Romantische Schriften

Novalis, Stahlstich von Friedrich Eduard Eichens, 1845
Novalis, Stahlstich von Friedrich Eduard Eichens, 1845

Im Frankfurter Goethe-Haus befinden sich fast der gesamte Nachlass des romantischen Dichters Novalis sowie (Teil-)Nachlässe von Autoren der Romantik wie Clemens Brentano, Achim und Bettine von Arnim und Joseph von Eichendorff: Das Auftauchen einer unbekannten Handschrift von Friedrich von Hardenberg – besser bekannt als Novalis – zum Anfang des Romanfragments „Heinrich von Ofterdingen“ war eine Sensation – ein besonderer Glücksfall für das Freie Deutsche Hochstift, dass der Ankauf des kostbaren Entwurfs noch vor der Versteigerung in London gelang. Die Kulturstiftung der Länder, der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, die Fritz Thyssen Stiftung und das Kulturamt der Stadt Frankfurt a. M. unterstützten die Erwerbung.

Obgleich viel gelesen und analysiert, gibt Novalis’ „Heinrich von Ofterdingen“ der Literaturwissenschaft bis heute manches Rätsel auf. Insbesondere die Entstehung des ersten Teils des Haupt- und Schlüsselwerks der deutschen Frühromantik, das 1802 von Friedrich Schlegel und Ludwig Tieck aus dem Nachlass des Dichters herausgegeben worden war, liegt weitestgehend im Dunkeln. Der Fund auf dem internationalen Kunstmarkt erhellt nun Genese und Gestalt des Romananfangs: Das bisher unbekannte beidseitig beschriftete Blatt Novalis’ mit zwei einleitenden Sonetten und einem Entwurf des Titelblatts zeigt nicht nur die ersten tastenden Versuche des Dichters, in den Roman hineinzufinden. Neben vielen Formulierungsversuchen bestätigt die Handschrift auch, was andere Quellen bereits vermuten ließen: „Heinrich von Afterdingen“ sollte der Titelheld nach Novalis eigentlich heißen, doch die Herausgeber Schlegel und Tieck änderten den Namen in die historisch ebenfalls belegte Namensvariante „Ofterdingen“ ab. Und was im Erstdruck stand, sollte für die nachfolgenden Ausgaben verbindlich bleiben – bis heute.

Spannend ist auch die Provenienz des Blattes: Es war in ein Album montiert, das von der englischen Dichterin Hope Fairfax Taylor ab Weihnachten 1907 angelegt wurde. Dieses enthält vor allem nachgelassene Briefe und Visitenkarten, die an ihre 1867 verstorbene Großtante Sarah Austin geb. Taylor (1793–1867) gerichtet waren, die im 19. Jahrhundert als die kenntnisreichste Übersetzerin aus dem Deutschen bekannt war. Auch dieses Album konnte vom Freien Deutschen Hochstift erworben werden. Es enthält weitere kostbare Autographen, so etwa Briefe von Mendelssohn-Bartholdy und Hans Christian Andersen.

Weitere wertvolle Handschriften u. a. von Friedrich Schlegel, die hauptsächlich auf den Nachlass des Gründers der Deutschen Zentrumspartei Ernst Lieber zurückgehen und die sich als Leihgabe schon seit den 1960er Jahren in der Frankfurter Sammlung befinden, konnten jetzt ebenfalls vom Freien Deutschen Hochstift erworben werden: Ihr Glaube an die Kraft der Literatur hatte die Freundschaft zwischen Friedrich Schlegel und Novalis auf ein starkes Fundament gestellt: Die beiden frühromantischen Dichter strebten danach, geltende gesellschaftliche und literarische Konventionen aufzubrechen und sehnten sich nach einer „Romantisierung der Welt“. In den lebhaften Diskursen ihrer regelmäßigen Treffen entwickelten sie das Fragment zu einer spezifisch romantischen Literaturform. Überzeugt von der Bedeutung großer literarischer Werke wie der von Shakespeare, übersetzten die jungen Denker ausländische Schriften und trugen damit zur Verbreitung der Weltliteratur bei. Ihre Gedanken zu Philosophie, Religion, Geschichte und Literatur tauschten die Frühromantiker zudem in einem regen Briefwechsel aus, von dem nun 31 Briefe von Schlegel an Novalis aus den Jahren 1793 bis 1798 dauerhaft für das Freie Deutsche Hochstift gesichert wurden. Der Ankauf gelang mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Hessischen Kulturstiftung, des Kulturamts der Stadt Frankfurt am Main, der Rudolf-August Oetker-Stiftung, der Dr. Marschner Stiftung und der FAZIT-Stiftung sowie durch private Spenden.

Das Konvolut umfasst insgesamt 871 Handschriften aus dem Umkreis der deutschen Romantikbewegung, darunter 180 Seiten an Werknotizen Friedrich Schlegels aus den Jahren 1803–1823, in denen er aphoristische Gedanken u. a. zu Philosophie und Poesie zu Papier brachte. Ferner enthält die Sammlung Manuskripte und Briefe von und an Moritz Lieber, u. a. von seinem Studienfreund Clemens Brentano, der einer der Hauptvertreter der Heidelberger Romantik war. Die Sammlung der Handschriften des Freien Deutschen Hochstifts wird durch das Herzstück des Nachlasses – die Briefe von Schlegel an Novalis – komplettiert: Das Briefkonvolut bildet das Gegenstück zu 23 Briefen von Novalis an Schlegel (1793–1800), die bereits Ende der 1950er Jahre von der Forschungsinstitution erworben wurden. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist durch den Ankauf der Briefwechsel der beiden Dichter nun vollständig im Freien Deutschen Hochstift vorhanden.

Das Freie Deutsche Hochstift ist eines der ältesten Kulturinstitute Deutschlands. Es setzt sich unter anderem für die Sammlung und Edition literarischer Werke ein und beherbergt den weltweit größten Bestand an Handschriften der deutschen Romantik. Vom 28.1. bis zum 4.3.2012 werden die Werkhandschrift zum „Heinrich von Ofterdingen“ sowie ausgewählte Briefe und Werknotizen von Friedrich Schlegel aus der Sammlung Lieber im Frankfurter Goethe-Haus zu sehen sein.