Der bekannte Unbekannte
„Krabat“, „Die Abenteuer des starken Wanja“ oder „Die Glocke von grünem Erz“ – Generationen haben seine Bilder in den Büchern Otfried Preußlers, aber auch Willi Fährmanns, Ingeborg Bayers oder Theodor Storms im Gedächtnis. Doch seinen Namen kennen die wenigsten: Herbert Holzing. Trotz unzähliger Veröffentlichungen und vieler Auszeichnungen ist der herausragende Illustrator der sechziger bis neunziger Jahre Zeit seines Lebens im Schatten seiner Bilder geblieben.
Geboren 1931 in Trier, 2000 dort auch gestorben, war Herbert Holzing vom Schildermaler über Stationen an der Kunstakademie Karlsruhe und der Werkkunstschule Trier zum Werbegraphiker geworden. Doch die Enge des „Konzeptionssilos“ Reklame trieb ihn mit 34 Jahren in die Selbstständigkeit. Und dieser Schritt war wohlgetan: Holzing wurde zu einem der wichtigsten Buchillustratoren Westdeutschlands – und das, obgleich sein Stil so östlich war.
„Die erdige Vitalität, das Emotionale, die ausdrucksstarke Poesie der Gesichter, besonders der Frauen“, fesselten Holzing an der slawischen Kunst. „Das Ornamentale in der Buchkunst, in der Volksmusik, im Tanz. Die poetischen und sinnlich-empfindsamen farbigen Bilder des naiven Realismus entstehen in diesem Raum. Irgendwie fühle ich mich da – eigentümlich genug – zu Hause.“
Unverkennbar sind die Einflüsse auf sein Werk: sepiabraune Bilder, die trotz aller Farben, die Holzing in Schichten über Schichten aufzutupfen pflegte, meist eine dunkle Seite in sich tragen, ertragbar für Kinder oft leichter als für Erwachsene. Surreal und phantastisch, oft in krassen Anschnitten oder mutigen Perspektiven, kamen seine Figuren daher, meist flächig wie die Protagonisten eines Figurentheaters, dann aber wieder voll des Reichtums in Details von Kleidung, Tieren oder Gegenständen. So gewinnen Holzings Werke im Original fast den Charakter plastischer Arbeiten, sanfter Reliefs, die man geradezu berühren möchte.
„Gespenstisch schön“ und „unheimlich“, „traumtief“ und „voller Geheimnisse“ fanden vergangene Rezensenten seinen Stil – allzu oft verbargen sich seine seltsam verschlossenen Figuren dem Betrachter mehr als sie sich ihm offenbarten. Nicht von ungefähr sollte ihr Schöpfer besonders für die sagenhaften Stoffe zum Pinsel greifen: Das finnische Nationalepos „Kalevala“ hat Herbert Holzing ebenso wie Lloyd Alexanders „Taran“ um mehr als eine Ebene bereichert. Denn das Tauchen in den Text, das Aufspüren von Atmosphäre, war Grundlage seiner Arbeit. Nie wäre es Holzing in den Sinn gekommen, nur auf der Basis eines Klappentextes einen Umschlag zu gestalten.
Für die Bilder der alten sorbischen Sage „Krabat“ recherchierte Holzing die historischen Gegebenheiten der Dichtung; er besorgte sich Bilder von Land und Leuten und studierte deren Tracht. So konnte er bei seinen Illustrationen genau differenzieren zwischen Bauern, Handwerkern und Patriziern und mit der Farbskala stilsicher soziale Unterschiede aufscheinen lassen. Die florale Ornamentik in den prachtvollen Mänteln und Kleidern der Obrigkeit geriet ihm zu einem einzigen Farbenglanz. „Hier konnte der Künstler mit allen Nuancen seiner Farbpalette brillieren“, schreibt Christian Scheffler, ehemaliger Leiter des Offenbacher Klingspor-Museums und einer der besten Kenner internationaler Buchkunst. „So ist zum Beispiel die Farbe der dunkel-lila Fläche eines hochgewölbten Planwagens nicht mit dem Pinsel eintönig angelegt, sondern mit einem kleinen Stoffballen auf das Papier getupft und damit reizvoll strukturiert; die Materialität der Stofflichkeit der gealterten Leinenplane wird damit dem Auge des Betrachters suggeriert.“
Über zwei Millionen Mal wurde „Krabat“ in zahlreichen Auflagen und Ausgaben verkauft, weltweit übersetzt in mehr als 30 Sprachen, bis hin ins Koreanische.
„Sprachkunst löst Bildkunst aus, die aus eigenem Vermögen den Betrachter auf etwas aufmerksam macht, das in der Dichtung vorgezeichnet ist“, hat Horst Oppel in seinen Forschungen zur Shakespeare-Illustration geschrieben – dieses Wissen um die „wechselseitige Erhellung der Künste“ sollte auch in Herbert Holzing einen Meister finden.
Eine eher zufällige Begegnung führte nun dazu, dass sein Nachlass nahezu geschlossen in das Bilderbuchmuseum auf Burg Wissem in Troisdorf gelangte. Denn nur am Rande eines Gespräches mit der Tochter des Illustrators während eines privaten Termins erfuhr die Kulturstiftung der Länder vom Erbe des Herbert Holzing, das von seiner ehemaligen Frau Christine inventarisiert und ergänzt worden war und nun vor der drohenden Zerschlagung stand, weil die Mittel für einen Gesamterwerb scheinbar nirgendwo vorhanden waren. Die Familie selbst hatte schon seit längerer Zeit den Verkauf an ein Museum favorisiert, wobei Troisdorf an erster Stelle stand, doch fehlten Rat und Tat, um eine solche Transaktion zu bewältigen.
Denn die Veräußerung kompletter Nachlässe ist eine vielschichtige Angelegenheit, die weit über die normalen Usancen des Kunsthandels hinausreicht. Den Wünschen der Erben stehen mitunter hohe Folgekosten der erwerbenden Institutionen für die Archivierung, Aufarbeitung und dauerhafte konservatorische wie wissenschaftliche Betreuung gegenüber. Zwar erhält ein Museum mit einem Nachlass meist herausragende Objekte, doch sind in jedem Nachlass oft auch mannigfache Konvolute präsent, die von geringerem Wert oder Interesse sind, der Vollständigkeit halber aber miterworben werden sollen – und streng genommen sogar müssen. So gilt es bei der preislichen Bewertung ganzer Nachlässe manches gegeneinander abzuwägen; eine bloße Addition von Preisen, die für Einzelblätter etwa auf Auktionen oder in Verkaufsausstellungen gezahlt wurden, ginge an der Sache vorbei. Für die Erben kommt hinzu, dass die oft gewünschte Verankerung des Künstlers in der Kunstgeschichte grundsätzlich durch eine systematische Sicherung und Dokumentation des Nachlasses am besten gewährleistet werden kann – und dies besonders bei jenen Künstlern, die zu Lebzeiten wenig Strahlkraft auf dem Kunstmarkt besaßen.
Bei einem solch komplexen Vorhaben nun konnte die Kulturstiftung der Länder helfen, die in der Vergangenheit schon die Erwerbung vieler bedeutender Nachlässe deutscher Künstler und Literaten – von Bertolt Brecht bis Wilhelm Lehmbruck – für öffentliche Institutionen unterstützt hat und dabei immer ausgewiesene Spezialisten für genaue Expertisen hinzuzieht.„Hochkarätig“ und „frappierend“ fand denn auch der langjährige Leiter der Handschriftenabteilung der Berliner Staatsbibliothek, Professor Tilo Brandis, den Nachlass Herbert Holzings, den er im Auftrag der Kulturstiftung begutachtete und dessen „Bedeutung für das Kinderbuch des späten 20. Jahrhunderts außer Frage steht“. Darüber hinaus, so Brandis, stelle das Erbe Holzings, „ein höchst aufschlussreiches Quellenmaterial zur Dokumentation, Erforschung und musealen Präsentation der modernen Kinder- und Jugendbuchillustration dar“. Christian Scheffler wiederum kam in seinem Gutachten für die Kulturstiftung zu dem Ergebnis, die Geschlossenheit und Aufarbeitung dieses Lebenswerkes sei „ein Glücksfall“ für das Museum der Stadt Troisdorf. „Ein so umfassendes Œuvre eines Illustrators in einer öffentlichen Sammlung für die Zukunft zusammenhalten zu können, ist eine besondere Gelegenheit. In den seltensten Fällen findet man von einem Künstler noch einen so umfangreichen Bestand an Originalen zusammen wie im Fall von Herbert Holzing. Sein hochkünstlerischer Illustrationsstil ist unverwechselbar.“
Beinahe 1.000 Arbeiten, ergänzt um viele Originalausgaben seiner Bücher, sind nun in das Bilderbuchmuseum Troisdorf gelangt. Nach dem Umbau des Hauses 2012 will das Museum Herbert Holzing mit einer umfassenden Ausstellung feiern. Dann wird auch der Mann hinter seinen Bildern wieder aufscheinen, der – so wie mancher Autor mit Worten Bilder malt – mit seinen Bildern fabelhaft erzählen konnte.