Kunst in allen Dimensionen

Liebe Leserin, lieber Leser,

in seiner Lichtskulptur von 1999 proklamiert Maurizio Nannucci die Zeitgenossenschaft aller Kunst, „ALL ART HAS BEEN CONTEMPORARY“ und formuliert damit den Anspruch Edouard Manets neu, der bereits über 100 Jahre zuvor mit dem Satz „il faut être de son temps“ einforderte, man müsse ein Kind seiner Zeit sein. Im vorliegenden Heft stellen wir Ihnen deshalb wie stets bedeutende Werke vergangener Epochen vor, die auf der Höhe ihrer Zeit waren: Sei es das spektakuläre Liesborner Evangeliar, ein goldenes Empire-Service aus der Mitgift einer Zarentochter oder der Kopf Kaiser Caligulas. Im Schwerpunkt stellen wir Ihnen drei prominente Neuerwerbungen vor, die von Künstlerinnen und Künstlern innerhalb der vergangenen vierzig Jahre geschaffen wurden. Sie beleuchten eindrücklich Individualitäten und Konzepte, sind raum- und gattungsübergreifend zugleich.

Da er in den Siebzigerjahren erkannte, von der Kunst allein nicht leben zu können, eröffnete Hans-Peter Feldmann 1975 in Düsseldorf einen Laden, den er mit Waren aus aller Welt bestückte: technischen Antiquitäten, Blechspielzeug, optischem Gerät – so entstand ein anspruchsvoll-exzentrisches, künstlergeführtes Kuriositätengeschäft und zugleich ein persönliches Museum, das nun seinen Platz im Münchner Lenbachhaus gefunden hat.

Mit Isa Genzken und Katharina Grosse stellen wir Ihnen zwei Künstlerinnen vor, die in ihren Arbeiten die raum- und ortsbezogenen Konzepte der Installa­tions­kunst auf sehr unterschiedliche Weise weiterentwickeln. Isa Genzkens Installation „Schauspieler II, 8, 11, 12“ mit der Bodenarbeit „Untitled“ inszeniert eine Art ­Familienaufstellung im musealen Kontext. Lebensgroß werden Figuren wie auf einer modernen Theaterbühne zueinander in Beziehung gesetzt. „Sieben Stunden, Acht Stimmen, Drei Bäume“ – das ist der zunächst rätselhafte Titel einer Raumintervention von Katharina Grosse. Wie Genzken mischt sie verschiedene künstlerische Gattungen, und wie deren Werk bemächtigt sich auch das ihre des Raums, jedoch nicht durch Kunst­figuren, sondern durch farbig überarbeitete Stoffbahnen und entwurzelte Bäume.

Dass Verlustgeschichten überaus komplex sein können, zeigt die Arbeit des Deutsch-Russischen Museumsdialogs: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses um die Aufarbeitung der kriegsbedingten Verlagerung musealer Bestände verdienten Projekts der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der Kulturstiftung der Länder stellen modellhafte Fallbeispiele aus ihrer täglichen Recherchetätigkeit vor. Die sorgfältige Aufarbeitung der Transportlisten der sowjetischen Trophäen­brigaden und anderen Aktenmaterials gibt Kunstwerken ihre Biografie zurück und lässt Wissenschaftler in Ost und West in Kooperationen zusammenrücken.

Liebe Leserinnen und Leser, lassen Sie sich inspirieren von provokanten künstlerischen Ansätzen, von den Forschungsergebnissen des Museumsdialogs – und von unserem Länderschwerpunkt Thüringen: Lernen Sie das Lindenau-Museum Altenburg kennen, helfen Sie der Kunstsammlung Jena bei einer Restaurierung und folgen Sie dem Direktor der Stiftung Schloss Friedenstein ins Depot.

Mit allen guten Wünschen zu den bevorstehenden Feiertagen grüßt Sie

Frank Druffner