Von Mäusen und Mächten

Gerne würde ich beschreiben, wie ich als Kind im Pyjama über poliertes Parkett geschlittert bin, wie ich auf Chaiselongues herumtobte und welche sinnliche Beziehung mich mit den Objekten verbindet, die nun in Glauchau konserviert werden, allein: Meine Jugend verbrachte ich zwischen Ikea-Möbeln.

Als ich als Kind in den 1980er-Jahren mit meiner Großtante Elisabeth („Tata“) regelmäßig ihre alte Heimat besuchte, also die auch meines Vaters und meiner Ahnen, empfand ich den Besuch in einem Museum, in dem die privaten Möbel meiner vertriebenen Familie ausgestellt wurden, immer als etwas befremdlich – zumal solche Museen in der DDR ja auch bedacht waren, die Vergangenheit dunkel zu malen.

Tini Rupprecht, Marie und Elisabeth von Schönburg, 1923, 102 × 82 cm; © Tini Rupprecht, Foto: Museum und Kunstsammlung Schloss Hinterglauchau
Tini Rupprecht, Marie und Elisabeth von Schönburg, 1923, 102 × 82 cm; © Tini Rupprecht, Foto: Museum und Kunstsammlung Schloss Hinterglauchau

Wehmut ergriff mich immer nur beim Anblick eines Porträts eben jener „Tata“ als junges Mädchen, ein Doppelporträt genauer gesagt, ein Pastell, das sie neben ihrer ebenso jungen und hübschen Schwester Marie zeigt, die sich noch vor der großen Zäsur 1945 mit einem großen Ball in Schloss Wechselburg von der mondänen Welt verabschiedet hatte und Klosterfrau geworden war. Es schien mir ungerecht, dass wir so ein privates Bild, das ganz offenbar ohne kunsthistorischen Belang war, nicht einfach mitnehmen konnten.

Erst bei meinen Besuchen in den 1990er-Jahren fielen mir andere Dinge auf. Zum Beispiel, dass es aus ästhetischer Sicht ein Vorteil war, dass sich meine Familie schon lange vor der Flucht nach dem Krieg wirtschaftlich auf Abstiegskurs befand. In den Schlössern unserer liquideren Verwandten war es früher üblich, dass jede Generation über den Einrichtungsstil der vorherigen hinwegfegte. So wurden die zauber­haftesten Roentgen-Tischchen für protziges Empire rausgeschmissen, fantastische Barockmöbel durch historistischen Müll ersetzt. Meine Familie war im 19. Jahr­­hundert, in dem es um uns herum mit dem Geschmack bergab ging, erfreulicherweise schon nicht mehr reich genug, um zwangsläufig jede neue Mode mitzumachen.

Im Historismus-Salon: Moritz Müller, Ida von Fabrice, geb. Gräfin von Schönburg-Forderglauchau, 1857, 84 × 71 cm, Schreibtisch von Hermann Dornburg, Wurzen, 1865, 102 × 116 × 68 cm, Sitzmöbel im Stil des Rokoko, um 1900; Museum und Kunstsammlung Schloss Hinterglauchau; © Museum und Kunstsammlung Schloss Hinterglauchau / Foto: Leo
Im Historismus-Salon: Moritz Müller, Ida von Fabrice, geb. Gräfin von Schönburg-Forderglauchau, 1857, 84 × 71 cm, Schreibtisch von Hermann Dornburg, Wurzen, 1865, 102 × 116 × 68 cm, Sitzmöbel im Stil des Rokoko, um 1900; Museum und Kunstsammlung Schloss Hinterglauchau; © Museum und Kunstsammlung Schloss Hinterglauchau / Foto: Leo

Unsere Residenzschlösser waren aus mittelalterlichen Burgen hervorgegangen und sind dann erst im 16. Jahrhundert zu Schlossanlagen der Renaissance umgebaut worden. Sie waren im 18. Jahrhundert bereits derart veraltet, dass der Komfort weit unter dem der meisten sächsischen Landadeligen lag, von den Häusern Reuß und Schwarzburg ganz zu schweigen. Der Charme unseres Mini-Reichs war, dass es zwar eine Hofhaltung unterhielt, aber auf pittoresker Sparflamme. Im Inneren wurden die alten Fahnen geflickt, notdürftig veraltete Waffen repariert, abgetragene Uniformen ausgebessert, nach außen zeigte man sich als eigenständiger Staat mit eigenen Maßen und Gewichten, eigenen Gesangbüchern und eigenen Feiertagen.

Die Erinnerung an souveräne Miniaturstaaten wie unseren schwindet. Das ist schade, denn in seiner zierlichen Ausdehnung und mausartigen Macht war ein Land wie das unsere viel typischer als die großen Fürstentümer für das einstige Gesicht der deutschen Länder. Gut, dass die Kulturstiftung der Länder sich der Amnesia entgegenstemmt.

Das Doppelporträt meiner erst 1999 verstorbenen, geliebten Großtante „Tata“ und ihrer Schwester Marie, mit dem ich als Kind jene sentimentale Verbindung aufgenommen hatte, hängt übrigens inzwischen in unserer Etagenwohnung in Berlin und bereitet mir jeden Tag Freude.