Kulturerbe bewahren und überliefern
„Wahre Kunst bleibt unvergänglich.“ Als Ludwig van Beethoven diesen Satz äußerte, ahnte er womöglich nicht, dass ihn sein herausragendes Werk noch weit nach seinem Tod überleben würde und dass es bis heute nicht an Strahlkraft verloren hat. Selbst 200 Jahre später beschäftigen sich nicht nur Musikwissenschaftler, konzertierende Künstler und Hobbypianisten leidenschaftlich mit seinen Kompositionen und seinem Einfl uss auf die Musikgeschichte. Der Name Ludwig van Beethoven geht selbst denen in aller Selbstverständlichkeit über die Lippen, die von sich behaupten würden, nicht viel über klassische Musik zu wissen. Als 2005 die Möglichkeit des Erwerbs von Beethovens Diabelli-Variationen an uns herangetragen wurde, herrschte in der Kulturstiftung der Länder unmittelbar Konsens darüber, dass dieses bedeutende Projekt jede erdenkliche Unterstützung verdiente und, dass sich die Kulturstiftung der Länder für die Erwerbung engagieren würde: 42 Blätter mit 81 expressiv beschriebenen Seiten umfasst das Autograph der Variationen, die Beethoven 1819 und dann wieder zwischen 1822 und 1823 – parallel zur Arbeit an seiner 9. Symphonie – komponierte.
Die Kriterien, die ein Kunstwerk erfüllen muss, um von der Kulturstiftung der Länder gefördert zu werden, waren allesamt sofort erfüllt: an oberster Stelle die erstklassige Qualität eines Kulturguts »nationalen Ranges« – wie es unsere Satzung formuliert –, eine einwandfreie Provenienz und eine herausragende Bedeutung für ein Museum, seinen Sammlungskontext oder eine Region. Das Zusammenwirken von öffentlicher Hand, Unternehmen, Banken, Stiftungen und Gesellschaften, von Privatpersonen aus aller Welt und Künstlern wie Kurt Masur, Daniel Barenboim, Anne-Sophie Mutter, András Schiff oder Alfred Brendel, die sich u. a. mit Benefizkonzerten engagiert hatten, machten es nach vier Jahren schließlich möglich, dass dieses kostbare Autograph in das Eigentum des Beethoven-Hauses in Bonn übergehen konnte.
Seit die Kulturstiftung der Länder im Jahr 1988 ihre Arbeit aufgenommen hat, lautet unser satzungsgemäßer Auftrag, Kunstschätze und Kulturgüter von nationalem Rang für öffentliche Sammlungen in Museen, Bibliotheken und Archiven in Deutschland zu sichern. Der Begriff »national bedeutendes Kulturgut« ist demnach ein zentraler Punkt unserer Arbeit und ein wichtiges Kriterium, wenn es um unsere Förderentscheidungen geht. In den letzten Wochen konnte man beobachten, wie sich an eben diesem Begriff rege Debatten entzündeten. Immer wieder wurde gefragt, was genau ein Kunstwerk als »national bedeutend« auszeichne, inwiefern die Aufrechterhaltung einer solchen Kategorie in Zeiten eines vereinten Europas und vor dem Hintergrund der Globalisierung notwendig sei und wie Kulturgüter mit diesem Siegel geschützt werden sollten. Ausgelöst wurden diese Diskussionen durch die von der Bundesregierung geplante Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes. Damit soll EU-Recht umgesetzt, verschiedene gesetzliche Regelungen zusammengeführt, besser gegen den illegalen Handel mit Kulturgut vorgegangen und der Schutz von nationalem Kulturgut vor Abwanderung ins Ausland gestärkt werden. Außerdem wird der Umgang mit Kulturgut an bestimmte Sorgfaltspflichten geknüpft. Die Novellierung dieses Gesetzes ist aus meiner Sicht notwendig, denn sie schafft Rechtssicherheit für alle, für öffentliche und private Sammlungen wie für den Kunsthandel. Eine Ausfuhrgenehmigung von Werken, die älter als 50 Jahre und mehr als 150.000 Euro wert sind, ist seit 1992 für Länder außerhalb der EU verpflichtend. Nun soll eine solche Ausfuhrgenehmigung von Kulturgütern auch auf den europäischen Binnenmarkt ausgeweitet werden, wobei Alters- und Wertgrenzen noch zu bestimmen sind.
Bereits seit 1955 ist der Schutz von Kulturgut gesetzlich geregelt. Die Eintragung von national wertvollem Kulturgut in das jeweilige Verzeichnis des zuständigen Bundeslandes dient hierbei als wichtigstes Instrument. Auch in Zukunft wird sich daran nichts ändern; eine durch die Landesregierung berufene Experten-Kommission begutachtet und beurteilt, ob sie dem Antrag auf Eintragung folgt und das entsprechende Objekt als »nationales Kulturgut« einstuft. Für die öffentlichen Förderer bedeutet die Eintragung eine besondere Verpflichtung, solche Zimelien für die Öffentlichkeit zu erwerben. Auf diese Weise fanden seit der Gründung der Kulturstiftung der Länder etwa 25 im Verzeichnis national wertvollen Kulturguts aufgeführte, ausgesprochen kostbare Objekte oder Konvolute ihren Weg in öffentliche Sammlungen, darunter das historische Musikarchiv des Schott Verlages, Gemälde von Ludger tom Ring oder Hans Holbein dem Älteren, Skulpturen von Tilman Riemenschneider oder exquisite Roentgenmöbel.
Sobald sich – wie im Falle der Diabelli-Variationen – die Chance bietet, kulturell bedeutende Zeugnisse für die Öffentlichkeit zu sichern, ist unser Engagement gefragt. Tritt jemand mit dem Wunsch an uns heran, ein bestimmtes Werk oder Konvolut zu veräußern, beraten wir uns, welche öffentlichen Sammlungen in Frage kommen und setzen uns mit diesen in Verbindung. Genauso oft melden sich Museen, Bibliotheken und Archive mit entsprechenden Vorhaben bei uns. Doch jeder Ankaufswunsch muss – um von der Kulturstiftung der Länder gefördert zu werden – einer akribischen kunsthistorischen Prüfung standhalten. Von unabhängigen Experten lassen wir die Objekte in Hinblick auf ihre kunst- bzw. kulturhistorische Bedeutung, die Provenienz und ihren Wert begutachten. Dabei orientieren sich unsere Gutachter immer auch an den Preisen des internationalen Kunstmarkts. Anschließend machen wir uns gemeinsam auf die Suche nach Partnern in Stiftungen, Unternehmen, in Ländern und Kommunen, um die Finanzierung auf die Beine zu stellen. Immer sind wir auf Mitförderer angewiesen, denn für unsere Erwerbungsförderungen steht uns jährlich nur ein Etat von 6,5 Millionen Euro zur Verfügung. Dies ist – angesichts der steigenden Kunstmarktpreise – nicht viel. Doch unsere Ambition ist unverändert, wesentliche Schätze im Land zu halten. Glücklicherweise gelingt uns das – gemeinsam mit Unterstützern – immer wieder.
Doch wie ist der Begriff »national bedeutendes Kulturgut« nun zu verstehen? Gerne möchte ich an dieser Stelle mit einem grundlegenden Missverständnis aufräumen, das in den
letzten Wochen wiederholt aufkam: Bei national wertvollem Kulturgut handelt es sich nicht um deutsche Kunst oder um Werke deutscher Künstler, sondern um national bedeutsame Kunst, um für die deutsche Kultur besonders wichtige und bewahrungswürdige Zeugnisse. Darunter fallen Kunstwerke, in denen sich das Bewusstsein einer gemeinsamen kulturellen Herkunft, auch die geschichtlich bedingte Zusammengehörigkeit einer Gesellschaft manifestiert: also Bewahrung der Identität, Begründung von Legitimation. Dabei geht es ganz grundlegend um unser kollektives Gedächtnis, das nicht zuletzt auch die schrecklichen – uns bis heute prägenden – Ereignisse der Vergangenheit mit einschließt.
Die sichtbare Präsenz dafür können bedeutsame Kunstwerke bieten. Bei Beethoven, Dix, Holbein oder dem Nibelungenlied fühlen sich viele Deutsche angesprochen, bei Kunstwerken
von eher regionaler Bedeutung ist das schon vielschichtiger. So konnten wir vor zwei Jahren Baden-Württemberg dabei unterstützen, einen Altar und eine Bildtafel des Meisters von Meßkirch für die Stuttgarter Staatsgalerie und die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe zu erwerben. Für den Südwesten ist dieser Künstler an der Schwelle zur Neuzeit enorm wichtig. Doch natürlich erwerben wir nicht nur Kunstwerke von Deutschen. Künstler aus aller Welt haben in Deutschland Bedeutendes geschaffen, denkt man beispielsweise an Tiepolos großes Deckenbild in der Würzburger Residenz. Oder was wäre Schloss Sanssouci ohne den Schreibtisch, den sich Friedrich der Große aus Paris kommen ließ? Zudem geht es auch um wichtige Gesamtbestände, etwa die Münzsammlung in Gotha, die schon vor 300 Jahren angelegt wurde und einen kostbaren Schatz Münzen aus ganz Europa beinhaltet. Viele der fürstlichen – historisch gewachsenen – Sammlungen beherbergen außerordentlich bedeutsame Objekte, auch internationaler Künstler. Diese Sammlungen befinden sich schon über Jahrhunderte in einer Region und bieten wichtige Identitätspunkte. Das gehört selbstverständlich zu unserem Kulturerbe; ein Abzug würde einen wesentlichen Verlust für den Kulturbesitz in Deutschland bedeuten. Unser Ziel ist es, Kulturerbe zu bewahren und es künftigen Generationen zu überliefern. Ich finde es betrüblich, wenn die Diskussion um Kulturgutschutz auf merkantile Aspekte reduziert wird, denn Kulturgutschutz ist für mich keine Frage der Preisreduzierung. Er entspricht unserem obersten Auftrag, die für unsere Nation wichtigen Zeugnisse aus Kunst und Kultur zu schützen, manchmal eben auch vor Abwanderung. Ein Eintrag sollte als Auszeichnung eines singulären Kulturguts von ideellem Wert verstanden werden, für dessen Bewahrung der Staat ebenso wie die Förderer, die Sammler, Händler und öffentlichen Institutionen Verantwortung tragen.