Schlüsselbilder der Fotografie

Liebe Leserin, lieber Leser,

Kunst geht Haupt- und Nebenwege. Und manchmal geht sie Umwege. Und von allen dreien dieser Wege kann ich heute berichten – im Hinblick auf bedeutende Erwerbungen deutscher Museen im Bereich der Fotografie, einem Medium, das sich längst seinen Weg in die großen Museen und Sammlungen gebahnt hat und das – wie unlängst in der Neupräsentation der Kunst des 19. Jahrhunderts im Frankfurter Städel gezeigt – als integraler Bestandteil der gesamten Kunstgeschichte gesehen werden muss, mit eigenen Traditionen und eigener Ikonographie. Über einhundert Jahre spannt sich denn auch der Zeitraum der fotografischen Positionen, denen wir den Schwerpunkt unserer Sommerausgabe von Arsprototo widmen möchten. Und sie könnten unterschiedlicher kaum sein!

Zunächst – folgen wir der Chronologie – Karl Blossfeldt (1865–1932), der über einen Umweg zum Exponenten der Fotografie der Neuen Sachlichkeit geworden war. Denn seine heute so berühmten, kühl und sachlich komponierten Aufnahmen von Pflanzen waren seinerzeit zunächst als Anschauungsmaterial für die Kunsterziehung entstanden, ehe sie zu Ikonen der Fotografiegeschichte wurden, die noch Bernd und Hilla Becher und deren berühmte Schülergeneration beeinflusst haben. Und dann: die eindrücklichen Aufnahmen von Robert Frank (geb. 1924), der mit seinem Foto­grafieband „The Americans“ von 1958 eines der wirkungsmächtigsten Zeugnisse eines zeitgenössischen Blicks auf die amerikanische Gesellschaft vorgelegt und seitdem als ein Hauptvertreter seiner Kunst das Bild seiner Heimatstadt New York wie kaum ein zweiter Fotograf geprägt hat. Des Weiteren die Chemnitzer Künstlergruppe Clara Mosch (1977–1982), die sich spontanen – doppelbödigen wie vermeintlich subver­siven – Happenings verschrieben hatte, die nicht nur absichtlich, sondern oft auch nebenbei mit Mitteln der Fotografie dokumentiert worden sind. Denn die Staatssicherheit fotografierte fleißig mit. Ulrich Cle­wings Artikel über Clara Mosch in dieser Ausgabe liest sich folgerichtig nicht nur wie ein Kapitel der Kunst-, sondern auch der DDR-Geschichte – nicht ohne bittere Ironie. Und schließlich die Werkgruppe „Waffenruhe“ von Michael Schmidt, der 1968 vom ausgebildeten Polizisten zur Fotografie überwechselte und in den 1980er Jahren die andere, westliche Seite des Eisernen Vorhangs beleuchtete. Und dies keineswegs mit Bildern vom „Goldenen Westen“, sondern in der Manifestation von Entmutigung und Entrückung: starke Bilder einer seltsam stillstehenden Zeit kurz nach dem Ende des Kalten Krieges, eine Zeit in Westberlin, in der das Alte aufgebraucht war und sich nichts Neues anzukündigen schien. Manch einer von uns, der die Stadt in den Jahren vor 1989 erlebt hat, kann sich an jene seltsam unwirkliche Ära der Stagnation noch gut erinnern, der Michael Schmidt mit seinen Bildern so nachdrücklich Gesicht verliehen hat.

Mir bleibt, Ihnen und Ihren Familien eine schöne und erholsame Sommer- und Ferienzeit zu wünschen und Ihnen in dieser Ausgabe von Arsprototo ganz besonders den Artikel von Uta Baier über den Hallenser Maler Albert Ebert (1906–1976) zu empfehlen, mit dem wir unsere Serie über Künstler fortsetzen möchten, die nicht nur Pars pro Toto für ein Land stehen – diesmal Sachsen-Anhalt –, sondern auch eine länderübergreifende Bekanntheit verdienen: Albert Ebert war vom Hilfsarbeiter am Bau und späteren Heizer zum Maler geworden, der als „Rousseau von der Saale“ sogar den Direktor der Berliner Nationalgalerie Ludwig Justi begeisterte. Auch dies einer der vielen Nebenwege der Kunst, dessen Geschichte sich zu ent­decken lohnt!

Ihre Isabel Pfeiffer-Poensgen