Kunst auf Kur

Ein enger, langer Gang, links und rechts gewaltige Bücherregale. Esther Ruelfs geht schnellen Schrittes voraus in den hintersten Winkel. „Aus Platzmangel liegt ein Teil der Sammlung hier in der Bibliothek“, erklärt die Leiterin der fotografischen Sammlung des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe (MKG). Besagter Teil sind die rund 400 konser­vie­rungs­­bedürftigen Daguerreotypien, die „Sorgenkinder“ der fotogra­fischen Sammlung. Sie lagern in einem mächtigen Planschrank am Ende des Ganges, zwischen Teeküche und Mikrowelle. „Die Situation ist sehr unbefriedigend“, räumt Esther Ruelfs ein, während sie eine der breiten Schubladen öffnet. Zum Vorschein kommt das Herzstück der insgesamt 75.000 Objekte umfassenden Fotosammlung des Museums: Daguerreotypien aus dem späten 19. Jahrhundert, kostbare Zeugnisse der fototechnischen Frühzeit – und der Vorreiterrolle des MKG. Denn bereits Ende des 19. Jahrhunderts begann der Gründungsdirektor Justus Brinckmann Fotografien zu sammeln, ab 1911 stellte er sie als eigenständiges Medium im Kanon der Künste aus – eine Wertschätzung der Fotografie, die in vielen Museen Deutschlands erst Jahre später Einzug halten sollte. Um die Fotografien zu sehen, strömten schon damals die Bürger in Scharen in das Museum am Hamburger Hauptbahnhof.

Archivschrank mit Daguerreotypien im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. Die Ertüchtigung des Depots und des Studiensaals wird von der Hermann Reemtsma Stiftung, die Restaurierung der Daguerreotypien von der Kulturstiftung der Länder gefördert. Die Digitalisierung der Sammlung wird durch die Zeit Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius gefördert © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Archivschrank mit Daguerreotypien im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. Die Ertüchtigung des Depots und des Studiensaals wird von der Hermann Reemtsma Stiftung, die Restaurierung der Daguerreotypien von der Kulturstiftung der Länder gefördert. Die Digitalisierung der Sammlung wird durch die Zeit Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius gefördert © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Ruelfs nimmt vorsichtig eine der unter Glas gerahmten Daguerreotypien in ihre weiß behandschuhten Hände. Eine sitzende junge Frau mit Korkenzieher­locken, verhaltenes Lächeln, am weiten Kleidkragen eine Stoffrosette, in der reich beringten Hand ein raffiniertes Täschchen (Abb. S. 5): Die Abgelichtete zu erkennen ist gar nicht so einfach, denn die stark verspiegelte Oberfläche der versilberten Platte changiert, gibt das Motiv erst in der Bewegung preis. Die Expertin erklärt, es handle sich um Aufnahmen aus deutschen Fotostudios, vorwiegend aus Hamburg – in wohlhabenden Städten siedelten sich Daguerreotypisten an, da sie dort die Kundschaft für das noch sehr aufwendige und teure Verfahren der mit Joddampf lichtempfindlich gemachten Platten fanden. Den Wochenlohn eines Arbeiters mussten die Kaufleute und Beamten für die Anfertigung eines Porträts aufbringen. Das Abbild der Unbekannten trüben kleine Tröpfchen und kristallene Ausblühungen. Die sogenannte Glaskrankheit frisst sich durch den Bestand der empfindlichen Daguerreo­typien, eine Korrosion der gläsernen Scheiben – sie müssen dringend ausgetauscht werden. „Unsere Bordmittel reichen nicht aus für die aufwendigen Restaurierungen,“ konstatiert Sabine Schulze, die Direktorin des Hauses. „Erst mit der Unterstützung von ‚Kunst auf Lager‘ können wir das stemmen.“

Neben den Daguerreotypien werden zudem 35 originalgerahmte Gummidrucke aus der Zeit um 1900 fachgerecht instand gesetzt, ein auf einem fotografischen Negativ basierendes Druckverfahren, dessen Positiv durch die verwen­deten Farbpigmente wie Malerei anmutet. Die ent­scheidendste Neuerung für das Haus ist jedoch, dass die fotografische Sammlung zusammengeführt wird: ­Momentan noch auf vier verschiedene Orte im Haus verteilt, ermöglicht die Förderung den Ausbau und die Klimatisierung eines zentralen Depots. Esther Ruelfs öffnet die Stahltür zu einem weiteren Lagerort, scherzhaft „das Verlies“ genannt. Eine passende Bezeichnung für den fensterlosen Kellerraum mit den niedrigen Decken und der spürbaren Enge – die Lagerschränke stehen teilweise so dicht, dass man die einzelnen Schubladen nicht vollständig öffnen kann. Wissenschaftliche Arbeit ist unter diesen Umständen denkbar schwierig. Mancher großformatige Depotschatz lässt sich nicht einmal entnehmen, eine Zusammenschau der Objekte und ihre Systematisierung sind aber dringend notwendig. Ende des Jahres sollen die fotografischen Kostbarkeiten in die neuen Depoträume umziehen und zeitgleich mit einer Sonderausstellung gewürdigt werden. Nach und nach wird zudem die Digitalisierung der Objekte vorangetrieben, schon heute umfasst die Online-Sammlung des Hauses mehr als 6.000 Einträge.

Theodor und Oscar Hofmeister, Die Geschwister, 1901, 114,2 × 110,2 cm (mit Rahmen); Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. Die Restaurierung der Gummidrucke wird von der Wüstenrot Stiftung gefördert © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg; S. 26: © SHMH / Foto: Elke Schneider
Theodor und Oscar Hofmeister, Die Geschwister, 1901, 114,2 × 110,2 cm (mit Rahmen); Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. Die Restaurierung der Gummidrucke wird von der Wüstenrot Stiftung gefördert © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg; S. 26: © SHMH / Foto: Elke Schneider

Comeback für Christus

Virtuos gelüsterte Partien reflektieren das einfallende Tageslicht, verleihen dem nahe am Fenster auf einer Staffelei ruhenden Ölgemälde einen erhabenen Schimmer. Zu den rund zwei Jahre andauernden Umbaumaßnahmen in der Hamburger Kunsthalle gehörte auch der Umzug des Restaurierungsateliers in neue Räume des Erweiterungsbaus. „Wir sind gerade erst eingezogen!“, freut sich Silvia Castro bei der Begrüßung. Terpentin liegt in der Luft. Die großen Fenster lassen draußen das grün patinierte Dach des Hotels Atlantic Kempinski erkennen, nach innen sorgen sie für helle freundliche Räume. Zeitgleich zu der umfassenden baulichen Instandsetzung des Hauses begannen die Mitarbeiter, Kustoden und Restauratoren gemeinsam, einen Reigen an bisher deponierten oder länger nicht ausgestellten Werken konservatorisch und restauratorisch in Augenschein zu nehmen. Man erweckte Altmeisterliches und Zeitgenössisches, Gemaltes und Installiertes aus dem Dornröschenschlaf. Auf der Staffelei strahlt nun eine dieser wiedererweckten Schönheiten: Hans Burgkmairs „Christus am Ölberg“, um 1505, wird gerade noch restauriert. Felicitas Klein, freie Restauratorin aus Berlin, führt die langwierige Arbeit aus. Quadrat­zentimeter für Quadratzentimeter des Gemäldes ar­beitet sie sich durch das Werk, untersucht es auf Fehlstellen, kittet und retuschiert. „Das Motiv war von einem dunklen Schleier verhangen“, berichtet Klein, „dem Mantel des Gottessohns fehlte jegliche Tiefe, er hatte sich mit der Zeit in einen einzigen großen schwarzen Fleck verwandelt. Zudem störte ein unansehnlicher runzeliger Firnis das Werk.“ Klein schickte eine Probe der Farbschichten an ein spezialisiertes Analyselabor in Dresden, um ihren Aufbau zu verstehen. Die Chemiker konnten nachweisen, dass der Mantel ursprünglich violett gewesen sein muss. Der Farbton entstand durch eine transparente, dunkelrote Lasur, die über einer intensiv blauen Farbschicht liegt. Darin enthaltene Kupferpigmente oxidierten und sorgten schließlich für eine „Verschwärzung“. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde darüber eine braune Übermalung gelegt. Präzise Recherche und eingehende Untersuchungen des Objektes im Vorfeld der Restaurierung sind unerlässlich. Nur wenn Klein die Zusammenhänge und Überarbeitungen nachvollzieht, kann sie die richtigen Maßnahmen ergreifen. „Am wichtigsten ist für uns dabei immer, die Originalsubstanz des Bildes zu sichern.“ Im Falle von Burgkmair nahm Klein die nachträgliche Übermalung weitestgehend ab, legte die originale Farbschicht frei. Anders als erwartet, schimmerte der Mantel Christi nicht bläulich, sondern tendierte ins Smaragdgrün: eine historisch bedingte, irreversible Veränderung der Pigmente. „Die Farbigkeit des Mantels wird nicht nach­bearbeitet. Jedes Werk erhält im Laufe der Zeit eine Patina, verändert sich. Das gehört dazu“, so Klein. Ihre Kollegin Silvia Castro hakt ein: „In der Wissenschaft der Restaurierung gibt es verschiedene Haltungen zum Umfang von Eingriffen in die originale Substanz und auch hinsichtlich der Akzeptanz von Alterungsphänomenen und daraus resultierenden ästhetischen Veränderungen.“

Hans Burgkmair d. Ä., Christus am Ölberg, um 1505, 92 × 63 cm; Hamburger Kunsthalle. Die Restaurierung wurde von der Rudolf-August Oetker-Stiftung gefördert © Hamburger Kunsthalle / bpk / Foto: Felicitas Klein
Hans Burgkmair d. Ä., Christus am Ölberg, um 1505, 92 × 63 cm; Hamburger Kunsthalle. Die Restaurierung wurde von der Rudolf-August Oetker-Stiftung gefördert © Hamburger Kunsthalle / bpk / Foto: Felicitas Klein

Die unterschiedlichen Anforderungen führt Kandinskys „Weißer Punkt“ von 1923 exemplarisch vor Augen – ein weiteres Gemälde, das durch das Bündnis „Kunst auf Lager“ den Weg zurück in den Ausstellungsraum findet. „Obwohl das Bild für unsere Sammlung wichtig ist und zahlreiche Bezüge zu anderen Werken hat, lag es doch meist im Verborgenen“, bedauert Karin Schick, die Kuratorin für die Klassische Moderne in der Kunsthalle, die sich umso mehr freut, den Kandinsky nun in die Neupräsentation einzugliedern. Was störte am Erscheinungsbild dieses Werkes? „Es war einfach nur laut“, erklärt Felicitas Klein. Neben Alten Meistern restauriert sie auch Werke der Klassischen Moderne und legte deshalb auch bei dem Kandinsky Hand an. Als das Gemälde in den 1960ern über eine Versteigerung aus dem New Yorker Salomon R. Guggenheim Museum in die Hamburger Kunsthalle kam, war es überzogen von einem für Kandinsky unüblichen Kunstharzfirnis. Dabei handelte es sich um eine in den USA häufig ausgeführte Konservierungsmaßnahme, die zu einer Nivellierung der Farben und Flächen führte. „In diesem Zustand hätten wir das Gemälde nicht ausstellen wollen“, erläutert Schick. Durch die Ablösung des Überzugs legte Restauratorin Klein den Originalfirnis frei und brachte Kandinskys durchdachtes Spiel aus glänzend lasierten und matten freigelassenen Farb­flächen wieder zum Vorschein. Ebenso die pastellenen Farbschleier, die subtil um die Komposition wogen.

Wassily Kandinsky, Weißer Punkt (Komposition Nr. 248), 1923, 91,5 × 73,3 cm; Hamburger Kunsthalle, Dauerleihgabe der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen. Die Restaurierung wurde von der Kulturstiftung der Länder gefördert © SHK / Hamburger Kunsthalle / bpk / Foto: Elke Walford
Wassily Kandinsky, Weißer Punkt (Komposition Nr. 248), 1923, 91,5 × 73,3 cm; Hamburger Kunsthalle, Dauerleihgabe der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen. Die Restaurierung wurde von der Kulturstiftung der Länder gefördert © SHK / Hamburger Kunsthalle / bpk / Foto: Elke Walford

Auch die Instandsetzung von Rebecca Horns In­stallation „Chor der Heuschrecken I“ von 1991 wirft interessante Fragen zum Selbstverständnis des Restauratorenberufs auf. Bestehend aus 33 Vintage-Schreibmaschinen, die kopfüber an Stahlträgern von der Decke hängen, ist die durch Motoren betriebene Rauminstallation als eine Oase der Unruhe angelegt: Eine Zeitschaltuhr aktiviert in regelmäßigen Abständen einen komplexen Schaltkreis, lässt Metallstäbe auf Buchstabentasten klackern, die Schreibmaschinen geräuschvoll in ihren Verankerungen kippen und ruckeln. Dieser zirpend vibrierende „Chor“ wird von einem am Boden tänzelnden, mit dem Schaltkreis verbundenen Blindenstab wie von Geisterhand dirigiert. Rebecca Horns Arbeit war ein Lieblingsstück der Besucher in der Galerie der Gegenwart der Kunsthalle, bis die Schäden an der Mechanik überhandnahmen. Die Installation wanderte 2010 ins Depot. Erst Jahre später fand man durch „Kunst auf Lager“ die nötige Förderung. Mit der Restaurierung des komplexen Werks ist die Niederländerin Claartje van Haaften betraut: „Authentizität ist bei einer solchen Installation genauso wichtig wie bei einem Gemälde“, erklärt sie. Zwar müssten die Maschinen im weitesten Sinne repariert, das heißt fehlende Tasten ergänzt, veraltete Kabel erneuert und kaputte Motoren ersetzt werden, doch, betont van Haaften mit Nachdruck, die Restaurierung sei keine bloße Reparatur. „Nicht die Funktionalität steht im Vordergrund, sondern die ursprünglich beabsichtigte Wirkung.“ Ist eine Taste abgefallen, wird sie nicht einfach durch eine neue ausgetauscht. Stattdessen wartet van Haaften mitunter Wochen auf diversen Online-Marktplätzen auf das gleiche Schreibmaschinenmodell, um exakt die gleiche Taste einzubauen: „Die Taste soll ja das Originalgeräusch produzieren.“ Van Haaften geht als Restauratorin an die Sache heran, nicht als Schreibmaschinen­expertin oder gar Elektronikerin. Was bedeutet, dass sie sich viel Wissen aneignen und ein Team an Experten heranziehen musste, um beispielsweise den aufwendigen Schaltplan nachvollziehen zu können. Ob man in einem solch schwierigen Falle nicht einfach die Künstlerin zu Rate ziehen könne? Van Haaften lacht: „Warum sollte sich die Künstlerin über konservatorische Fragestellungen den Kopf zerbrechen? Das ist Restauratorenaufgabe. Künstler erschaffen, wir bewahren.“ Es ist dieses histo­rische Bewusstsein, das jeder Restaurierung zugrunde liegen sollte: Was war bei der Herstellung wichtig? Aber auch: Was müssen zukünftige Restauratoren wissen? „Dokumentation ist das A und O.“ Dieser sorgfältigen restauratorischen Arbeit verdankt der „Chor der Heuschrecken“, dass er seit Wiedereröffnung der Sammlung so zirpen, zucken und lärmen kann wie eh und je.

Rebecca Horn, Chor der Heuschrecken I (in der Restaurierungswerkstatt der Galerie der Gegenwart an die Wand montiert), 1991, 351 × 349 × 270 cm; Hamburger Kunsthalle. Dauerleihgabe der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen. Die Restaurierung wird von der Wüstenrot Stiftung gefördert © Rebecca Horn / VG Bild-Kunst, Bonn 2016 / Hamburger Kunsthalle / Foto: Barbara Sommermeyer
Rebecca Horn, Chor der Heuschrecken I (in der Restaurierungswerkstatt der Galerie der Gegenwart an die Wand montiert), 1991, 351 × 349 × 270 cm; Hamburger Kunsthalle. Dauerleihgabe der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen. Die Restaurierung wird von der Wüstenrot Stiftung gefördert © Rebecca Horn / VG Bild-Kunst, Bonn 2016 / Hamburger Kunsthalle / Foto: Barbara Sommermeyer

Quarantäne für den Tempel

Inmitten der Hamburger Parkanlage Planten un Blomen liegt das backsteinerne Gebäude des Museums für Hamburgische Geschichte. Schulklassen bevölkern den sonnigen Hof und das Foyer. Hamburger Geschichte steht auf dem Lehrplan. Das aufsehenerregende Holzmodell des ersten Salomonischen Tempels nimmt auf rund 12 qm fast einen ganzen Ausstellungsraum ein und scheint auf den ersten Blick nicht so recht zur Stadtgeschichte des protestantischen Hamburg zu passen. „Der Hamburger Gerhard Schott, Begründer der Gänsemarktoper, gab das Modell Ende des 17. Jahrhunderts in Auftrag“, erklärt Claudia Horbas, Leiterin der Abteilung für Kunst- und Kultur­ge­schichte. Annäherungen an den idealen Bau des ­Jerusalemer Tempels in Form von Miniaturarchitek­turen waren zu jener Zeit in Mode, heute jedoch ist die Hamburger Nachbildung vermutlich die letzte erhaltene ihrer Art. Das Hamburger Modell basiert auf Kupferstichen des Spaniers Juan Bautista Villalpando, der in seinem Bibelkommentar von 1604 die Tempel­vision des Propheten Ezechiel als einen Bau der Spät­renaissance visualisierte. In verblüffender Genauigkeit setzten kunstfertige Hände die Aufrisse in massiver Eiche um, drechselten Säulen und Fensterrahmen aus Obstbaumholz, applizierten Ornamente aus Birkenrinde.

Architekturmodell „Templum Salomonis“, um 1685, 64 × 345 × 344 cm; Museum für Hamburgische Geschichte. Die Restaurierung wird von der Kulturstiftung der Länder gefördert © SHMH / Foto: Elke Schneider
Architekturmodell „Templum Salomonis“, um 1685, 64 × 345 × 344 cm; Museum für Hamburgische Geschichte. Die Restaurierung wird von der Kulturstiftung der Länder gefördert © SHMH / Foto: Elke Schneider

Viele Ortswechsel hinterließen ihre Spuren – von Hamburg expedierte man den Tempel nach London, einige Jahre später zurück über den Ärmelkanal nach Dresden, und schließlich gelangte er wieder nach Hamburg – besonders die filigranen Fassadenteile haben gelitten. Als das Modell 2011 schließlich für eine Ausleihe nach Amsterdam zerlegt wurde, erkannten die Restauratoren eine starke Kontaminierung des Holzes: In den 1990er Jahren hatten Vorgänger großflächig konservierendes Holzschutzmittel aufgetragen – eine, wie sich nun herausstellte, gesundheitsgefährdende Substanz. Verschlimmbesserung im wahrsten Sinne. „Bevor an weitere Restaurierungen zu denken war, mussten wir erst einmal eine Möglichkeit finden, mit der schweren Kontaminierung der Teile umzugehen.“ Eine Reinigung unter besonderen Bedingungen, die erst dank „Kunst auf Lager“-Mitteln möglich wurde. Um die schädlichen Partikel nicht unnötig zu verteilen, galt es, die Flächen feucht mit einem Sauger zu reinigen – Vollschutz für die Beteiligten ist bei einer solchen Maßnahme unabdingbar (Abb. S. 5). Eine luftdicht abgeschlossene Vitrine – darin ausgelegte Aktivkohlematten filtern nach wie vor beständig die Luft – ermöglicht das Ausstellen des Modells trotz der Kontaminierung. Zum Glück, denn der Tempel ist ein echter Publikumsmagnet.

Bibliothek in Behandlung

Dem Publikum bisher noch unzugänglich, lagert in einem stockdunklen Raum hoch oben im Labyrinth des 17-geschossigen Bücherturms der Staats- und Universitätsbibliothek (Stabi) ein weiterer Hamburger Depotschatz: Rund 10.000 Bücher aus der ehemaligen Bibliothek der jüdischen Gemeinde. Flackernd auf-leuchtende Halogenröhren offenbaren sie aneinandergereiht in tiefen Regalschluchten, den unverkennbaren Duft hochbejahrter Buchbestände verströmend. Projektleiterin Maria Kesting und die Judaistin Lucie Renner erschließen mit „Kunst auf Lager“-Fördermitteln das einzigartige Konvolut. „Das Besondere ist die Geschlossenheit, Hebraika-Sammlungen in dieser Vollständigkeit findet man selten“, verdeutlicht Kesting, während sie einen der Gänge abschreitet. Und das trotz der vielen Verlagerungen der Bücher: Die 1909 in Hamburg gegründete jüdische Bibliothek wurde 1938 durch die Gestapo beschlagnahmt und nach Berlin ins Reichssicherheitshauptamt verbracht, 1943 verlagerte man sie in ein Ausweichlager bei Dresden. Noch zu Zeiten des Kalten Krieges kehrten 1957 durch glückliche Umstände 70 von 101 Bücherkisten aus der DDR zurück nach Hamburg. Heute verwahrt die Stabi den vielfältigen Bestand, darunter vor allem religiöse Texte – Talmude, Bibeln, Kommentierungen, jüdische Rechtskodizes –, zionistische Literatur zur Geschichte des Judentums, aber auch Belletristik und Zeitschriften. Die Sammlung gilt als die einzige, wenigstens in Teilen erhaltene Bibliothek einer jüdischen Gemeinde in Deutschland. Die ältesten Exemplare reichen zurück ins 16. Jahrhundert.

Teil der Bibliothek der jüdischen Gemeinde Hamburg, die in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg lagert. Die Erschließung und Restaurierung wird durch die Zeit Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und die Hermann Reemtsma Stiftung gefördert © Bertold Fabricius
Teil der Bibliothek der jüdischen Gemeinde Hamburg, die in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg lagert. Die Erschließung und Restaurierung wird durch die Zeit Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und die Hermann Reemtsma Stiftung gefördert © Bertold Fabricius

Die Sammlung speist sich vor allem aus Beständen der Lehranstalten für Rabbiner, den sogenannten Klausen, aber auch Schenkungen sind dabei – beispielsweise von Baron Wilhelm von Rothschild sowie viele zurückgelassene Bücher von Hamburger Familien, die vor ihrer Flucht aus Deutschland ihre Bestände in die Bibliothek gaben. Kesting entnimmt dem Regal einen Lederband, öffnet die letzte Seite des Talmuds – links ein hebräisches Titelblatt, rechts ein Gewimmel aus handschriftlichen Notizen, darunter auch Namen erkennbar: „Hier lässt sich ablesen, wem dieser Talmud gehörte, bevor er in die Gemeinde­bibliothek einging“, erläutert die Bibliothekarin, die auf Provenienz­recherche spezialisiert ist. Leider fand nicht alles, was in der Bibliothek ursprünglich verzeichnet war, nach Hamburg zurück. „Vor allem die kyrillischen Schriften fehlen“, sagt Renner und vermutet Verluste in der sowjetischen Besatzungszone. Ein Depositum-Vertrag regelt, dass der Bücherschatz, der Eigentum der jüdischen Gemeinde ist, von der Stabi verwahrt, restauriert, kata­logisiert und schließlich öffentlich verfügbar gemacht wird. Die Judaistin Renner leistet mit einer Kollegin die originalsprachliche Katalogisierung. Besonders wertvolle Exemplare werden zudem restauriert, ihre brüchigen Bücherblöcke ersetzt und neu bezogen, zerfallende Seiten gesichert und verblassende Schrift konserviert. Schließlich bringt Kesting die Bücher ins Rara-Magazin. In Nachbarschaft zu anderen Schätzen der Stabi wie dem Theuerdank von Kaiser Maximilian dem Ersten oder der mittelalterlichen Melusinen­geschichte von Jean d’Arras stehen sie hier in Bücherboxen gesichert in einem weiteren Gang des kühlen Bücherturms – einem, der der interessierten Öffentlichkeit zugänglich ist. Restaurieren heißt auch wieder öffentlich machen. Gemälde, Bücher, Archive, Skulpturen und Installationen kommen aus den verschlossenen Depots zurück in die Ausstellungen und Magazine – erfrischt wie nach einer Kur und doch ganz die Alten. Denn, wie Felicitas Klein zusammenfasst: „Wir Restauratoren haben die beste Arbeit geleistet, wenn keiner merkt, dass wir eingegriffen haben.“