Modersohn-Becker und Sérusier für Bremen

Paula Modersohn-Becker, Stillleben mit Robbia-Putto, um 1905, Öl oder Tempera auf Leinwand, 50 x 75 cm
Paula Modersohn-Becker, Stillleben mit Robbia-Putto, um 1905, Öl oder Tempera auf Leinwand, 50 x 75 cm

Gleich drei hochrangige Neuerwerbungen kann die modernisierte und erweiterte Kunsthalle Bremen nach ihrer Wiedereröffnung im vergangenen Jahr bekannt geben: Mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und der Ernst von Siemens Kunststiftung konnten Paul Sérusiers „Bretonisches Mädchen, Marie Francisaille“ (1896) sowie „Stillleben mit Robbia-Putto“ und „Stillleben mit Blattpflanze und Eierbecher“ (um 1905) von Paula Modersohn-Becker dauerhaft für die Gemäldesammlung gesichert werden. Den Ankauf des Sérusier-Gemäldes förderten darüber hinaus private Stifter, den der Modersohn-Becker-Stillleben die ebenfalls in Bremen ansässige Waldemar Koch Stiftung.

Obwohl die Kunsthalle Bremen über eine umfangreiche Sammlung französischer Malerei des Impressionismus verfügt, war Paul Sérusier (1864–1927) darin bislang nicht vertreten. Dabei war der dem Kreis um Paul Gauguin angehörende und der „Schule von Pont-Aven“ entstammende Franzose Begründer und intellektueller Kopf der spätimpressionistischen Künstlergruppe „Nabis“ (von hebräisch „Prophet“), der das Museum einen eigenen Saal widmet. Alle wichtigen Künstler dieser Vereinigung, die in den Jahren 1888/1898 von jungen, rebellischen Kunststudenten der Académie Julian in Paris gegründet wurde, werden darin präsentiert, darunter Pierre Bonnard, Édouard Vuillard, Maurice Denis und Félix Vallotton – nur ein Werk Sérusiers fehlte bisher. Durch den Ankauf seines „Bretonischen Mädchens“ aus Pariser Kunsthandel kann diese Lücke nun aufs Glücklichste geschlossen werden.

Die Sommermonate verbrachte Sérusier seit 1894 in dem Bretagne-Dorf Chateauneuf-du-Faou, wo er 1895/96 das kleine Bauernmädchen Marie Francisaille zeichnete, über dessen Lebensumstände nichts bekannt ist. Fasziniert von der einfachen bretonischen Themenwelt malte er noch später im Pariser Atelier zwei beinahe identische Gemäldefassungen: Beide zeigen das Kind in seinen dunklen Alltagskleidern mit der schwarzen Kappe und der hellen Schürze in Frontalansicht auf einem kleinen Klappstuhl sitzend. Die erste, undatierte Fassung wurde bereits im Herbst 1895 im Salon des Artistes Indépendants in Paris ausgestellt und befindet sich heute im Pariser Musée d’Orsay. Das Bremer Gemälde – auf den Zentimeter so groß wie die Pariser Version (90 x 54 cm) – verblieb bis zum Tod des Künstlers 1927 in dessen Atelier. Es ist weit mehr als eine bloße Kopie, sondern mit verändertem Ausdrucksgehalt als eigenständiges Bild zu betrachten.

Sérusiers „Bretonisches Mädchen“ schlägt zudem eine Brücke zum Werk von Paula Modersohn-Becker (1876–1907), der Worpsweder Malerin und Wegbereiterin des frühen deutschen Expressionismus, die sich bekanntlich auf ihren Reisen nach Paris von der Kunst der „Nabis“ und der „Schule von Pont-Aven“ inspirieren ließ. Wie Sérusier zeigte sich auch die zwölf Jahre jüngere Modersohn-Becker tief bewegt von der Ausstrahlung einfacher Bauern und von deren Kindern. Zu einem direkten Vergleich lädt ihr „Worpsweder Bauernkind, auf einem Stuhl sitzend“ (1905, Kunsthalle Bremen) ein. Dass Modersohn-Becker Lithographien Sérusiers bereits 1898 während eines Berlin-Aufenthaltes gesehen hat, ist bekannt; ob sie das Gemälde „Marie Francisaille“ je zu Gesicht bekam, ist hingegen ungewiss.

War die Gattung Stillleben zuvor in ihrem Werk nur spärlich vertreten, wandte sich Modersohn-Becker ihr ab 1905 – sicherlich inspiriert durch ihren dritten Pariser Studienaufenthalt – intensiv zu: Für das Jahr 1905 führt das Werkverzeichnis schon 19 Stillleben auf. Zwei herausragende Kunstwerke dieser Zeit – das „Stillleben mit Robbia-Putto“ (um 1905, 50 x 75 cm) und das „Stillleben mit Blattpflanze und Eierbecher“ (um 1905, 25,7 x 24 cm) – konnte die Kunsthalle Bremen nun aus Privatbesitz erwerben. Deutlich zeugen diese beiden Stillleben von Modersohn-Beckers Auseinandersetzung mit der französischen Kunst – einerseits vor allem durch Cézanne, andererseits durch Gauguin –, aber auch davon, dass sie gleichzeitig immer eigene Wege beschritt.

In der durch ihren frühen Tod bedingten kurzen Schaffenszeit entstanden zwischen Worpswede und Paris hunderte Gemälde und Zeichnungen, darunter Landschaften, (Selbst-)Porträts, Kinderbildnisse und Stillleben. Bereits 34 Gemälde der Malerin, sechs davon Stillleben, umfasst die Sammlung der Kunsthalle Bremen, die mit keinem anderen Künstler so lange verbunden ist wie mit Paula Modersohn-Becker. Schon1906 zeigte das Museum eine Auswahl ihrer Werke und 1908 – ein Jahr nach ihrem Tod – die erste große Gedächtnisausstellung. Für die Kunsthalle Bremen erwarb ihr erster Direktor Gustav Pauli in den Folgejahren farbig-expressive Gemälde Paula Modersohn-Beckers: Es waren ihre ersten Bilder in öffentlichem Besitz. Pauli bekräftigte mit diesen Ankäufen die unbedingte Unterstützung, die er der ehrgeizigen jungen Malerin von Anfang an entgegen aller Kritik hatte zukommen lassen. Bis heute ist die Würdigung dieser längst national und zunehmend auch international anerkannten Künstlerin am Beginn der Moderne ein besonders Anliegen der Kunsthalle Bremen.