Portale ins Jenseits

36 Kilometer westlich von der türkischen Stadt Izmir liegen ausgedehnte Ruinenfelder. Es sind die Reste der ionisch-griechischen Stadt Klazomenai. Die Bedeutung der Siedlung lässt sich daran ermessen, dass sie einer der ersten Orte war, an denen im antiken Griechenland Silbermünzen geprägt wurden. Wichtige Erwerbszweige waren die Herstellung von Olivenöl (eine Presse aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. hat sich im Grabungsareal erhalten) und die Produktion der nach ihrem Entstehungsort benannten „klazomenischen Sarkophage“.

Ein Merkmal dieser in Klazomenai gefertigten Sarkophage ist die aufwändige Gestaltung ihrer oberen Ränder. Die Aufmerksamkeit, die die Kunsthand­werker dem Rahmen widmeten, wirft ein Licht auf das antike Begräbnisritual: Die aus gebranntem Ton gefertigten Sarkophage wurden bis auf den Rand im Erdreich versenkt und, nachdem der in feierlicher Prozession zum Begräbnisort verbrachte Leichnam in ihm lag, mit einer Steinplatte abgedeckt. Schließlich warf man über ihm einen Erdhügel auf.

Im Augenblick der Grablegung war von dem in einem Stück gebrannten Sarkophag also nur der Rahmen zu sehen, woraus sich dessen Ausschmückung erklärt. Zunächst beschränkte sich diese nur auf Ornamente, nach 530 v. Chr. treten in der Kopf- und Fußzone vermehrt auch figürliche Darstellungen auf. Der in Tücher gehüllte Tote lag vor dem Verschließen des Grabes in einem gerahmten Gehäuse – und blickte wie aus einem geschmückten Türfeld heraus auf die um ihn versammelte Trauergemeinde, allerdings in liegender Position.

Restaurierter Sarkophag des Hopkinson-Malers, oberer Abschluss der beiden Längsseiten mit den Metopenbildern und dem Kopfende mit dem Figurenfries, um 510 – 460 v. Chr.; Antiken­museum der Universität Leipzig © Antikenmuseum der Universität Leipzig / Foto: Marion Wenzel
Restaurierter Sarkophag des Hopkinson-Malers, oberer Abschluss der beiden Längsseiten mit den Metopenbildern und dem Kopfende mit dem Figurenfries, um 510 – 460 v. Chr.; Antiken­museum der Universität Leipzig © Antikenmuseum der Universität Leipzig / Foto: Marion Wenzel

Von den weltweit etwa 200 erhaltenen Exemplaren solcher klazomenischer Sarkophage befanden sich vor dem Zweiten Weltkrieg drei Stück im Antikenmuseum Leipzig. Durch Kriegseinwirkung wurden zwei davon fragmentiert, der dritte, am wenigsten geschädigte konnte 2013 bis 2014 mit Hilfe des Freundeskreises der Kulturstiftung der Länder restauriert werden. Der Rahmen, der als der einzig geschmückte Bestandteil des Sarkophags noch am Ausgrabungsort von der schmucklosen Wanne abgeschlagen und wie ein Bilderrahmen abtransportiert worden war, ist gereinigt und gefestigt worden. Seine aufgefrischten Malereien sind nun wieder in den Sammlungen des Antiken­museums der Universität Leipzig zu besichtigen.

Das restaurierte Stück zeigt unmittelbar oberhalb der „Schwelle“ florale Motive, denen sich an den Längsseiten einfache Winkelmuster anschließen. In Kopfhöhe des Leichnams sitzen zwei sich zugewandte Profilgesichter von Jünglingen. Die obere Querstrebe trägt in ihrem Zentrum eine Palmette. Links und rechts von ihr erscheinen nach außen schreitende, die Köpfe jedoch zu ihr umwendende Löwenfiguren. Der Schmuck gehört dem fortgeschrittenen Typus der Sarkophage mit figürlichen Motiven an. Datiert wird der Leipziger Sarkophag in die Zeit um 510 bis 460 v. Chr.

Abgesehen von seiner Bedeutung als Zeugnis der frühgriechischen Malerei ist das Exponat ein rares Beispiel internationalen Mäzenatentums. Es kam nämlich, zusammen mit zahlreichen anderen Artefakten aus der Antike, im Jahr 1912 als Schenkung an das Antikenmuseum der Universität Leipzig. Der Wohltäter war eine schillernde Figur: Edward Perry Warren, Amerikaner von Geburt, verschrieb sich der klassischen Archäologie und lebte seit 1888 vorwiegend in England – in offener Lebensgemeinschaft mit einem Mann, dem Archäologen John Marshall (Warren verfasste 1928-30 unter Pseudonym eine dreibändige „Defence of Uranian Love“, eine Verteidigungsschrift für Homosexualität). Warren bereiste Europa, erwarb Antiken für Museen und für den eigenen Besitz und betätigte sich als Förderer verschiedener Sammlungen. Unter der Direktion von Franz Studniczka erlebte die ins frühe 18. Jahrhundert zurückreichende Leipziger Sammlung neuen Aufschwung, und die beiden angelsächsischen Kenner zollten ihr ihre Anerkennung, indem sie rund 300 wertvolle Objekte stifteten, darunter der besagte klazomenische Sarkophag. Auch wenn die beiden Männer zum Zeitpunkt der Schenkung nicht mehr zusammenlebten (Marshall hatte bereits 1907 zur großen Bestürzung Warrens eine Frau geheiratet), wirken die beiden Jünglingsprofile auf dem Sarkophagrahmen fast wie ein zeitloses Denkmal ihrer ungewöhnlichen „uranischen“ Beziehung.