China und Japan

Liebe Leserin, lieber Leser,

„Wer hat denn je in Japan ein Kind mit blauen Augen gesehen?“, fragt die junge Geisha Cho-Cho-San, genannt „Butterfly“, in Giacomo Puccinis gleichnamiger Oper von 1904 den erstaunten US-Konsul von Nagasaki, als dieser gar nicht glauben mag, dass ihr kleiner Junge einen amerikanischen Vater hat. Madame Butterfly brachte es damit auf den Punkt: So abgeschottet hatte sich das Land bis in das 19. Jahrhundert, dass jeglicher Einfluss nach innen – wie außen – weitgehend unterbunden war. Kein Wunder also, dass schon die Augenfarbe eines Knaben reichen konnte, um diesen als Exoten zu erkennen.

Zweifelsohne markiert Puccinis ebenso berührende wie bestürzende Verismo-Oper um die betrogene Butter­fly den musikalischen Höhepunkt des „Japonis­mus“ – jener Modewelle, die halb Europa erfasste, nachdem die Öffnung der japanischen Häfen die mannigfachen Zeugnisse jener Kultur nach Übersee befördert hatte. Staunend stand man vor den zarten Holzschnitten, fragilen Kompositionen, leichten Formen und feinsten Oberflächen von Japans Kunst und Kunstgewerbe – wie faszinierend, farbenprächtig und geheimnisvoll schien diese Welt! Und die Folgen waren epochal. Ob Gustav Klimt oder Van Gogh, Manet, ­Lalique, Gallé oder van de Velde, ob Mailand, Wien oder Paris – überall wurde die Kunst aus Japan zur Quelle für die Malerei wie für den Jugendstil; selbst die Keramik der Bauhauszeit war von der Schlichtheit aus Ostasien noch inspiriert.

Hatte sich Puccini noch persönlich durch die ­Gattin des japanischen Botschafters in fernöstliche ­Ge­­bräu­che und Gesänge einführen lassen, um ­seiner „Butterfly“ ein möglichst authentisches Kolorit zu ­geben, so mussten frühere Generationen ihre rege Phantasie bemühen, um sich die Formenwelt des fernen Ostens herbeizudenken – es sei denn, man verfügte über rare Originale. Holländische Seefahrer hatten solche nach Europa mitgebracht, und deren fleißigster Käufer war kein Geringerer als August der Starke, ­König von Sachsen und längst schon infiziert mit der „maladie de porcelaine“, der „Porzellankrankheit“. Nicht lange sollte es dauern, und die Meissener Porzellanmanufaktur kopierte die japanischen Dessins – mit wachsendem Erfolg.  Eine herausragende Sammlung dieses Meissener Kakiemon-Porzellans konnte nun durch das Düsseldorfer Hetjens-Museum erworben werden; und da sich auch Frankfurt und Köln über besondere Neuzugänge aus Ostasien freuen können – die Holzschnittsammlung von Otto Riese und die Marmorstatue eines Wächterkönigs –, möchten wir die Winterausgabe von Arsprototo der Ostasiatischen Kunst widmen. Nicht von ungefähr blickt auch unsere Künstlerserie in Ars­prototo auf jenes Land, das dem Japanischen wie auch Chinesischen mehr als alle anderen erlegen war: Sachsen. Mit Johann Melchior Dinglinger stellt Uta Baier den Hofgoldschmied aus Dresden vor, der dem Traum vom fernen Osten phantasievollste Gestalt verliehen hat.

Mir bleibt, Ihnen und Ihren Familien frohe Festtage und einen guten Jahreswechsel zu wünschen. Herzlich danken möchte ich allen Spenderinnen und Spendern des zurückliegenden Jahres, die unsere zahlreichen und so wichtigen Restaurierungsaufrufe erhört und bedacht haben. Bleiben Sie uns, bleiben Sie der Kulturstiftung der Länder gewogen!

Ihre Isabel Pfeiffer-Poensgen