Guter Humor und guter Vertrieb, die thun’s
Die Frage, wer war der eigentlich, dieser Wilhelm Busch (1832–1908), scheint leicht zu beantworten. Ein Bartträger. Ein Humorist. Ein Genie. Ein geselliger, fröhlicher Mensch. Ein starker Raucher und Trinker auch. Ein Künstler unter Künstlerfreunden. Er liebte es, in München mit den Malerfreunden Lenbach und von Kaulbach zu trinken, in Frankfurt lebte er bei der Bankiersgattin Johanna Keßler, die er vielleicht auch liebte. Zum Arbeiten aber kam er immer wieder zurück nach Niedersachsen. In Ruhe, Abgeschiedenheit und dem täglichen, dörflichen Gleichlauf entstanden seine Bilder, dichtete er, was heute zum deutschen Zitatenschatz gehört. Ein Einsiedler oder gar ein Menschenfeind war er deshalb nicht. Geliebt hat er, geheiratet nie – aber da beginnt sie bereits, die Unsicherheit. Denn preisgegeben hat er nicht viel von sich, alle Briefe, die er erhielt, verbrannte er. Geblieben ist das Werk eines begnadeten Zeichners und Geflügelte-Worte-Herstellers. Geblieben ist ein Unbekannter, der zwar viele Texte schrieb und doch seltsam fremd blieb. Erspart blieb ihm das Schlimmste, was einem Künstler passieren kann: das Vergessen.
Das ärgerte einen wie Heinrich Böll, der nicht gerade bekannt war für überbordenden Humor. Mit allem Ernst der Nachkriegszeit erklärte er die Liebe der Deutschen zu Wilhelm Busch zum „nationalen Unglück“. Wilhelm Busch, befand Böll, sei ein „Inhumaner“, der „sich selbst illustrierte, es ist der Humor der Schadenfreude, des Hämischen. […] Es ist die Spekulation auf das widerwärtige Lachen des Spießers, dem nichts heilig ist, nichts, und der nicht einmal intelligent genug ist, zu bemerken, dass er in seinem fürchterlichen Lachen sich selbst zu einem Nichts zerlacht“, ätzte Böll, der selten so wenig verstanden hat wie im Fall von Wilhelm Busch. Golo Mann setzte 1958 noch eins drauf und hielt Wilhelm Busch für einen „nur scheinbar heiteren, unergründlich boshaften, menschenfeindlichen Humoristen“.
War er das? Oder war er nicht viel mehr ein äußerst genauer Beobachter, der nicht moralinsauer kommentierte, was er erlebte, sondern bissig und gewandt zeichnete und formulierte, was er sah und gesehen hatte? Einer, der die Kinder mehr verstand als die egoistischen, brutalen, herzlosen Erwachsenen? Oder lässt sich „Max und Moritz“ nicht als Geschichte der Herzlosigkeit eines ganzen Dorfes lesen, das vor Mord nicht zurückschreckt, nur um seine Ruhe vor zwei kleinen Jungen und ihren Streichen zu haben? Auch die Eltern des „Eispeter“ sind wahre Monster, die ihr Kind widerspruchslos in die Kälte gehen lassen, während sie selbst am warmen Ofen sitzen und ihn, der zu Eis gefroren ist und zu einer Pfütze auftaut, in einen Topf füllen und ins Vorratsregal neben den Gurkentopf stellen. So etwas kann sich nur einer ausdenken, der das Leiden der Kinder an den Erwachsenen und deren Moral allzu gut kennt.
Horden von Interpretatoren haben sich an der Frage, wie Wilhelm Busch seine Witze und Geschichten wohl gemeint hat, abgearbeitet. Sie haben den besten Zeilen nichts von ihrem Witz, ihrer Eingängigkeit, ihrer Eleganz und mutig-gewitzten Gültigkeit genommen. Meist streiften die Interpretatoren sowieso nur die Oberfläche, denn ihren Deutungsversuchen hängt etwas allzu Schlüssiges an. So wird beispielsweise das Nicht-Verheiratet-Sein des Künstlers oft ganz im Zusammenhang mit seinen elternlosen Kinderfiguren gesehen.
„Wir können ihm nahe kommen, dürfen ihm aber nicht auf den Pelz rücken“, schreibt Gudrun Schury in ihrer großen Biographie aus dem Jahr 2010. Diese neue Lässigkeit beim Betrachten und Bewerten von Künstlerbiographien mag eine Modeerscheinung sein. Sie gehört jedoch zu den sympathischen Moden, denen man gern folgt. Vor allem in Bezug auf Wilhelm Busch, der weder in die Schublade vom verarmten noch vom unerkannten Genie passt. Ebensowenig wie in die Kategorie der viel geliebten Selbstdarsteller. Als der Künstlerkollege und Schriftsteller Eduard Daelen 1886 etwas „Über Wilhelm Busch und seine Bedeutung“ veröffentlichte, schäumte der Beschriebene so sehr, dass sich zu seinen Lebzeiten niemand mehr an dieses Thema herantraute.
Seinen Figuren und Texten dagegen wünschte er die größtmögliche Öffentlichkeit. Verleger Otto Bassermann erhielt 1872 folgende Anweisungen: „Schön, dass die Helene so emsig umworben wird! – Was Rezensionen anbelangt, so muss ich Dir wiederholentlich bekennen, dass derartige Sachen nicht rezensirt sein sollen und wollen. Sie sind bislang nicht dadurch gefördert, weder künstlerisch noch buchhändlerisch, und werden auch künftighin nicht dadurch gefördert werden. Guter Humor und guter Vertrieb, die thun’s.“
Wer die eigene Armut hochschätzt, rümpfe an dieser Stelle gern die Nase. Denn auch wenn sich traditionell eine ganze Denkrichtung darauf gründet, dass es gut sei für Künstler, wenn sie arm sind, war und ist die Vorstellung vom armen Genie zynisch. Auch im Fall von Wilhelm Busch, der so gern Maler geworden wäre, doch mit seinen Vorstellungen von Malerei so wenig Geld verdienen konnte, dass er zeichnen musste.
Vielleicht wäre er ein großartiger Maler geworden, niemand kann es wissen – er selbst sah nur, dass es ihm nicht in höchster Qualität gelang. Eine bittere Erkenntnis für einen, der sein Leben lang malte und dessen Erweckungserlebnis Antwerpen und die alten Meister waren. „In dieser kunstberühmten Stadt sah ich zum ersten Male die Werke alter Meister: Rubens, Brouwer, Teniers, Frans Hals. Ihre göttliche Leichtigkeit der Darstellung malerischer Einfälle, verbunden mit stofflich juwelenhaftem Reiz; diese Unbefangenheit eines guten Gewissens, welches nichts zu vertuschen braucht; diese Farbenmusik, worin man alle Stimmen klar durchhört, vom Grundbaß herauf; haben für immer meine Liebe und Bewunderung gewonnen“, schrieb Busch, dessen rund 1.000 oft kleine Gemälde weitgehend im Verborgenen entstanden. Zum Glück.
Denn zum Glück gehen nicht alle Wünsche in Erfüllung. Zum Glück für die Anderen. Hätte Wilhelm Busch einen gefunden, der seine Malerei fördert, er hätte wohl nicht gezeichnet. Es gäbe weder Max und Moritz, noch Lobgesänge auf das „liebe Federvieh“ und keine rechte Erklärung für die Verheiratung einer jungen Frau, wie sie im siebenten Kapitel der „Frommen Helene“ so überzeugend dahergereimt wird:
„Ratsam ist und bleibt es immer / Für ein junges Frauenzimmer, / Einen Mann sich zu erwählen / Und womöglich zu vermählen.
Erstens will es so der Brauch. / Zweitens will man’s selber auch. / Drittens: man bedarf der Leitung / Und der männlichen Begleitung;
Weil bekanntlich manche Sachen, / Welche große Freude machen, / Mädchen nicht allein verstehn; / Als da ist: ins Wirtshaus gehn.“
Das sahen schon die Münchner Malerfreunde Lenbach und von Kaulbach so, die von ihm Unterhaltung und Bildergeschichten wünschten, keine Bilder. Die malten sie schon selbst – und besser. Robert Gernhardt, einer der großen Bewunderer von Wilhelm Busch, versuchte, Busch vor den Zurichtungen der Interpretatoren zu schützen und würdigte ihn als das, was er war: ein großartiger Zeichner und Humorist im besten Sinn. Gnadenlos gegen jedermann, bösartig, punktgenau und ebenso seiner Zeit verhaftet wie über sie hinausweisend. Gernhardt schrieb 1980 in einem Text für den Spiegel: „Ja, sicher. Busch malte auch. Flott, fetzig, soßig, in der Nachfolge der von ihm bewunderten Niederländer Hals, Brouwer und Teniers. Die gebildeteren unter den Busch-Liebhabern werden nicht müde, gerade den Maler Busch besonders herauszustreichen. Als ob seine Malerei den Komiker Busch adeln oder zumindest entschuldigen könne.“ Deshalb gilt noch immer, wie er zu Beginn des vierten Streichs von „Max und Moritz“ reimte: „Also lautet ein Beschluss: Dass der Mensch was lernen muss.“
Zum Beispiel über die Wirkung von Wilhelm Busch. Als er starb am 9. Januar 1908 – als Millionär übrigens – dauerte es neun Tage, bis ein erster Nachruf erschien. Und der würdigte ihn weder als Dichter noch als Künstler, sondern als Klassiker. Seinen Nachruf hatte sich Wilhelm Busch sowieso schon selbst und besser, heiterer und voller Optimismus geschrieben. „So stehe ich denn tief unten an der Schattenseite des Berges. Aber ich bin nicht grämlich geworden; sondern wohlgemut, halb schmunzelnd, halb gerührt, höre ich das fröhliche Lachen von anderseits her, wo die Jugend im Sonnenschein nachrückt und hoffnungsfreudig nach oben strebt.“ Mit diesen Sätzen schließt Wilhelm Buschs autobiographischer Text „Von mir über mich“.
Die im Sonnenschein nachrückende Jugend lacht in der Tat noch immer über seine Schöpfungen. Dass mancher Nachfolger sich bewusst abgewendet hat, kann man ihm nicht verdenken. Zu groß die Perfektion des Wilhelm Busch, zu klein der Platz neben ihm. Denn die Virtuosität, mit der er zeichnete und diese Bilder mit gereimten Weisheiten verband, ist einmalig bis auf den heutigen Tag. Mühelos meistert er jede noch so komplizierte perspektivische Aufgabe, zeichnete mit einem Strich, dessen Präzision und Beweglichkeit frappierend ist, ebenso wie er auf alles reimen konnte.
Für den Illustrator und Autor Nikolaus Heidelbach, Jahrgang 1955, ist Busch aus diesem Grund beängstigend. Beängstigend genial und unerreichbar in seiner Doppelbegabung. Deshalb denkt er manchmal, in dunklen Stunden fehlender Inspiration: „Busch reicht!“ Und macht weiter – fern von Busch und sich immer an ihm messend. Hans Traxler sagte 2007 in einem Interview: „Alle Zeichner dieser Welt nähern sich Busch nur auf den Knien.“
Von denen sind vor allem junge Comiczeichner, die ihre Vorbilder in Amerika und Frankreich gefunden haben, längst wieder aufgestanden. Auch Felix Görmann, als Comiczeichner „Der Flix“ genannt. „Busch ist zu weit weg von dem, was Comics heute sind“, sagt Görmann. Gelesen hat er ihn trotzdem – allerdings das letzte Mal als Kind. Sein Interesse gilt dem Maler Wilhelm Busch. Görmann, der sich auch als Schriftsteller versucht und als „normaler“ Zeichner, gefällt, dass sich Busch, wie er selbst, auf verschiedenen Gebieten ausprobierte.
Jede Generation nimmt sich eben, was sie braucht. Und so rufen jede Woche die Redenschreiber der Wichtigen und der Mächtigen bei Ruth Brunngraber-Malottke im Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst in Hannover an, um nach originellen Zitaten zu fragen. Denn Wilhelm Busch hat doch zu allem etwas Humorvoll-Freches, Tiefsinniges, gut Zitierbares geschrieben. „Hat er nicht“, sagt Brunngraber-Malottke. Vor allem stammt der „Mümmelgreis“, ein Text über die Beschwerden alter Männer, nicht von ihm. Wer das nicht weiß und danach im Museum fragt – und das passiert zwei Mal im Monat – bekommt einen standardisierten Antwortbrief.