Vom verantwortungsvollen Umgang mit einem Künstlernachlass

Gerade in jüngster Zeit rückt in Deutschland das Thema Nachlassbewahrung in den Fokus von Künstlern und deren Erben, von Archiven, Museen und Stiftungen. Die Kulturstiftung der Länder hat in den letzten über 25 Jahren zahlreiche Erwerbungen von künstlerischen Nachlässen für deutsche Museen gefördert und dazu beigetragen, dass das Lebenswerk ausgewählter Künstler im regionalen und biographischen Kontext verankert bleibt oder dorthin zurückgeführt wird und damit der Öffentlichkeit und der Wissenschaft dauerhaft zur Verfügung steht.

So ist das Werk des Sezessionsmalers und Graphikers Max Slevogt von herausragender Bedeutung für Rheinland-Pfalz, die Region, in der er den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht hat – und es steht außer Frage, dass sein künstlerischer Nachlass ein Desiderat für das Landesmuseum in Mainz war, das sich damit zum Forschungszentrum Slevogt entwickeln kann. Gleichzeitig wird der schriftliche Nachlass in der Landesbibliothek in Speyer aufbewahrt und bearbeitet.

Für das 1964 eröffnete Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg gelang es bereits 2009, den umfangreichen Nachlass des 1881 bei Duisburg geborenen Bildhauers von der Erbengemeinschaft zu erwerben. Neben 33 Skulpturen sowie dem beinahe gesamten malerischen, zeichnerischen und druckgraphischen Œuvre übergaben Lehmbrucks Erben das von der Witwe geführte „Gusstagebuch“, das alle legalen Lebenszeit- und postumen Güsse aufführt und damit eine Datierung, die Einschätzung der Bedeutung und des Wertes des einzelnen Gusses erst ermöglicht.

Kurt Schwitters wiederum hatte seinen Lebensmittelpunkt in Hannover, von dort aus strahlte seine Dada-Kunst nach ganz Deutschland. Seinen künstlerischen wie den schriftlichen Nachlass bewahrt das Sprengel Museum Hannover und verfügt damit über die umfangreichste Dokumentation zu Leben und Werk des Künstlers.

Joachim Büchner, ehem. Direktor des Kunstmuseum Hannover mit der Sammlung Sprengel, des heutigen Sprengel Museums, (li.) beglückwünscht UMBO (re.) zur Ausstellung „UMBO – Photographien 1925 –1933“ in der Spectrum Photo­galerie Hannover 1979 © Joachim Giesel
Joachim Büchner, ehem. Direktor des Kunstmuseum Hannover mit der Sammlung Sprengel, des heutigen Sprengel Museums, (li.) beglückwünscht UMBO (re.) zur Ausstellung „UMBO – Photographien 1925 –1933“ in der Spectrum Photo­galerie Hannover 1979 © Joachim Giesel

Als letzte dieser bedeutenden Erwerbungen konnte vor wenigen Monaten der Nachlass des Fotografen Otto Umbehr (1902 –1980) – einer der Pioniere des Neuen Sehens und einer der bedeutendsten Fotokünstler im Kontext des Bauhauses – für die Berlinische Galerie, das Sprengel Museum Hannover und die Stiftung Bauhaus Dessau entsprechend der jeweiligen Schwerpunktsetzung ihrer Sammlungen gesichert werden. Die Berlinische Galerie wählte die Fotografien der Weimarer Republik, die auf unvergleichliche Weise die Moderne in Berlin dokumentieren. Die Stiftung Bauhaus Dessau richtete ihr Interesse auf die Bauhauszeit UMBOs. Für das Sprengel Museum schreibt das in Hannover entstandene Spätwerk Kunstgeschichte. Hier erlebte UMBO kurz vor seinem Tod nach Jahrzehnten des Vergessens die Wiederentdeckung und Würdigung seines Werkes.

In vorbildlicher Weise hatten Erben, Sammler und Kunsthandel über Jahrzehnte hinweg ihre Schätze bewahrt und zusammengehalten. Jahrelange Verhandlungen gingen diesen Erwerbungen voraus – dass die Bestände langfristig gesichert, bearbeitet und durch Aus­stellungen der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden, ist im Bereich künst­lerischer Nachlässe keine Selbstverständlichkeit. In den 1970er Jahren begann, wie Herbert Molderings es in seinem­ Beitrag zu dieser Arsprototo-Ausgabe schreibt, die internationale Wiederent­deckung des in bescheidensten Verhältnissen in Hannover lebenden Fotografen. Dabei ist die Bewahrung von UMBOs Lebenswerk dem Galeristen Rudolf Kicken (1947– 2014) zu verdanken: Der Fotograf und der junge Fotogalerist trafen sich 1979 in der Ausstellung „Film und Foto der zwanziger Jahre“ in Stuttgart – eine Rekonstruktion der Werkbund-Ausstellung „Film und Foto“ von 1929. Dort zeigte UMBO seine wichtigsten Fotografien, die er in einer Mappe bei sich hatte. Anlässlich dieser Retrospektive hatte er von seinem Künstlerkollegen Paul Citroen aufbewahrte Vintage-Abzüge zurückbekommen, ein Glücksfall, denn UMBOs Atelier in Berlin war im Bombenhagel untergegangen. Weitere Aufnahmen befanden sich in der Galerie Julien Levy in New York, die nun für Ausstellungen wieder zur Verfügung standen und die Eingang in amerikanische Sammlungen, wie das Museum of Modern Art, fanden. Der erste große museale Auftritt UMBOs, die Ausstellung in der „Spectrum Photogalerie im Kunstmuseum Hannover mit Sammlung Sprengel“ – dem heutigen Sprengel Museum – im Sommer 1979, entstand in Kooperation mit der von Wilhelm Schürmann und Rudolf Kicken gegründeten Galerie Lichttropfen. Parallel dazu zeigte die Kestnergesellschaft Hannover die Ausstellung „DADA – Photographie und Photocollage“ u.a. mit Werken UMBOs. Eine erste Ausstellung in der Galerie Rudolf Kicken in Köln fand Ende 1979 statt.

UMBO im Jahre 1970 © Phyllis Umbehr
UMBO im Jahre 1970 © Phyllis Umbehr

Als UMBO nur wenige Monate später, im Mai 1980, starb, hatte er mit Kicken die Abmachung getroffen, dass dieser in engem Kontakt mit der Tochter des Künstlers, Phyllis Umbehr, und ihrem Ehemann Manfred Feith-Umbehr sein Lebenswerk bewahren und sich für dessen möglichst geschlossene museale Aufbewahrung einsetzen würde. Kicken übernahm auch die Vertretung des Copyrights, die Organisation von Ausstellungen und die Vermittlung von Leihgaben weltweit. Gleichzeitig machte er das Œuvre für Wissenschaftler zugänglich. Nach seinem Tod übernahm seine Witwe Annette Kicken diese Verantwortung.

Auch der auf Fotografie spezialisierte deutsche Kunstsammler Thomas Walther (*1950), der im Jahr 2000 ein umfangreiches Konvolut aus dem UMBO-Nachlass mit Schwerpunkt auf den neuen Porträtfotografien UMBOs aus den 1926er bis 1928er Jahren erwarb, sah es als seine Pflicht an, seinen Teil zusammenzuhalten, bis für den gesamten Nachlass eine museale Lösung gefunden worden war. Die zusätzliche Schenkung wichtiger UMBO-Archivalien durch Phyllis Umbehr war ein weiterer Glücksfall auf dem langen Weg, das erhaltene Werk des wegweisenden Fotografen UMBO in seiner Gesamtheit dauerhaft zu sichern.