Bände, die sprechen
„Freier Zugang zu Wissen: Bereits 1746 öffnete Graf Christian Ernst zu Stolberg-Wernigerode seine Bibliothek für interessierte Besucherinnen und Besucher. Teile dieser durch wirtschaftliche und politische Erschütterungen zerschlagenen Sammlung stehen der Öffentlichkeit wie der Forschung nun wieder vor Ort zur Verfügung“, sagt Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder. „Die Wiederherstellung historisch gewachsener Ensembles verstehen wir als wichtigen Teil unseres Auftrags. In der Zusammenschau von Architektur, Interieur und Wissensträgern wie den Büchern erschließt sich der Kosmos des Harz-Schlosses jetzt wieder.“
Repräsentativ für die gesamte Bibliothek stellen die 55 Bände einen Querschnitt der einstigen Bestände dar. Gesangbücher und Bibeln – nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Türkisch oder Hebräisch verfasst – zeichneten die Sammlung aus. Auch zoologische, astrologische oder historische Wissenslücken lassen sich durch die Lektüre der Bücher schließen, Fragestellungen der Philosophie und der Aufklärung mit ihnen erörtern. Über Manufakturberufe und Bergbau geben technologische Fachbücher Auskunft. Die gesamte Spannweite der Ankaufspolitik des Grafen Christian Ernst (1691–1771) und seine Interessen-Sphäre spiegelt das erworbene Konvolut wider. Vor allem aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stammen die Bände, deren Erwerb die Kulturstiftung der Länder anteilig mit 13.000 Euro förderte.
Bereits im 16. Jahrhundert zählte die von Graf Wolf Ernst zu Stolberg (1546–1606) begründete Bibliothek zu den größten in den deutschen Ländern. Unter Christian Ernst, der seinen Regierungssitz nach Wernigerode verlegte und die im Mittelalter errichtete Schlossanlage barockisierte, erlebte sie ihre Blütezeit. 1920 schließlich umfasste der Bestand 135.000 Bände – sechs Jahre später befand sich das Grafenhaus jedoch in finanzieller Bedrängnis und veräußerte besonders gewinnversprechende Bücher. Allein um die 35.000 Bände verkaufte der renommierte Berliner Buchantiquar Martin Breslauer (1871–1940) im Auftrag der Eigentümer. Diese Zusammenarbeit fand 1933 bereits ein Ende; die Geschäfte mit dem als Juden verfolgten Experten wurden eingestellt. Nach dem Krieg transportierte die russische Trophäenkommission weitere tausende Bücher ab. Die verbliebenen Bestände gingen 1948 in den Besitz der Landes- und Universitätsbibliothek des Landes Sachsen-Anhalt über. Erst 2013 kam es zur Restitution an die Erben.
Immer wieder bot sich dem Schloss Wernigerode, das sich als erstes deutsches Zentrum für Kunst und Kulturgeschichte der Jahre 1803 bis 1918 einen Namen machte, in den vergangen Jahren die Gelegenheit, Bücher zurückzukaufen – so auch jetzt. Es sind jene Glanzstücke der Adelsbibliothek, die einst von Martin Breslauer verkauft wurden, die nun in historischen Schränken wieder gezeigt werden.
Weitere Förderer dieser Erwerbung: Ostdeutsche Sparkassenstiftung gemeinsam mit der Harzsparkasse, Gesellschaft der Freunde des Schlosses Wernigerode