Aufgelistet

Das Verzeichnis national wertvollen Kulturguts: etwa 2.700 Positionen, die beispielsweise bei Archiven oder Münzsammlungen zahlreiche Einzelwerke umfassen, Gemälde, Skulpturen, Goldschmiedekunst, Münzen, Handschriften, Inkunabeln und Archivgut. Albrecht Altdorfer, Max Beckmann, Antonio Canaletto, Marc Chagall, Lucas Cranach, Lovis Corinth, Albrecht Dürer – um nur eine kleine Auswahl aus den Buchstaben A bis D zu geben. Die dort aufgelisteten Kunstwerke sind Teil der deutschen Kultur, sie prägen unsere Sammlungen ebenso wie die unterschiedlichen Kulturlandschaften und müssen deshalb nicht immer in Deutschland entstanden sein, wie etwa die in Basel gemalte „Darmstädter Madonna“, die sogenannte Schutzmantelmadonna, des jüngeren Hans Holbein. Gelistet sind Werke namenloser mittelalterlicher Bildschnitzer genauso wie die Schöpfungen bekannter deutscher und ausländischer Künstler aus einem historischen Europa, das mindestens ebenso vernetzt war wie das aktuelle. Die Kunstwerke und Kulturgüter, die hier verzeichnet sind, befinden sich meist in Privatbesitz und sollen vor „Abwanderung“ geschützt werden, weshalb ihre Ausfuhr nur mit Genehmigung erlaubt ist. Ihr Abzug würde „einen wesentlichen Verlust für den deutschen Kulturbesitz bedeuten“, wie es im deutschen Kulturgutschutzgesetz heißt. Dieses Verzeichnis hat bewirkt, dass Holbeins „Schutzmantelmadonna“, die schon medial als ein 100-Millionen-Dollar-Bild aufgebaut worden war, bis heute in Deutschland ist. Der Kunstsammler Reinhold Würth – Mitglied des Kuratoriums der Kulturstiftung der Länder – hat das großartige Gemälde, das Elemente der Renaissance und der Spätgotik vereint, 2011 gekauft und in der Johanniterkirche von Schwäbisch Hall der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Das Verzeichnis national wertvollen Kulturguts: ein „Papiertiger“ spotten die einen – „Enteignung“ beschweren sich die anderen. Ein Papiertiger, weil die bedeutende Ottheinrich-Bibel oder kürzlich die Reisetagebücher Alexander von Humboldts nicht mehr eingetragen werden konnten, da sie schon in England waren, als die Verkaufsabsicht der Eigentümer bekannt wurde und nur das gelistet werden kann, was sich noch auf deutschem Boden befindet. Die Ottheinrich-Bibel konnte nach atemlosen Verhandlungen von unter Zeitnot geborenen Finanzierungskoalitionen gerade noch vor einer Auktion für die Bayerische Staatsbibliothek erworben werden. Den Forschungsberichten des größten Naturforschers Deutschlands, des Namensgebers des Berliner Humboldt-Forums, drohte nach der Ausfuhr eine Konkurrenz mit internationalen Interessenten. Ein Papiertiger, weil die Kulturbehörden der deutschen Länder meist nur reaktiv tätig werden können, wenn ein geplanter Verkauf zu befürchten ist und viel zu wenige Objekte von nationaler Bedeutung präventiv und systematisch eingetragen werden. Ein Papiertiger, weil Länder wie Österreich, Italien oder Frankreich wesentlich restriktivere und effektivere Regeln des Kulturgutschutzes besitzen.

Enteignung? Zumindest eine Einschränkung, weil der Eintrag in das Verzeichnis mit Beschränkungen der Verfügungsgewalt einhergeht. Ein eingetragenes Kunstwerk in Privatbesitz darf allenfalls mit Genehmigung des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien ins Ausland verliehen oder verkauft werden. Wegen des geforderten Verbleibs in Deutschland ist das Stück nur für inländische Käufer, nicht aber für den internationalen Kunstmarkt interessant. Dennoch sind – wie die Holbein-Madonna, die umfangreiche herzogliche Münzsammlung aus Gotha oder ein einzigartiger Bronze-Merkur von Hubert Gerhard kürzlich zeigten – spektakuläre Verkäufe von geschütztem Kulturgut in Millionenhöhe auch innerhalb von Deutschland möglich. Die Kulturstiftung der Länder engagiert sich seit ihrer Gründung vorrangig beim Ankauf gelisteter Kulturgüter. Die Eintragung bedeutet für die öffentlichen Förderer, zu denen auch der Bund zählt, eine besondere Verpflichtung, diese Zimelien für die Öffentlichkeit zu erwerben. Auf diese Weise fanden seit der Gründung der Kulturstiftung etwa 25 im Verzeichnis national wertvollen Kulturguts aufgeführte, ausgesprochen kostbare Objekte oder Konvolute ihren Weg in die Sammlungen deutscher Museen und Bibliotheken. Dazu zählten Gemälde von Ludger tom Ring oder von Hans Holbein dem Älteren – beispielsweise die Graue Passion –, Skulpturen von Tilman -Riemenschneider, Bronzen aus Benin, ein großes romanisches Elfenbeinkruzifix oder exquisite Roentgenmöbel, das Gebetbuch Kaiser Ottos III., eine Handschrift des Nibelungenliedes sowie die Nachlässe von Bertolt Brecht und Ernst Barlach.

Schließlich ist bereits höchstrichterlich festgestellt worden, dass es sich bei einer Eintragung nicht um eine Enteignung handelt, sondern um einen europaweit üblichen Schutz nationalen Kulturguts. Die daraus resultierenden Beschränkungen gehen einher mit der im Grundgesetz festgeschriebenen Sozialbindung des Eigentums: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Viele der gelisteten Kulturgüter stehen in privatem Adelsbesitz und sind von ihren Eigentümern oft mit hohem finanziellen Aufwand bewahrte und gepflegte Zeugnisse der Geschichte ihres Hauses und der deutschen Kulturlandschaften. Diese Verbindung von Kunstwerken zu ihren historischen Standorten oder Zusammenhängen soll durch einen Eintrag in das Verzeichnis national wertvollen Kulturguts für uns alle bewahrt werden.

Wir wünschen uns, dass der zuweilen stiefmütterlich behandelte Kulturgutschutz den Stellenwert erhält, der ihm zusteht. Dass die Eintragungen in das Verzeichnis nicht mehr reaktiv, unmittelbar vor drohenden Verkäufen erfolgen müssen, sondern systematisch, durchaus restriktiv und nach sorgfältiger Abwägung der Bedeutung, die das Kulturgut für unser gemeinsames Kulturerbe hat. Der Eintrag in das Verzeichnis national wertvollen Kulturguts sollte dann nicht mehr als Gängelung verstanden werden, sondern als Auszeichnung eines singulären und nicht ausschließlich materiell wertvollen Kulturguts, dessen Bewahrung nicht nur die Eigentümer, sondern uns alle angeht.