Gestohlen, aber nicht verloren

Seit ihrer Gründung bemüht sich die Kulturstiftung der Länder, Kriegsverluste in Museen und Sammlungen auszugleichen: sei es durch den Ankauf von ähnlichen Werken die durch Zerstörung entstandenen Lücken zu kompensieren, sei es durch den Wiederankauf von Werken, die in der nationalsozialistischen Aktion „Entartete Kunst“ den Häusern entzogen wurden, oder die Rückführung von „kriegsbedingt verlagertem Kulturgut“. Hier handelt es sich weniger um die sogenannte Beutekunst, also Kulturgut, das die Trophäenbrigaden der Roten Armee beschlagnahmten und die Russland heute als Kompensation für die immensen Kulturgutverluste des Landes begreift. Im Fokus stehen vielmehr Kunstwerke, Archiv- und Bibliotheksgut, das aufgrund von Krieg und Verfolgung Ort und Besitzer wechselte, vielleicht zunächst nur gesichert werden sollte und dann verschwand oder schlicht gestohlen wurde. Gelegenheit zum Diebstahl – die „private Mitnahme“, wie es bewusst nicht moralisch wertend in der Forschung heißt – bot sich vor allem in der Endphase des Zweiten Weltkrieges.

Zu größter Berühmtheit hat es der texanische GI Joe Tom Meador gebracht, der Teile des Quedlinburger Domschatzes per Feldpost nach Hause geschickt hatte. Die Kulturstiftung der Länder ermöglichte die Rückführung der meisten der kostbaren Zimelien. Weniger bekannt ist der sowjetische Offizier Viktor Baldin, der in Brandenburg Zeichnungen von Rembrandt, Tizian, Rubens, Goya, Vincent van Gogh und anderen an sich nahm, die aus der Bremer Kunsthalle ausgelagert worden waren. Sie werden heute in der Sankt Petersburger Eremitage gezeigt. Ein französischer Soldat hat hingegen das wichtigste Dokument der Stadt Köln – den Verbundbrief von 1396 – völlig verschmutzt als Andenken aus Hitlers Berghof auf dem Obersalzberg mitgenommen und schließlich 1969 an Köln zurückgegeben.

Zurückgekehrtes Alabasterrelief „Würfelnde Kriegsknechte“ aus dem Kalvarienberg des Domschatzes zu Halberstadt, um 1460
Zurückgekehrtes Alabasterrelief „Würfelnde Kriegsknechte“ aus dem Kalvarienberg des Domschatzes zu Halberstadt, um 1460

Zwei Bände einer dreiteiligen, von Lucas Cranach illustrierten Prachtbibel für Fürst Georg III. von Anhalt-Dessau gelangten sogar in den Besitz unterschiedlicher alliierter Soldaten: Ein Band war angeblich von einem russischen Offizier einer deutschen Familie als Kompensation für ihr beschlagnahmtes Auto gegeben worden, der andere war hingegen an einen amerikanischen GI gelangt. An beiden Transaktionen im grauen Bereich waren Einheimische beteiligt. Heute befinden sich die Bände – dank des Engagements der Kulturstiftung der Länder – wieder in der Anhaltinischen Landesbücherei Dessau.
Die Diebstähle Einzelner standen natürlich im Gegensatz zur Haager Konvention, die Kulturgut während eines bewaffneten Konflikts schützt, und dem Bemühen der Alliierten, den monströsen Kunstraub der Nationalsozialisten durch die Einrichtung von Collecting Points und zügige Rückgaben zu sühnen.

Viele der „privaten Mitnahmen“ von leicht transportablem Kulturgut dürften ohnehin nicht den Alliierten anzulasten sein, sondern der deutschen Seite bei guter Ortskenntnis und sich bietender Gelegenheit vor allem zu Kriegsende. Beim Abzug der deutschen Truppen aus Torgau verschwand auch eine Tafel von Lucas Cranach aus der Sammlung des Altertumsvereins, in Halberstadt kam bei Kriegsende ein kostbares Alabasterrelief des gotischen Kalvarienbergs aus dem Domschatz abhanden. Beide Werke konnten in den vergangenen Jahren mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder zurückgeführt werden. Im Verlustkatalog des Suermondt-Ludwig-Museums in Aachen heißt es immer wieder: „1945 aus der Albrechtsburg in Meißen entwendet.“ Erst 2011 tauchten etwa die drei Enten des Dirck Wijntrack wieder im Kunsthandel auf, wurden vom Art Loss Register als Aachener Eigentum erkannt und von den Besitzern dem Museum übergeben – eine glückliche Heimkehr.

Besonders viele und bedeutende Kunstwerke aus „Carinhall“ befanden sich in einem Sonderzug Hermann Görings, der bei Berchtesgaden von seinen Bewachern aufgegeben wurde. In den Bauernhöfen der Umgebung fanden sich noch lange nach Kriegsende Kunstgegenstände, die der ihrerseits zusammengestohlenen Sammlung des „Reichsmarschalls“ zugeordnet werden konnten.

„Diebstahl ist besser als Zerstörung“: Der temporäre Verlust eines Kunstwerks durch Diebstahl lässt immer hoffen, dass es eines Tages gelingt, ein verschollenes Werk wieder an seinen angestammten Ort zurückzubringen. Die Kulturstiftung der Länder ist in diesen Fällen diskreter Vermittler und ermöglicht die Rückführung von nach verschlungenen Wegen wieder aufgetauchtem Kulturgut. Ein Wunsch steht natürlich ganz oben auf unserer Liste: Die beiden noch fehlenden Zimelien des Quedlinburger Domschatzes – ein fatimidisches Bergkristallreliquiar aus dem 10. Jahrhundert und ein im 12. Jahrhundert entstandenes Reliquienkreuz. Beide sind im Patrimonia-Band 30 zum Quedlinburger Domschatz katalogisiert und abgebildet: „In den USA noch verschollene Gegenstände.“