Frauenkörper auf Papier

Mit dynamischem Schwung tanzte die Kohle angesichts der jungen Modelle über das Blatt – „geboren in der Ekstase des ersten Sehens“, nannte Ernst Ludwig Kirchner seinen zeichnerischen Schöpfungsprozess. Auch heute faszinieren seine flüchtigen Porträts von Frauen und Mädchen, die der junge Kirchner in rascher Folge ab 1905 in Dresden fertigte. Drei graphische Glanzstücke aus dieser Zeit kommen jetzt ins Brücke-Museum: Die Arbeiten, zwei Kohlezeichnungen (69 x 89,5 cm) und ein Pastell (48,5 x 59,5 cm) aus den Jahren 1908 bis 1910, bestechen durch ihr seltenes Großformat.

Die mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin erworbenen Blätter markieren einen ersten Höhepunkt im Schaffen des „Brücke“-Künstlers. Ernst Ludwig Kirchner – Gründungsmitglied der 1905 in Dresden formierten Gruppe – revoltierte mit seinen Mitstreitern gegen die Kunstauffassung seiner Zeit. Mit den „Viertelstundenakten“, dem spontan-intuitiven Zeichnen vor dem Modell, wollten sie die kunstakademischen Normen überwinden: Statt der als blutleer empfundenen, präzisen Naturwiedergabe betonten die Künstler mit dynamischer Malweise die atmosphärische Stimmung und die kompositorische Spannung ihrer Arbeiten. Die Kohlezeichnung „Großes liegendes Mädchen im Wald“ ist dafür ein Paradebeispiel. Mit rasch gezogenen Konturen erfasste Kirchner die sich räkelnde Fränzi Fehrmann, die als sehr junges, androgynes Modell gleichsam zu einer Ikone des Expressionismus wurde. Das im Sommer 1909 oder 1910 bei den Moritzburger Teichen entstandene Werk versinnbildlicht das für die Künstlervereinigung programmatische Ideal der Verschmelzung von Kunst, Natur und kraftvollem Leben.

Stilistisch umreißen die drei Zeichnungen eine künstlerische Wende in Kirchners Oeuvre: Das Blatt „Große Frau in schwarzem Kleid“ von 1908 lässt seine Begegnung mit den Arbeiten der französischen „Fauves“ um Henri Matisse erkennen. Deutlich zeigt dies das Spannungsverhältnis zwischen Linie und Fläche und im Fall der Pastellzeichnung „Liegendes Mädchen am Ofen“ (1908/09) die nicht naturalistische Farbgebung des Modells. Gleichzeitig lässt Kirchner sein Vorbild hinter sich: Das Schroffe und Scharfkantige des „Brücke“-Stils kündigt sich an. Das Berliner Brücke-Museum, das die umfangreichste Sammlung zur Künstlergruppe beherbergt, verfügt bereits über viele Werke Kirchners. Mit der Neuerwerbung aus der Sammlung Karsch/Nierendorf erweitert das Haus seine Sammlung glücklich: Denn insgesamt sind nur rund 30 großformatige Zeichnungen Kirchners bekannt.