Beethoven für alle

Politische Meinungsbildung, Pläne für den Italienurlaub, der Tod der Eltern, Jugendfreunde in aller Welt: Der Lebenskosmos eines jungen Erwachsenen eröffnet sich auf den vier eng beschriebenen Seiten. Aus Wien schickt der 24-jährige Ludwig van Beethoven (1770–1827) im September 1795 einen Brief an seinen Bonner Freund Heinrich von Struve (1772–1851). Struve befindet sich als Diplomat in Russland, dem „kalten Lande wo die Menschheit noch so sehr unter ihrer Würde behandelt wird“, wie Beethoven findet. Er bittet, „mir ja immer zu schreiben, so oft du kannst, laß deine Freundschaft für mich sich nicht durch Entfernung vermindern“ und schließt damit den einzigen Brief an Struve, der überliefert ist. Das Autograph war unbekannt, bis er 2012 auf einer Auktion auftauchte. Damals wurde das Beethoven-Haus Bonn von einem Vertreter der Firma Aristophil überboten. Mit der Liquidation dieses – seit 2015 bankrotten – Investmentfonds und der Aufnahme von Ermittlungen gegen den Betreiber wurden die von Aristophil zum Teil erheblich über dem Marktniveau erworbenen Autographen wieder zugänglich. „Das Beispiel von Aristophil zeigt, wie ein Marktteilnehmer über Jahre die Preise in die Höhe treiben kann – dank der kontinuierlichen Marktbeobachtung und großen Erfahrung des Beethoven-Hauses bei der Erwerbung bedeutender Autographen konnte der Ankauf nun gelingen“, erklärt Stephanie Tasch, die als Dezernentin der Kulturstiftung der Länder das Beethoven-Haus Bonn seit Jahren bei Erwerbungen berät.

Auch die vollständige Handschrift des Liedes „Der Ruf vom Berge (Wenn ich ein Vöglein wär)“ kam im Juni dieses Jahres unter den Hammer. Beethoven vertonte 1816 den Text von Georg Friedrich Treitschke (1776–1842), dem „beste[n] Dichter u. Trachter von den Ufern der Wien bis zum Amazonen Fluß“, wie der Komponist in der Widmung schreibt. Im Jahr darauf veröffentlicht Treitschke das Lied in seinem Gedichtband. Allerdings „von Fehlern zerstochen“, wie sich Beethoven beschwert. Das Beethoven-Haus wird das Musikstück in der nächsten Zeit in seinem Digitalen Archiv publizieren. „Die öffentliche Präsentation der beiden bisher unbekannten Handschriften im Original wie auch digital freut uns sehr“, betont Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder. „Im Schulterschluss mit Bund und Ländern ist es uns gelungen, Autographen, die jahrelang als Investmentanlagen in Depots lagerten, für Forschung und Interessierte zugänglich zu sichern.“

Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen