Rückkehr einer Bibel

Lorscher Bibelfragment, um 800
Lorscher Bibelfragment, um 800

Mit seiner Entstehung um 800 gehört es zu den ältesten handschriftlichen Zeugnissen des Klosters Lorsch – das große Pergamentblatt mit einem lateinischen Text aus dem Buch Tobit (Tobias): Darüber hinaus gilt es als frühester Beweis für eine Bibelproduktion im 764 gegründeten Kloster. In Lorsch allerdings findet sich heute – nach dem Untergang des Klosters im 16. Jahrhundert und der Zerstreuung seiner großen Bibliothek – kein einziges Stück des ehemaligen sagenhaften Bücherschatzes. Als sich nun unlängst bei einer Auktion von Sotheby’s in London die Gelegenheit ergab, das mutmaßlich einzige noch in Privatbesitz befindliche Relikt der Klosterbibliothek – ein Blatt einer Vollbibel – zu erlangen, setzten die Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen alles daran, dieses kostbare Stück zu ersteigern – u. a. auch, um die Handschrift als einen Höhepunkt der Neupräsentation des Klostergeländes im Jahr 2014 zeigen zu können. Mit finanzieller Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und der Hessischen Kulturstiftung erhielten sie schließlich glücklich den Zuschlag.

Über acht Jahrhunderte wirkten in Lorsch die Benediktiner, dann die Zisterzienser und die Prämonstratenser – im Zuge der Reformation 1557 ging das Kloster schließlich unter. Seine Gebäude fielen dem Abbruch zum Opfer, und neben einigen baulichen Überresten hat sich nur die wegen ihrer großen Bedeutung für die europäische Bau- und Kunstgeschichte vielbesuchte karolingische Torhalle erhalten. Auch die legendäre Klosterbibliothek wurde später als Kriegsbeute dem Papst in Rom überstellt. Heute lebt sie fort in ihren erhaltenen Beständen, die sich in zahlreichen namhaften Bibliotheken auf der ganzen Welt finden lassen. Der Bestand der frühmittelalterlichen Klosterbibliothek, der Lorsch zu einem zentralen Wissenszentrum machte, wird momentan in einer virtuellen Bibliothek durch die Universitätsbibliothek Heidelberg rekonstruiert: Alle 330 erhaltenen Handschriften aus 68 Bibliotheken – darunter auch antike Stücke, die zum Kostbarsten der Buchgeschichte überhaupt zählen – werden so digital wieder zusammengeführt.

Zwar keine Prachthandschrift, ist die jetzt erworbene karolingische Minuskelhandschrift doch ein rares Objekt: Kaum biblische Texte aus Lorsch sind überliefert – verwunderlich eigentlich für einen dem Bibelstudium verpflichteten Ort. Doch wurden beim Abtransport der Bibliothek gerade biblische Handschriften und liturgische Codices ohne besonderen Buchschmuck ausgesondert und an Buchbinder veräußert, die für das teure Pergament gute Preise zahlten. So kann die einzelne Lorscher Bibelseite nun um so eindrücklicher vom großen kulturellen Erbe des Klosters und seinem einst so reichen Schriftenschatz künden.