ und „Die Ankunft der Heiligen Drei Könige“. Es war das letzte Mal, dass sich der 80-jährige Justi für einen lebenden Künstler begeisterte. Justis Nationalgalerie bekam die zweite Fassung von „Heizers Geburtstagsständchen“, das sich der Maler selbst zum 50. geschenkt hatte. Die erste Fassung war zuvor schon vom Städel Museum in Frankfurt gekauft worden, wo sie allerdings bis heute im Depot schlummern muss.

Beide Gemälde zeigen den Heizer als dunklen Schatten am hellen Ofenloch, während die Instrumente der Musikanten, die weißen Gewänder der Engel und die gratulierende Familie um so heller strahlen. Als kleinen Witz lässt Ebert auf dem Berliner Bild ein Ulbricht-Porträt im Ofenloch schmoren. Die Szene ist so fantastisch wie realistisch, aber vor allem fern aller DDR-Kunst-Vorgaben. Denn Ebert interessierte das damals moderne große Format ebenso wenig wie die geforderten und geförderten Themen. Auf seinen Minia­turen kommt der Krieg nicht vor, der sozialistische Aufbau auch nicht. Halle war sein Erlebnisraum, die Kulisse seiner Bilder und ihr Inhalt – neben christ­lichen und mythologischen Themen. Es gibt kein Aufmarschpathos, keine Marx-Engels-Lenin-Porträts, keine Chemie­arbeiter im heroischen Kampf am Schaltpult. Für solche Themen waren die Staatsmaler Sitte, Tübke, Heisig, Mattheuer und ihre Schüler zuständig. Albert Ebert malte das alltägliche Leben: Feste und Märkte, Frauenakte und Kaffeerunden, Trauerfeiern und Lampion­umzüge. Die schönsten seiner Miniaturen verbreiten die geheimnisvolle Stimmung einer fernen, glücklichen Zeit samt Engeln und Teufelchen.

Und das war das Problem. Eigentlich hatte Ebert eine Biographie, wie sie sich die Ideologen wünschten: Ein Arbeiter, der die Kunst nicht nur für sich entdeckte, sondern Künstler wurde. Doch Eberts Kunst war anders als gewünscht, was zu überaus amüsanten Formulierungen führte. Im Katalog zur Retrospektive in der Moritzburg in Halle 1976 heißt es daher fast verzweifelt: „Sein Werk und die zeitliche Dimension seines Schaffens ist in Kongruenz mit der Kunstgeschichte der DDR, auch wenn Albert Ebert nicht zu jenen gerechnet werden kann, deren Bilder und Grafiken wegbereitende Impulse, entwicklungsbestimmende gestalterische Neuerungen vermitteln oder leidenschaftlichen Meinungsstreit hervorriefen.“ Das bedeutet in Kurzform: Ebert macht, was er will, und hat damit auch noch so großen Erfolg, dass man ihn nicht ignorieren kann.

„Mehr als jeder andere Künstler wurde Ebert zur Hallenser Identifikationsfigur“, sagt Moritzburg-Kuratorin Cornelia Wieg. Künstlerkollegen setzten sich für ihn ein, Sammler liebten seine Miniaturen. Allerdings erfüllte Ebert auch deren Vorstellungen nur selten. „Es kamen sogar Ausländer mit Dolmetschern, höchst kultivierte Leute, die interessante Fragen stellten. Ebert war das alles fremd. Er stand da in seinem weißen Malerkittel und war unfähig, den berühmten Naiven zu spielen, den man erwartete“, erinnert sich der Freund und Graphikdesigner Helmut Brade.

Wer ihn besuchte, sah viele kleine Holztafeln an den Wänden hängen. Einige waren nur grundiert, andere schon mit einer ersten Malschicht überzogen. An manchen arbeitete er monatelang. Dass er sie dann einfach verschenkte oder eintauschte, gehört wohl ins Reich der Legenden. Sicher dagegen ist, dass Ebert es meisterhaft verstand, stimmungsvolle Szenen zu malen – ob es eine Straße im warmen Licht der Laternen oder eine dramatisch beleuchtete Hallenser Theaterszene ist, die nüchtern-graue Atmosphäre einer Aktzeichenstunde oder die fahl-triste Lichtstimmung in einer HO-Gaststätte. Das meist gebrauchte Wort für diese Kunst ist „kostbar“. Ein schönes Wort, das nicht nur die Wirkung der kleinen Bilder beschreibt. Kostbar steht auch für die aufwändige, altmeisterlich ausgeführte Öl­malerei, die Ebert pflegte. Finanziell war das natürlich problematisch. Doch Ebert wusste sich zu helfen: „Da habe ich ein Paar Schuhe verkloppt (…) und habe mir auf’m Dorfe Mohnöl besorgt, auch Leinöl. Dann bin ich zu Farben-Kramern gegangen und habe mir die Farben selber gemischt“, erzählte er dem Schriftsteller Gerhard Wolf. Dieser schrieb die Monographie „Albert Ebert. Wie ein Leben gemalt wird“, die 1974 erschien. Da war der Künstler schon 68 Jahre alt und litt an einer Augenkrankheit, die ihn am Malen hinderte. Zwei Jahre später eröffnete in der Hallenser Moritzburg die erste Retrospektive. Zu spät für Ebert. Er hat die Ausstellung nicht mehr gesehen, denn er war todkrank und starb sechs Tage nach der Eröffnung.

Sein Ruhm wuchs seitdem unaufhörlich. Es ist nicht nur die Perfektion der kleinen Bilder, die wunderbar aus der Tiefe leuchten und vom ganz alltäglichen Leben erzählen, die diese Kunst so einmalig und besonders machte und macht. Es sind nicht nur die späten Graphiken, die Ebert gern nachkolorierte, weil sie ihm nur mit Farbe vollendet erschienen. Es ist auch die Kompromisslosigkeit eines Künstlers, der sich fern der ideologisch und parteipolitisch geforderten Kunst und fern der Mode bewegte. Ein DDR-Künstler war Ebert nicht, auch wenn seine Heimatstadt in der DDR lag.

Mit eben dieser Unterscheidung zwischen DDR-Kunst und Kunst, die in der DDR entstand, schaffte es die Berliner Nationalgalerie 2003, ihren Rückblick auf 40 Jahre Ost-Kunst zu einer viel diskutierten, aber weithin akzeptierten Überblicksschau zu machen. Denn die beiden Kuratoren Eugen Blume und Roland März wählten für diese Ausstellung die Werke allein nach ihrer Qualität und kunsthistorischen Relevanz. Ebert war mit drei Werken vertreten, die sehr bewundert wurden. Die Kritik feierte ihn unisono und sprach von der „geradezu betörenden Malerei“ und von „juwelenhaften Miniaturen“.

Klaus Gallwitz, der Ebert schon 1966 in Karlsruhe gezeigt hatte, schrieb über seine Begegnung mit diesen Bildern: „Dann leuchten die Farben und glänzen die Rahmen, als hätte ein Wesir sich das Vergnügen gemacht, einen Alkoven im Serail mit kostbaren Miniaturen zu schmücken.“ Und Gallwitz zieht eine überraschende Parallele zwischen dem Hallenser Künstler und dem Frankfurter Maler Adam Elsheimer (1578–1610): „Dieselbe stille, vornehme Haltung der Figuren, derselbe Aufwand an nuancierter, koloristischer Auszeichnung und vor allem eine sehr verwandte Auffassung des Übersinnlichen im sinnlichen Gewande. Hier treffen sich die Unvergleichlichen im Glanz ihrer individuellen Mythologie.“ Individuelle Mythologie – Harald Szeemann, der Schweizer Kurator, hat diesen Begriff geprägt, um künstlerische Wege und Werke zu beschreiben, die eigenständiger sind als die meisten anderen. Er trifft perfekt auf Ebert und seine Malerei zu.

Mindestens 752 Bilder malte der Hallenser Künstler – so viele listet das 2001 erschienene Verzeichnis der Gemälde auf. Wahrscheinlich gibt es noch mehr von diesen manchmal nur handtellergroßen Kunstwerken, denn die meisten Arbeiten befinden sich in Privatbesitz. Ganz sicher aber ist, dass Helene Weigel kein Bild bei Ebert gekauft hat. 2.000 Mark, ließ die Intendantin des Berliner Ensembles dem Künstler 1965 ausrichten, 2.000 Mark seien ihr viel zu teuer. Ihr Briefwechsel mit Ebert ist Teil des schmalen Nachlasses, der im Archiv der Berliner Akademie der Künste aufbewahrt wird. Hier finden sich Briefe und Urkunden, Zeitungsausschnitte und handschriftliche Erinnerungen des Malers.

Albert Ebert, Akt auf rotem Hocker, 1974, 90 × 48 cm; Privatbesitz, Stiftung Moritzburg, Halle
Albert Ebert, Akt auf rotem Hocker, 1974, 90 × 48 cm; Privatbesitz, Stiftung Moritzburg, Halle

Seinen Bildern begegnet man am besten in Halle, seiner Heimatstadt. Die Stiftung Moritzburg besitzt mit 27 Gemälden, zwölf Zeichnungen und kolorierten Drucken sowie dem gesamten druckgraphischen Werk die größte Ebert-Museumssammlung. 2009 bekamen die Bilder in einem runden Turmzimmer ihr eigenes Kabinett. Die Dauerausstellung wurde mit den Spenden ehemaliger Hallenser und der Museumsbesucher eingerichtet. Momentan bemüht sich das Museum, Bilder, die sich noch im Familienbesitz befinden, für das Kabinett zu gewinnen. Sie wären eine grandiose Ergänzung des Bestandes. Ebenso wie andere Stücke aus Eberts Besitz, zum Beispiel der Schrank, von dem der Maler schrieb: „Habe mir in diesem Jahr einen Schrank gekauft mit 12 Fächern, um Graphik und Zeichnungen für meine Familie aufzubewahren. (…) Alle sind, ob Laien oder Künstler, von meinem 4ten Fach entzückt. Wie Juwelen liegen die Bilder da, 18 Stück, mehr habe ich gemacht, aber in das Fach zu kommen, ist nicht jedem Bild vergönnt.“

Einen Stammplatz hätte der „Akt auf rotem ­Hocker“ von 1974 dort verdient. Heute ist dieser in den letzten Lebensjahren gemalte Akt das erste Bild, das dem Besucher des Albert-Ebert-Kabinetts entgegenleuchtet. Denn die zarte, helle Haut des Mädchens vor rot-schwarzem Hintergrund zieht den Betrachter ge­radezu magisch an. Sparsam aber wirkungsvoll sind Lichtpunkte auf Schuhe und Kette und Brustwarzen gesetzt, so dass sie wie Schmucksteine zu strahlen scheinen. Karin Thomas, Spezialistin für die Kunst des 20. Jahrhunderts, nannte Eberts Aktbilder „die schönsten“ in der DDR-Kunst und urteilte: „Eberts Figuren, vor allem aber seine wie Märchenfeen aus sattwarmer Farbigkeit erstrahlenden Akte, faszinieren durch das humorvolle Miteinander einer naiven Unmittelbarkeit und einer puppenhaften Pose, die das scheinbar Paradoxe, nämlich Volksnähe und festliche Künstlichkeit, in eine unerwartet harmonische Synthese überführt.“ Der auffällig geschwungene Rahmen dieses Aktbildes ist aus einer Nähmaschinentischplatte von Eberts Frau entstanden. Er ist so wichtig, wie alle Rahmen bei Ebert, die die Bilder nicht einfach einrahmen, sondern  zum Guckkasteneffekt der Szenerien entscheidend beitragen.

Der Nachruhm ist mit dem Ebert-Kabinett und einer 1992 nach ihm benannten Straße in Halle gesichert. Peter Hacks, der mehrmals seine Texte von Ebert illustrieren ließ, wusste natürlich um die Bedeutung des Künstlers. Er schrieb ihm 1975: „Wie gut wir waren, wollen wir, bescheiden, wie wir sind, dem Urteil der folgenden Jahrtausende überlassen, aber das unter uns: ich bin mit Ihnen wie mit mir nicht unzufrieden, gar nicht unzufrieden. Keineswegs.“