Kultur für alle schaffen – geht das überhaupt?
Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion (v.l.n.r.): Claudia Henne, Dr. Catrin Hannken, Isabel Pfeiffer-Poensgen, Jürgen Walter, Frank Albers und Teresa Darian.
Claudia Henne:
„Kultur für alle schaffen – geht das überhaupt?“ – das ist die Frage, die wir uns jetzt hier auf der Bühne gerne stellen wollen und ich möchte ganz kurz die Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmer vorstellen.
Isabel Pfeiffer-Poensgen, die Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder muss ich vielleicht nicht vorstellen, die kennen Sie alle – das sollte jedenfalls so sein! Sie ist seit 2004 Generalsekretärin der Kulturstiftung, die ja von allen Bundesländern getragen wird. Sie kümmert sich eigentlich um die Erwerbung bedeutender Kunstwerke und Kulturgüter, aber eben auch um kulturelle Bildung.
Frau Dr.Catrin Hannken ist Leiterin des Referats „Bildung in Regionen“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung in Berlin, herzlich willkommen!
Teresa Darian ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Kulturstiftung des Bundes und sie betreut das Programm „Kulturagenten für kreative Schulen“ und weitere Projekte im Schwerpunkt Kunst der Vermittlung/kulturelle Bildung, und da hat sie auch jeden Tag mit all diesen Themen, wahrscheinlich von morgens bis abends zu tun, schön dass Sie da sind!
Jürgen Walter, seit 2011 Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, das gastgebende Bundesland dieses Jahr, und er ist seit 1983 für die Grünen in Baden-Württemberg rundum und in Ludwigsburg aktiv. Sie sind auch schon seit 1986 in der Kultur unterwegs, Sie kennen das, was Kultur und Politik zusammen schaffen können – oder auch nicht – bestens.
Frank Albers kennt sich besonders gut aus in Literatur und Film. Er hat in beiden Bereichen Erfahrungen in unterschiedlichen Arbeitsfeldern bei unterschiedlichen Arbeitgebern gesammelt und ist seit 2001 Projektleiter bei der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart, zuständig für Kultur und dazu gehört neben Literatur und Film auch der Förderschwerpunkt „Kulturelle Teilhabe“.
Wir haben jetzt hier schon zwei Begriffe (meint: „kulturelle Bildung“ und „Teilhabe“, Anm. d.Redaktion), die heute Morgen sehr kritisch hinterfragt worden sind, nichtsdestotrotz: Kultur für alle schaffen … Herr Walter, das ist nicht so eine einfache Aufgabe, oder?
Jürgen Walter:
Wir müssen zunächst einmal von dem Gedanken wegkommen, Begriffe zu verwenden, wie „Hochkultur“ oder „Subkultur“ – sondern von der Kultur an sich sprechen. Ich finde, dass alle einen Anspruch und ein Recht haben, gefördert zu werden. Ich glaube, das haben wir auch zum großen Teil schon eingelöst, also zumindest unseren Anspruch in Baden-Württemberg. Heute geht es ja eher darum, dass wir eine Gesellschaft haben, wo 25 bis 30 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund sind, die nicht unbedingt einen Bezug haben zu der Kultur, die wir seither haben, das ist eine große Herausforderung, diese Menschen anzusprechen. Zweitens ist es eine Herausforderung, dass überall, wo ich hinkomme, der Altersdurchschnitt doch schon etwas angewachsen ist. Also wenn ich zum Beispiel in ein klassisches Konzert gehe, denke ich, schön, dass ich heute einer der Jüngsten bin, aber eigentlich ist das ja keine schöne Entwicklung. Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen. Es muss Formate geben, die sich nicht an die klassischen Konzertgänger richten, bzw. man muss sich fragen, weshalb der Altersdurchschnitt so hoch ist.
Kulturelle Bildung ist deshalb ein ganz wesentlicher Baustein unserer Kulturpolitik, dafür geben wir sehr viel Geld aus. Wir haben zum Beispiel einen Beirat für kulturelle Bildung, der Vorschläge erarbeitet hat, und es gibt ja heute im Grunde keine Kultureinrichtung mehr, die sich nicht auch in einem bestimmten Umfang um kulturelle Bildung kümmert. Wir haben beispielsweise hier in Freiburg das Theater im Marienbad und wir haben das JES in Stuttgart. Das sind die zwei einzigen unabhängigen, an keine Institution gebundenen Kinder- und Jugendtheater. Wir haben ihnen deshalb in unserem neuen Doppelhaushalt 2015/16 einen eigenen Titel gegeben, wir haben die Zuschüsse erhöht, weil wir glauben, es muss einfach in diesem Bereich wesentlich mehr gemacht werden. Wir schaffen das nur, wenn wir Kinder und Jugendliche schon früh mit der Kultur vertraut machen, so dass sie ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebens wird. Alle, die hier sitzen, wissen, welche segensreiche Auswirkung auf unser Denken, unser Fühlen auf unser ganzes Leben es hat, wenn man schon sehr früh mit ästhetischen Erlebnissen und mit Kultur – in welcher Form auch immer – in Berührung kommt. Das bereichert das Leben, und diese Teilhabe wollen wir möglichst vielen Menschen geben!
Claudia Henne:
Frau Hannken, das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat ja jetzt mit Kultur von seiner Aufgabe her eigentlich nicht wirklich etwas zu tun, aber Sie haben ein Programm aufgelegt. Warum ist es auch Ihnen so wichtig geworden, diesen Bereich zumindest in dem Maße mit zu fördern, wie Sie das können?
Catrin Hannken:
Für uns war der Ansatzpunkt die etwas andere Richtung. Nicht von der Kultur kommend, beschäftigt uns natürlich sehr stark das Thema Bildungsgerechtigkeit. In Deutschland ist es immer noch so, dass der Bildungserfolg sehr stark von der sozialen Herkunft abhängt. Das war ein Ansatzpunkt für die Frage, wo knüpfen wir dort an? Wir können nur ein Teil der Lösung sein, dieses Problem muss auf verschiedensten Ebenen angegangen werden. Auf kommunaler Ebene, auf Landesebene, und eben auch auf Bundesebene. Wir haben das Programm „Kultur macht stark“ aufgesetzt, ein Förderprogramm, das sich an bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche richtet. Der Ansatz ist nicht so sehr, allen Kindern die kulturelle Bildung und die Hochkultur nahezubringen – deshalb fand ich auch die Diskussion heute Morgen (Podium zu den Eröffnungsvorträgen, Anm. d. Redaktion) sehr spannend. Der Ansatz ist vielmehr: Wir wollen den Kindern mit kulturellen Maß- nahmen die Möglichkeit geben, etwas anderes zu erkennen, sich eine neue Welt zu eröffnen, sich selber zu stärken, Selbstbewusstsein zu entwickeln – zum Beispiel an einer Aufführung mitzuwirken, bei der sie das erste Mal auf einer Bühne stehen. Heute Morgen wurde beschrieben, was das für Kinder bei Tanzprojekten bedeutet, wenn sie auf einer Bühne stehen, ihre Eltern im Publikum sitzen – im besten Falle, denn heute Morgen gab es ja das Beispiel, dass genau das nicht der Fall war – aber bei unseren Projekten ist es oft so.
Mit diesem Programm „Kultur macht stark“ geben wir von 2013 bis 2017 bis zu 230 Millionen Euro aus. Die Einzelmaßnahmen führen Partner durch, die wirklich über die Kompetenzen vor Ort verfügen. Die zum Einen den direkten Zugang zur Zielgruppe haben – es sind nämlich Bündnisse vor Ort, die das umsetzen, die sich auskennen mit den Kindern, die auch wissen, was sie benötigen, wen sie ansprechen können – zum Anderen haben die Partner die Kompetenzen im kulturellen Bereich. Es entstehen so sehr sehr schöne Maßnahmen bundesweit, wir haben jetzt fast 9.000 Bündnisse, erreichen um die 300.000 Kinder und Jugendliche, die eben sonst nicht die Chance hätten, vielleicht das ein oder andere zu lernen, sich selber zu erkennen und dort auch persönlich für sich viel gewinnen können.
Claudia Henne:
Frau Darian, Sie kommen von der Kultur, ergänzt sich das alles, was wir jetzt hier gehört haben, oder wünschen Sie sich noch mehr?
Teresa Darian:
Man mag den Begriff „kulturelle Bildung“ finden, wie man möchte. Frau Mundel hat vorhin so treffend gesagt, dass man immer wieder das Verhältnis zwischen Kultur und Bildung neu definieren muss. Genau darum geht es auch, wenn wir von kultureller Bildung sprechen. Es ist notwendig, dass sich sowohl die Vertreter der Kultur- als auch der Bildungsinstitutionen miteinander auseinandersetzen, in einen Dialog treten zu der Frage „was Kulturelle Bildung“ ist. Raum für diese Auseinandersetzung zu schaffen ist ein ganz wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit. Was ist das Verhältnis zwischen Kunst und Bildung, Kultur und Bildung? Ja, meiner Meinung nach ergänzen sich Kultur und Bildung in der Kulturellen Bildung!
Claudia Henne:
Frau Pfeiffer-Poensgen, Sie vertreten ja eine Stiftung, die Kulturstiftung der Länder, die sozusagen per Auftrag Repräsentantin der Hochkultur ist. Nun ist das ja heute Morgen schon sehr kritisch hinterfragt worden – ärgert Sie das vielleicht auch ein bisschen? Oder finden Sie, wir brauchen diesen Diskurs, wir brauchen diese Auseinandersetzung?
Isabel Pfeiffer-Poensgen:
Also, ehrlich gesagt, finde ich, langsam müssen wir uns alle mal ein bisschen entspannen! Denn dieses Thema ist gar keins mehr, für mich jedenfalls nicht. Wenn ich Ihnen sage, dass auch wir nicht nur in der Hochkultur unterwegs sind, dann wird das vielleicht nicht so gerne wahrgenommen, denn jeder hat ja so sein Kästchen, aber auch damit kann man leben. Ich gehe zum Beispiel – soweit ich es schaffe – viel ins Theater. In Berlin habe ich da eine große Auswahl, da ist man sicher verwöhnt. Aber auch auf diesen ganz klassischen Bühnen wie dem Deutschen Theater, der Schaubühne – all diese klassischen Stadttheater im weitesten Sinne – ist das kein Thema mehr. Ich glaube, dass die, die immer nur über die Hochkultur reden und sagen, dass man in diese Theater gar nicht gehen kann, die waren schon sehr lange nicht mehr da. Denn diese Themen haben schon längst – auch in unkonventionellster Art – Einzug gefunden, und dieses Haus hier in Freiburg ist dafür, glaube ich, ein ziemlich gutes Bespiel. Das Problem ist nach wie vor das, was wir die „Schwelle“ nennen, und darüber müssen wir nachdenken! Wie können wir diese Häuser noch besser öffnen? Das können die Theaterleute besser beantworten als ich, deswegen werde ich mich mit guten Ratschlägen da etwas zurückhalten. Ich finde nur, diese Debatte über Hochkultur oder nicht Hochkultur, die ist irgendwie „over“.
Claudia Henne:
Herr Albers, Sie kommen von einer privaten Stiftung, der Robert Bosch Stiftung, ist die Debatte „over“, oder was begegnet Ihnen so?
Frank Albers:
Ich denke, sie ist „over“, wir führen sie zumindest nicht. Wir haben – und deswegen fand ich die Diskussion heute Morgen sehr spannend – ein kleines Programm, das wir „Kunst und Spiele“ nennen, das mag man uns auch um die Ohren hauen, aber wir finden es lustig. Was uns da interessiert ist, dass wir in die Institutionen wollen, wir kommen auch von der Kulturseite und möchten gern die Kulturinstitutionen – sei es Theater, Galerien, wir haben Filmmuseen dabei und so weiter – dort in den Strukturen hineinwirken und auf allen Ebenen eine Sensibilität für das Thema schaffen: Wie kriegen wir die ganz Kleinen an Kultur heran? – egal welche Form von Kultur, welchen Genres. Das beginnt mit dem Intendantenposten, das geht hinunter bis zum Aufsichtspersonal und das ist unser Ansatz. Wir müssen diese Sensibilisierung schaffen, sei es bei den Musikern, bei den Künstlern …
Wir haben ein Beispiel in Berlin mit dem Rundfunk Sinfonieorchester, wo wir lange mit den Musikern diskutiert haben, warum es wichtig ist, dass sie nicht nur ihrem kulturellen, ihrem kreativen Auftrag nachkommen, sondern sich auch mit kleinen Kindern auseinandersetzen. Das war eine sehr spannende Diskussion, die bei den Musikern teilweise auf sehr viel Widerstand gestoßen ist, aber schrittweise haben auch Aufweichungen stattgefunden. Das gilt genauso für Filmemacher am Deutschen Filmmuseum oder am Deutschen Filminstitut in Frankfurt oder der Kunsthalle in Bremen, wo wir auf sehr starre Strukturen stoßen. Das ist ein dickes Brett, an dem wir da bohren. Wir geben aber so schnell nicht auf und versuchen zumindest – und das ist der Ansatz, an dem wir da arbeiten müssen – die doch teilweise starren Strukturen in Kultureinrichtungen etwas aufzuweichen und diese Sensibilisierung auch so dauerhaft zu installieren, dass, wenn der Intendant wechselt oder der Direktor wechselt, es nicht sofort alles wieder in Vergessenheit gerät, da wollen wir so ein bisschen hin.
Jürgen Walter:
Es ist einfach so, dass auch die Leute, die heute in Kultureinrichtungen gehen, heute ins Cabaret und morgen in die Oper gehen, die schauen sich das beides an, das hat beides seinen Wert. Wenn ich sehe, wie in den Kultureinrichtungen gearbeitet wird … Bei uns in Stuttgart im Schauspielhaus kommt der Intendant aus der freien Szene und war dann am Gorki Theater, der holt She She Pop nach Stuttgart ans Theater – She She Pop ist auch hier im E-Werk zu sehen. Das hat sich einfach völlig verändert in den letzten Jahren – oder vielleicht schon Jahrzehnten. Für mich ist entscheidend: Wenn wir etwas fördern, schauen wir immer, ob Qualität geboten wird und egal in welchen Häusern, es wird fast überall große Qualität geboten, und das fördern wir. Die Qualität kann in sogenannter Hochkultur schlecht sein, sie kann aber auch woanders schlecht sein, und das ist eigentlich das Kriterium, das entscheidet!
Kulturelle Bildung findet nicht nur in der Hochkultur statt, darum geht es gar nicht. Natürlich geht es aber auch darum, dass wir unser kulturelles Erbe bewahren, aber wir wollen auch das Neue schaffen. Deswegen haben wir beispielsweise einen sogenannten Innovationsfonds Kunst geschaffen. Eine der Förderlinien ist auch kulturelle Bildung, Interkultur und so weiter, da geht es aber auch darum, den neuen Projekten und den neuen Institutionen zum Durchbruch zu verhelfen. Es ist uns auch immer wichtig, dass, wenn etwas sich dann etabliert, dann wird es übergeführt in die institutionelle Förderung. Diese Debatte führen wir aber im Ministerium nicht mehr und auch die meisten Kulturschaffenden, die ich kenne, wollen diese Debatte eigentlich nicht mehr führen.
Isabel Pfeiffer-Poensgen:
Wir von der Kulturstiftung der Länder beschäftigen uns ja mit diesem ganzen Themenbereich jetzt seit gut zehn Jahren. Wir haben festgestellt, wie sich in diesen Jahren durch die vielen öffentlichen Diskussionen eine unglaubliche Vielzahl von Aktivitäten entwickelt hat. Da wir jedes Jahr unseren großen Schulwettbewerb mit 750 bis 800 Teilnehmern gemacht haben – mal waren es 700, mal 650 bis 800, irgendwie ganz gemischt, mit sieben oder acht verschiedenen Sparten, in denen sich alle Schultypen bewerben konnten – konnte man sehen, wie sich die Qualität der Arbeiten unglaublich nach oben entwickelt hat. Das war eine ganz positive Erfahrung. Wir haben immer 28 Preisträger gehabt, das war anstrengend bei der Preisverleihung, aber wir wollten ja auch viele motivieren. Wenn Sie dann die Gruppen aus den Schulen aus ganz Deutschland erlebt haben, die ihre Projekte dort vorgestellt haben und ihre Urkunde entgegen nahmen, dann war deutlich sichtbar, dass wir wirklich in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Diese Projekte waren überhaupt nicht hochkulturell – um wieder diesen wunderbaren Begriff aufzubringen – sondern sie gingen einfach durch alle Bereiche.
Ich glaube, die Botschaft ist eigentlich auch der Grund, weswegen wir das immer gemacht haben: Nicht nur das Kennenlernen von allen Möglichkeiten der Kunst, sondern vor allen Dingen auch das Selbermachen, das aktive Produzieren, um diese – wie ich etwas plakativ ausdrücken möchte – Tür aufzumachen und zu zeigen, da ist noch etwas, es gibt noch andere Möglichkeiten. Ob man daraus etwas macht, ob man das auch später wieder aufgreift – in jedem Leben gibt es ja auch Phasen der Verweigerung … Diese Türöffnung ist das Entscheidende, sie ist, glaube ich, das, was wir erreichen müssen. Diese Türöffnung – mehr kann es überhaupt nicht sein in meinen Augen – die müssen wir eben langfristig und – mit unserem deutschen Lieblingswort – „nachhaltig“ verankern. Deswegen schreiben wir uns jetzt sehr deutlich auf die Fahnen, dass wir die Strukturen der Angebote ändern müssen. Da ist die Schule nach wie vor der beste Ort, weil dort – jedenfalls zu einer gewissen Zeit – alle Kinder hingehen müssen, dort erreichen wir besonders viele. Entsprechend haben wir daraus die Konsequenz gezogen und werden einen neuen Wettbewerb Kinder zum Olymp! im Herbst starten, der sich mit diesen strukturellen Fragen beschäftigt und bei dem sich Kultureinrichtungen, Städte und Schulen bewerben können, die diese Strukturen vorbildlich schaffen. Das ist, glaube ich, der nächste Schritt. Wenn wir feste Strukturen haben – wie hier in Freiburg eine Schule mit diesem Haus – dann bauen wir diese Schwellen auch ab. Ich glaube, das ist das Thema für die Zukunft, dem zumindest wir uns jetzt verpflichten wollen.
Teresa Darian:
Ja, das waren jetzt ganz viele Schlagworte … Ich greife ein erstes heraus: Strukturen wurden schon mehrfach angesprochen. Es gibt bereits ganz tolle Beispiele von Kulturinstitutionen, die sich schon sehr „geöffnet“ haben – wenn man den Begriff jetzt mal verwenden möchte. Aber es ist eben noch nicht überall so. Da muss noch sehr, sehr viel passieren, und die Zahlen bestätigen das auch: Es gibt nämlich laut Jugendkulturbarometer seit 2004 ein Mehr an Angeboten der kulturellen Bildung – allerdings weniger Interesse an Kunst und Kultur. Damit stellt sich die Frage, wie wir eigentlich mit den Jugendlichen ins Gespräch kommen. Haben wir die richtigen Angebote und wie können wir sie fragen, was sind eure Themen? Letztlich muss doch die Öffnung der Institutionen das Ziel haben, dass die Jugendlichen die Häuser mit ihren Fragen erobern und mitgestalten und nicht nur kommen und gucken sollen, was es schon gibt. Natürlich gibt es bereits viele tolle Angebote, aber es muss auch verstärkt noch ein inhaltlicher Austauschmit den Kindern und Jugendlichen hergestellt werden. Dazu vielleicht ganz kurz ein Beispiel, weil das Thema ja „Kultur für alle schaffen“ heißt. Kultur für alle schaffen können wir als Stiftungen natürlich nicht. Wir können nur schauen, wo sind Bedarfe? Wir können in kleinen Modellprojekten unterstützen und ermöglichen, dass es Erprobungsräume gibt. Das haben wir zum Beispiel vor vier Jahren mit dem Programm „Kulturagenten für kreative Schulen“ versucht. Wir haben gesehen, dass es einen Bedarf gibt, dass Kultureinrichtungen und Schulen passgenau zusammenarbeiten. Dazwischen gibt es noch die Leerstelle. Den Prozess der Kooperation muss jemand begleiten, beraten und auch kuratieren, beispielsweise mit künstlerischer Expertise in die Schulen gehen. Durch Programme, wie das Kulturagenten-Programm, werden in den Institutionen Veränderungen angestoßen, die nicht einfach und auch nicht unbedingt sichtbar sind. Als Förderer weiß man dann auch, wenn man ein Projekt wie „Kulturagenten“ macht, dass dann nicht jedes Mal eine tolle Performance gezeigt werden kann. Am Ende sind es ganz kleine Prozesse, die hoffentlich dann aber langfristig wirken. Wenn wir über Strukturen sprechen, geht es um ernsthafte Maßnahmen, die unter Umständen personelle und strukturelle Veränderungen nach sich ziehen – sei das, dass man das Personal für Vermittlung in den Häusern, in Theatern, Museen und so weiter anders ausstattet, anders bezahlen muss. Warum sind denn überhaupt die Vermittler in Museen viel schlechter bezahlt, als die Kuratoren selbst? Das sind Fragen, denen wir uns zuwenden müssen, wenn wir diese Frage nach „Zutritt für alle zu Kunst und Kultur“ hier beantworten wollen.
Claudia Henne:
Frau Hannken, da habe ich mir natürlich die Frage gestellt: Gibt es im Bildungsministerium schon ein Referat, eine Schnittstelle Kultur? Bei diesem Kulturagentenprogramm war es ja wirklich gut, dass eine neue Schnittstelle geschaffen wurde, wo die Schulen nicht Dinge noch selbst auf sich nehmen müssen, für die sie im Grunde keine Zeit und kein Geld haben. Das ist ja auch die Wahrheit, die Schulen sind heute doch sehr strapaziert von vielen Ansprüchen – das ist einfach so. Diese Schnittstelle hat sich bei vielen Schulen als ein Segen erwiesen – gibt es so eine „Schnittstelle Kultur“ bei Ihnen?
Catrin Hannken:
Also es gibt bei uns sogar ein ganzes Referat, das kulturelle Bildung heißt, und das sich damit beschäftigt, wie die kulturelle Bildung gestärkt werden kann. Wir finanzieren zum Beispiel Wettbewerbe. Schule ist ja nicht unser Kompetenzgebiet – und ich glaube, hier sind viele Anwesende, die laut aufschreien würden, wenn der Bund da reingehen würde. Es ist dem Bund eben nicht möglich. Deshalb fördern wir auf der einen Seite Wettbewerbe, die auch in Zusammenarbeit mit Schulen stattfinden, auf der anderen Seite haben wir dieses Programm „Kultur macht stark“ aufgelegt, das in den außerschulischen Bereich geht. Dieser außerschulische Bereich ermöglicht vieles, was die Schule nicht hat. Hier werden die Kinder und Jugendlichen auf ganz andere Art und Weise angesprochen. Nicht im normalen Schulbetrieb, nicht unter dem Eindruck, dass im normalen Klassenverband jeder schon seine Rolle hat. Das funktioniert auch sehr gut, wie wir feststellen, die Jugendlichen können sich dort oft ganz anders entfalten.
Wir nehmen natürlich wahr, dass es anstrengend ist, diese besondere Zielgruppe anzusprechen. Gerade diese bildungsbenachteiligten Kinder zu erreichen, war und ist für die Partner, mit denen wir ja dieses Programm umsetzen, nicht einfach. Sie haben wirklich tolle Strategien entwickelt, sie setzen das in hervorragender Art und Weise um, sich gerade den Kindern, die bisher nicht den Zugang hatten, zu öffnen und auch auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Wir können wirklich sagen, dass wir mit unserem Programm unsere Zielgruppe erreichen – nicht immer einfach, das will ich auch sagen – es ist eine Anstrengung, jemanden dafür zu gewinnen, aber es funktioniert sehr gut!
Frank Albers:
Ich möchte das nur unterstreichen und ergänzen, denn die Erfahrung, die wir auch gesammelt haben, wie wichtig es ist, die Strukturen in den Kultureinrichtungen zu ändern, Türen zu öffnen – ein super wichtiger Schritt – und der nächste ist dann eben: Wie kommen wir auf die ganz Kleinen zu, wie erreichen wir sie, wie führen wir sie an die Kultureinrichtungen heran? Da sind die Schulen zwar eine Möglichkeit, aber nicht die Einzige und möglicherweise nicht immer die Beste. Ein Beispiel, was ich anführen möchte – das wird auch in einem der Foren heute Nachmittag diskutiert – ein Modell, was wir an der Komischen Oper in Berlin fördern, wo man einfach ganz gezielt in die Stadtteile fährt, in die Kultureinrichtungen, und die Kinder und Jugendlichen dort abholt, wo sie einfach viel selbstverständlicher zuhause sind. Auch unabhängig von ihren schulischen Hierarchien auf eine Einrichtung zugehen können, weniger vorteilsbelastet in die Oper – was für viele super cool ist – und da funktioniert es. Das ist ein Besucher-Projekt, das sehr erfolgreich läuft – und die Kollegen werden das sicherlich heute Nachmittag noch erzählen – wo wir Zugänge finden, die außerhalb der Schule liegen, und die sehr wichtig sind. Diese Wege müssen wir, glaube ich, stärken und nicht nur eindimensional auf die Bildungseinrichtungen zugehen, die wichtig sind, aber eben auch nicht exklusiv als einziger Zugang dienen können. Moderation: Wie cool oder uncool Oper sein kann, erleben wir heute Abend bei der Produktion „Die gute Stadt“.
Jürgen Walter:
Wenn wir die erreichen wollen, die nicht schon durch ihr soziales Umfeld kulturelle Bildung von zu Hause mitbekommen, müssen wir tatsächlich in die Bildungseinrichtungen gehen, und deswegen haben wir jetzt über unsere BW-Stiftung ein Programm aufgelegt, wo man Geld bekommt, wenn eine Kulturinstitution mit einer Schule zusammenarbeitet – dabei kann die Kulturinstitution auf die Schule zugehen, oder umgekehrt. Wir wollen einfach, dass das verstärkt wird. Es gibt Beispiele in Ludwigsburg oder anderswo – wenn die Schülerinnen und Schüler mit Künstlerinnen und Künstlern in Verbindung kommen, das schafft ein ganz anderes Bewusstsein, die erklären Kunst einfach anders, als wir es jetzt alle tun. Ich habe da schon Beispiele erlebt, wie Achtjährige bei Beethoven auf den Stühlen stehen und Zugabe rufen, wie sie es vielleicht sonst nicht erleben. Aber das entsteht auch, weil sie vorher die Musiker kennengelernt und die ihnen Dinge erklärt haben. Das wollen wir in den nächsten Jahren verstärkt fördern, damit wir auch möglichst viele erreichen können!
Claudia Henne:
Ich habe eine letzte Frage. Frau Pfeiffer-Poensgen, es gab auf einem Kongress eine Studie „Mapping kulturelle Bildung“ vom Zentrum für Kulturforschung in Bonn/St.Augustin, da stellte sich heraus, dass das in der Bundesrepublik eine komplett unübersichtliche Lage ist. Da ich jetzt alle hier am Tisch habe, die sich auf den verschiedenen Ebenen mit ihren Programmen bemühen, Kultur für alle zu schaffen, wäre das was, das helfen würde, wenn man vielleicht dann doch mal genauer wüsste, wo überall was passiert und vielleicht auch voneinander lernt?
Isabel Pfeiffer-Poensgen:
Das ist immer gut! Trotzdem denke ich da eher praktisch. Ich finde, wir müssen jetzt an die Kultusministerkonferenz heran, da hakt es einfach – Herr Terkessidis hat es ja mehrfach zitiert. Dieses Papier zur kulturellen Bildung war schon ganz wunderbar, nur ziemlich unverbindlich. Der verbindliche Teil, den es in den Entwürfen durchaus auch gab, den mochten dann doch nicht alle unterschreiben. Das zeigt so ein bisschen das Problem: Wir müssen weg von diesen Sonntagsreden, die ich hier niemandem unterstelle, aber doch manchmal in der Öffentlichkeit beobachte. Wir brauchen ganz klare Strukturen in den Curricula, und da kann man sich ja – wie die KMK das zunehmend tut – über bestimmte Rahmen, über bestimmte Standards verständigen. So etwas hätte ich gerne für den ganzen Bereich der kulturellen Bildung, damit auch der einzelne Lehrer, der so etwas in seinem Land machen will, nicht mehr an die Grenzen des Kollegiums stößt, weil er im Grunde nur viel Unruhe produziert und alles durcheinander bringt. Damit solche Initiativen eben systematisch eingeordnet und für jede Schule möglich werden. Das „Mapping“ wäre sicher interessant, aber noch so eine Studie zu machen, wird wahrscheinlich wieder furchtbar viel Geld kosten. Das würde ich eigentlich lieber in andere Bahnen lenken. Wenn das eine wissenschaftliche Einrichtung – von der wir ja in Deutschland einige haben, die sich mit solchen Themen beschäftigen – auf sich nehmen will, wäre es sicher spannend. Aber ich finde, wir müssen das Praktische fokussieren, und das heißt: Kultur muss in den Schulalltag, in die Curricula systematisch und strukturell eingepflegt werden!
Claudia Henne:
Herr Walter, werden Sie dafür sorgen? Werden Sie der KMK ein bisschen mehr Dampf machen, damit es weitergeht und nicht so unverbindlich bleibt?
Jürgen Walter:
Ich bin schon damit beschäftigt, dass bei uns alles verbindlich wird … Wir haben immer Interesse daran, dass man auf Bundesebene die Themen voranbringt, aber wir haben Föderalismus und da kann man sich nicht immer einmischen in die Diskussionen, die geführt werden. In der KMK spielt die Kultur auch nicht die Rolle, die sie vielleicht irgendwann spielen sollte. Aber da arbeiten wir dran, und das Bewusstsein ist ja immerhin schon geschaffen, dass wir da entsprechende Diskussionen haben. Wenn man sich den Haushalt des Bundes anschaut, der ist natürlich sehr Berlin-lastig. Das ärgert ja viele in den Ländern, und das bringt natürlich dann auch nicht unbedingt was, da sagt dann auch jeder, wir sind eh auf uns alleine gestellt, es kommt zu wenig aus Berlin. Aber Sie haben ja vorher gefragt: Wollen Sie sich nicht einmischen? Wir nehmen immer sehr gerne Geld aus Berlin, auch das stinkt nicht. Aber da muss man noch Diskussionen führen, wir wissen aber natürlich, Berlin als Bundeshauptstadt braucht auch dementsprechend Förderung … Ansonsten ist es so dass – ehrlicherweise muss man sagen – jeder schon ein bisschen für sich selber kämpft, und wir waren auch die letzten Jahre sehr damit beschäftigt, das Finanzministerium davon zu überzeugen, dass wir viel Geld für die Kultur brauchen. Das ist uns zwar gelungen, aber da war meine Zeit schon ziemlich aufgebraucht.
Claudia Henne:
Also Kultur für alle schaffen ist vor allem auch ein Thema, bei dem etwas in der Politik, in der KMK, gebohrt werden muss, da kann man am Schluss eigentlich nur sagen: wacker weitermachen! – oder sehen Sie das anders? Ich bedanke mich herzlich bei Ihnen allen, vielen Dank, dass Sie da waren!