Erwerbungen
Filz am Dom
Ein alter Rasierspiegel im Zentrum des Bischofswappens? Diese Beigabe auf einer der Bronzetüren des Kölner Doms, eine Intuition seines Schülers, billigte der Künstler Ewald Mataré – er war im Jahr 1947 mit der Gestaltung der Türen des Südportals des Kölner Doms beauftragt worden. Die technische Ausführung besorgte sein damaliger Meisterschüler Joseph Beuys, der die Mosaiken und das Relief „Das brennende Köln“ fertigte. Der eingefügte Spiegel löste sich jedoch nach einiger Zeit und wurde – ohne Rücksprache mit den Künstlern – durch einen einfachen Mosaikstein ersetzt. 1980 um einen Beitrag zur Ausstellung anlässlich des 100. Jubiläums der Fertigstellung des Kölner Doms gebeten, monierte der mittlerweile weltberühmte Künstler Beuys jedoch das Fehlen seiner persönlichen „Beigabe“ auf der Bischofstür: „Mein Rasierspiegel fehlt“ prangt groß auf einer der auf Fotoleinen aufgezogenen Reproduktionen der vier Domtüren. Der ironische Bezug auf sein damaliges Readymade reflektierte auch Beuys’ künstlerische Herkunft als Schüler Matarés – und seine Distanz zu ihm: Mit einem eingefügten Kreuz in Braunkreuz-Farbe auf der Pfingsttür und einem Filzelement in Form eines halbierten Kreuzes auf der Papsttür kommentierte der Künstler die Genese seiner eigenen Bildsprache. Das Museum Kurhaus Kleve, das den Nachlass Ewald Matarés bewahrt, eröffnete unlängst einen neuen Museumsteil, den „Joseph Beuys-Westflügel“. Dort kann nun die neuerworbene Arbeit „Ohne Titel (Mein Kölner Dom)“ die künstlerische Auseinandersetzung des Schülers mit seinem Lehrer thematisieren.
Mond über Pommern
Auf der Rückreise aus seinem Heimatland Norwegen in seine Wahlheimat Dresden hatte der Landschaftsmaler Johan Christian Dahl 1839 die pommersche Küstenstadt Swinemünde (heute Świnoujście in Polen) als Bildmotiv entdeckt und noch vom Deck des Schiffes aus zwei zart kolorierte Bleistiftskizzen zu Papier gebracht. Zurück im Atelier in der Elbstadt, wo der große norwegische Romantiker zwanzig Jahre lang Tür an Tür mit Caspar David Friedrich wohnte, komponierte er die vom Schiff skizzierten Motive zu einer Idealansicht: Dunkel erscheint die Silhouette Swinemündes im gedämpften Licht des aufgehenden Mondes. Eine Mühle, die Takelagen eines Zweimasters und ein Kirchturm – der kompositorisch wichtig und eine freie Erfindung des Künstlers ist – ragen in den virtuos gemalten Himmel empor und spiegeln sich zugleich effektvoll im Wasser der Swine; Segel- und Ruderboote liegen ruhig in der Einfahrt des Hafens. Über den Kunsthandel ist Dahls romantisches Nachtstück jetzt aus norwegischem Privatbesitz nach Deutschland zurückgekehrt, und zwar in jene pommersche Region, der das Gemälde motivisch verbunden ist. Denn dem Pommerschen Landesmuseum Greifswald ist es gelungen, das stimmungsvolle Landschaftsbild zu erwerben. In der hochkarätigen Sammlung romantischer Malerei des Museums mit Werken Caspar David Friedrichs und Carl Gustav Carus’ finden die langjährigen Nachbarn und Weggefährten Dahl und Friedrich nun nach gut 150 Jahren wieder zusammen.
Altenburger Spurensuche
Ähnlich wie der Namensgeber des Gerhard-Altenbourg-Preises, den er im Jahr 2010 entgegennahm, befindet sich auch der 1939 in Tel Aviv geborene Künstler Micha Ullman meist auf Spurensuche. Altenbourg stieg mit seinen Landschaftsbildern tief in die Tektonik seiner Heimat Thüringen, Ullman schürfte sein Künstlerleben lang in den (Un-)tiefen unseres Gedächtnisses. Doch wo Altenbourg die unsichtbaren Schichten der Erde, die Linien des Himmels und der Berge in seine vielschichtigen Tableaus bannt, sind es bei Ullman die unscharfen Abdrücke von realen Gegenständen, die sich in den langsam trocknenden, mit Farbe vermischten Wasserschichten abbilden, denen der Maler seine Papiere manchmal wochenlang aussetzt. Was erinnern wir, was erkennen wir noch, wenn alles Dingliche längst abwesend ist, was bleibt, fragt Ullman. In diesem Sinne sind die leeren Regale des Berliner Denkmals zur Erinnerung an die Bücherverbrennung Ullmans eindrücklichste Spurensuche. Ein zentrales Motiv jedoch durchzieht sein Werk seit Jahrzehnten, in Installationen wie im malerischen Œuvre – der Tisch. Aus seiner gleichnamigen Aquarellserie kommen nun zwei Blätter – eines davon als Geschenk des Künstlers und seiner Galerie Alexander Ochs Galleries Berlin/Beijing – ins Lindenau-Museum Altenburg. Zum Abschied seiner langjährigen und höchst erfolgreichen Direktorin Jutta Penndorf freut sich das Museum über einen ganzen Reigen an neuen Positionen der Gegenwartskunst: Erworben wurden auch ein Werk von Strawalde („An Chardin“, 1986), zu dem der Künstler die Gemälde „Grün-rotes Erdbild“ (1962) und „Ground“ (1991/2010) schenkte, weiterhin 21 Zeichnungen der Serie „Landvermesser“ (2002) von Walter Libuda sowie „Brennender Mann“ (2000) von Hartwig Ebersbach und „Halbakt“ von Lothar Böhme aus dem Jahr 1995.
Nobler Vorlass
„Immer, bei allem muß ich mich vom Gedanken der Liquidation leiten lassen. Es gibt für mich nichts mehr aufzubewahren. Jetzt begreife ich die Leichtigkeit, mit der ich mich kürzlich vom papiernen Material meines ganzen Lebens befreit habe […].“, hatte Imre Kertész (*1929) im Oktober 2001 in sein Tagebuch notiert. Doch der Befreiungsschlag des ungarischen Literaturnobelpreisträgers, der mit 15 Jahren verhaftet und nach Auschwitz und Buchenwald deportiert worden war, erfolgte in Etappen: 2001 erhielt die Akademie der Künste in Berlin zunächst einen Teil des Kertész-Archivs als Depositum; jetzt trennt sich der Autor ganz und übereignet der Akademie, deren langjähriges Mitglied er ist, seinen gesamten Vorlass. Mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder konnte die Akademie der Künste die rund 35.000 Blatt Archivmaterial aus dem reichen Schaffen des weltberühmten Schriftstellers, der heute überwiegend in Berlin lebt, erwerben. Kertész’ Vorlass besticht durch die Fülle persönlicher Schriften wie den literarischen Werkmanuskripten und seinen Tagebüchern aus vier Jahrzehnten: Neben Manuskripten zu Kertész’ Werken „Roman eines Schicksallosen“, „Galeerentagebuch“ oder „Kaddisch für ein nicht geborenes Kind“ und Manuskripten und Druckbelegen zahlreicher seiner Essays und Reden wie „Wem gehört Auschwitz?“ oder „Die exilierte Sprache“ gelangen auch Korrespondenzen und Rezeptionsdokumente in die Berliner Akademie. Als besonderer Schatz gelten Kertész’ ab 1961 geführten Tagebücher, deren eindrückliche Beobachtungen und Reflexionen viele seiner späteren Werke vorbereiten.
Goethe an Eichstädt
Jena befand sich im Kulturschock: Deutschlands höchst angesehenes und auflagenstärkstes Literaturmagazin verließ mit einem seiner Gründer im Jahr 1803 die Stadt. Nachdem es nicht zuletzt die „Allgemeine Literatur Zeitung“ gewesen war, die als Zentralorgan die Stadt in den vorangegangenen zwei Jahrzehnten zum Mittelpunkt der gelehrten Welt gemacht hatte, zog sie nun nach Halle, in die neue Heimat ihres Mitbegründers Christian Gottfried Schütz. Und mit ihr drohten auch die Stimmen etlicher ihrer Protagonisten abzuwandern. Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Immanuel Kant und Alexander von Humboldt hätten zukünftig von Halle aus die Deutungshoheit über das literarische und geistige Leben in Deutschland ausgeübt. Doch Goethe handelte schnell: Noch im selben Jahr gründete er gemeinsam mit dem Jenaer Altphilologen Heinrich Karl Abraham Eichstädt (1772 –1848) die „Jenaische Allgemeine Literaturzeitung“. Offen für neue philosophische und literarische Strömungen, hatte sich das Blatt schon wenige Jahre später als umfang- und einflussreichste Literaturzeitung Deutschlands etabliert – und stürzte ihre konservativere Vorgängerin vom Rezensionsthron. Das Freie Deutsche Hochstift in Frankfurt am Main erwarb nun ein Konvolut aus aufschlussreichen Zeugnissen dieser spannenden Entwicklung: 20 Briefe, fast alle von Goethe an seinen wichtigsten Redakteur Eichstädt gerichtet, liefern wertvolle Einblicke in die Anfangszeit der Jenaer Zeitung. Von Goethes Auslese der literarisch relevanten Bücher bis hin zur Wahl der passenden Rezensenten – die Gründerzeiten und den glanzvollen Siegeszug einer der wichtigsten Zeitungen in Deutschland am Anfang des 19. Jahrhunderts gilt es in Frankfurt neu zu entdecken.
Sertürners Selbstversuch
Ein Quentchen zuviel konnte schnell zum Tod führen: Zwar war Opium seit Jahrtausenden zur Linderung von Schmerzen in Gebrauch, doch ließ sich das Mittel nur sehr ungenau dosieren. Überall in Europa suchten Wissenschaftler im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert daher die Wirkstoffe im Opium zu ergründen. Allerorten wurde extrahiert und dekantiert und filtriert, doch den Durchbruch sollte schließlich ein Apothekergehilfe im westfälischen Paderborn erzielen: Friedrich Wilhelm Sertürner (1783 –1841) gelang es 1804, mit Morphin den bedeutendsten Inhaltsstoff aus dem Betäubungs- und Schmerzmittel zu isolieren. Die Testeinnahme des Opiats hätte der Apotheker dabei beinahe selbst mit dem Leben bezahlt. Mehr als ein Jahrzehnt sollte es dauern, bis Sertürners bahnbrechende Entdeckung bekannt gemacht wurde; sein Nachlass gelangt sogar erst jetzt an das Licht der Öffentlichkeit: In einer hölzernen Truhe hatten die Nachfahren des Pioniers zahlreiche seiner Manuskripte, Briefe und Zeichnungen, Diplome vieler wissenschaftlicher Gesellschaften Europas sowie zwei Porträtminiaturen von Sertürner und seiner Gattin verwahrt. Dem Deutschen Apotheken-Museum in Heidelberg ist es nun gelungen, diesen kostbaren Schatz für seine umfangreiche Sammlung zur Geschichte der Pharmazie zu erwerben.