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Drei kurze Statements aus dem späteren Interview:
• Ich vergleiche den Begriff der Wikinger mit unserem heutigen Begriff der Hooligans.
• Die Nazis haben eine Rassenideologie aufgebaut und in dieser Rassenideologie spielten die Wikinger eine große Rolle.
• Richard Wagners Ring des Nibelungen bedient sich der nordischen Mythologie sehr stark. Und tatsächlich hat der Kostümbildner sich da was Besonderes einfallen lassen. Und seitdem kämpfen wir gegen diese Hörnerhelme.
Teaser: Ein Podcast von der Kulturstiftung der Länder.
Interviewer:
Herzlich willkommen zu dieser Podcastfolge mit einem weiteren Ausstellungstipp, in dem es um Wikinger geht. Und bei denen handelt es sich, so der weit verbreitete Mythos, um ein Volk von hochgewachsenen, blonden Wilden, die aus Schädeln tranken, mit Hörnern besetzte Helme trugen und besonders grausam waren. Das Landesmuseum Schleswig-Holstein widmet sich jetzt in Schloss Gottorf in Schleswig mit einer von der Kulturstiftung der Länder geförderten Ausstellung diesem Thema. Über die Ausstellung „Wikingerdämmerung. Zeitenwende im Norden“ spreche ich mit dem dortigen Direktor, Herrn Dr. Ralf Bleile. Ich grüße Sie.
Dr. Ralf Bleile:
Ich grüße Sie, Herr Moek.
Interviewer:
Das, was ich gerade über die Wikinger gesagt habe, das war ja schon zugegebenermaßen ein wenig provokativ. Wie viel war denn daran falsch?
Dr. Ralf Bleile:
Daran war eine ganze Menge falsch. Zuallererst, dass Wikinger eine Etnie seien. Das ist nicht richtig. Wir sprechen von einer skandinavischen Gesellschaft, die die späteren Königreiche Dänemark, Schweden, Norwegen bevölkerte und auch das heutige Schleswig-Holstein, die sich selbst nicht als Wikinger bezeichneten und die man auch in ihrer Gesamtheit nicht als Wikinger bezeichnen kann. Denn der Begriff Wikinger ist eher eine Tätigkeit als Bezeichnung. Auf keinen Fall eine Ethnie, aber auch keine Berufsbezeichnung, wie zum Beispiel Seeräuber im Mittelalter vielleicht solche gewesen sein mögen. Ich vergleiche den Begriff der Wikinger mit unserem heutigen Begriff der Hooligans, die wir auch für Menschen verwenden, die zu einer ganz bestimmten Zeit an einem ganz bestimmten Ort etwas tun, aber ansonsten ein ganz anderes Leben führen. Und bei den Wikingern war das auch so. Wir kennen diese Viking-Fahrten, das sind Fahrten übers Meer, die von Königen von ihren Gefolgsleuten, von Händlern, Handwerkern, Bauern – vielleicht mögen auch Frauen dabei gewesen sein – in gewisser Regelmäßigkeit in einem bestimmten Zeitraum stattgefunden haben. Aber ansonsten waren diese Menschen eben das, was sie in ihrer Gesellschaft sonst waren oder sogar hauptsächlich waren.
Interviewer:
Ich hatte ja in der vergangenen Woche das Glück, an Ihrer Führung durch die Ausstellung teilnehmen zu dürfen. Und mich hat unter anderem fasziniert, wie im Nationalsozialismus diese Klischees nochmals erweitert wurden, und zwar von der pseudowissenschaftlichen SS-Organisation „Ahnenerbe“, deren Aufgabe es war, eine vermeintlich germanische Vergangenheit ideologisch zu verklären.
Dr. Ralf Bleile:
Ja, das ist richtig. Wir haben es ja schon im 19. Jahrhundert, in der Zeit der Romantik und der Nationalbewegung mit einer Verklärung zu tun. Und die Nazis haben dann im 20. Jahrhundert eine Rassenideologie aufgebaut. Und in dieser Rassenideologie spielte die Wikingerzeit, spielte das frühe Mittelalter und spielten die Wikinger eine große Rolle. Sie wurden dort sublimiert unter dem Begriff der Germanen, den wir wissenschaftlich in der Archäologie tatsächlich nur für die Bevölkerungsgruppen verwenden, die Tacitus so nennt. Da sind wir also in den ersten vier Jahrhunderten nach Christus, da sprechen wir von Germanen, weder davor noch danach. Und die Nazis haben das ganz anders gemacht. Für die Nazis gab es die arische Rasse, war irgendwie alles Germanen, von der Bronzezeit bis ins Mittelalter hinein. Und da spielten natürlich die abenteuerlustigen Seeräuber, die Wikinger nach ihrer Definition, eine große Rolle. Und wir sehen das auch in unserem eigenen Haus, in unserem eigenen Museum, einer meiner Vorgänger war Herbert Jankuhn, der in den 1950er Jahren, in den frühen 50er-Jahren, Direktor des Museums Vaterländischer Altertümer war. So hießen wir damals noch und waren auch noch in Kiel verortet. Und er hat seit 1932 Haithabu ausgegraben und konnte das dann seit 1938 bis zum Kriegsbeginn 39 mit viel mehr Mitteln machen, weil das Ahnenerbe, protegiert auch von Heinrich Himmler, die Grabung übernommen hatte, weil genau diese Rassenpropaganda dort eine Rolle spielte. Und Jahnkuhn hat das bedient, wohlwollend bedient. Er war ja sehr früh Mitglied der NSDAP, sehr früh Mitglied der SS, auch der Waffen-SS, und hat ein Buch rausgebracht, was sich großer Beliebtheit erfreute. Das hieß dann „Haithabu, eine germanische Stadt der Frühzeit“. Da sieht man schon das Programm, was dahintersteckte. Und ja, in unserer Ausstellung arbeiten wir auch diese Institutsgeschichte ein gutes Stück auf und beschäftigen uns auch mit diesem für uns recht dunklen Kapitel.
Interviewer:
Und wie man bei Ihnen in der Ausstellung lernen kann: Die Hörner, die die Wikinger auf ihren Helmen hatten, die wurden tatsächlich erst 1876 erfunden.
Dr. Ralf Bleile:
Das stimmt. Wir sind ja in der Zeit der Romantik, in der auch die Wikingerzeit als Begriff von den Pionieren der archäologischen Wissenschaften erfunden wird. Das hängt mit den schriftlichen Nachrichten über sie zusammen, die aus dem Kontinent und dem angelsächsischen Gebiet aus von den Wikingerüberfällen überliefert sind. Die Skandinavier selbst haben uns ja dazu gar keine Quellen hinterlassen. Da entsteht die Wikingerzeit, und in der Zeit der Romantik macht man sich Gedanken über die nordischen Götter, über eine andere Welt als die Christliche. Man macht sich Gedanken über Traditionen und Werte, die man in der Vergangenheit für die eigene Nation heraufbeschwört. Und da ist die Kunst nicht frei. Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ bedient sich der nordischen Mythologie sehr stark. Das sieht man in der Uraufführung, 1876 ist das sehr deutlich zum Ausdruck gekommen. Und tatsächlich hat der Kostümbildner sich da was Besonderes einfallen lassen und die die Protagonisten trugen Helme, wie sie verschiedene Waffen trugen. Und auf diesen Helmen hat er diese Hörner platziert. Das erfreute sich dann riesig großer Beliebtheit. Und seitdem kämpfen wir gegen diese Hörnerhelme, denn die gab es in der Ur- und Frühgeschichte zu verschiedenen Zeiten, allerdings mit anderen Hörnern, mit anderen Darstellungen. Und das geht dann so fließend über von Maske zu Helm. Tatsächlich haben wir für die Wikingerzeit selbst aber keine Nachweise, dass da mit solchen Helmen gekämpft worden wäre. Das sind, glaube ich, eher Objekte, die man sich im rituellen Kontext vorstellen kann.
Interviewer:
Jetzt haben Sie im bisherigen Verlauf unseres Gesprächs schon mit dem einen oder anderen Klischee aufgeräumt. Mein Eindruck war tatsächlich, dass man an jeder Station in Ihrer Ausstellung um noch ein Vorurteil oder eine Illusion ärmer wird. Was bleibt denn am Ende übrig? Oder anders gefragt: Wer genau oder was waren denn die Wikinger?
Dr. Ralf Bleile:
Also es bleibt schon einiges übrig. Es bleibt übrig, dass sie, dass sie gewiefte Bootsbauer waren, dass sie hervorragende Seeleute waren und dass sie exzellente Handwerker waren, die bereits im frühen Mittelalter spezialisierte Handwerke zur Anwendung gebracht haben. Dass sie ein unglaublich weites Handelsnetz unterhalten haben und speziell auch im Schiffbau schon im zehnten Jahrhundert Handelsschiffe entwickelt haben, die sich von den Kriegsschiffen, mit denen man auch auf Viking-Fahrten ging, deutlich unterschieden haben, sowohl in der Konstruktion als auch in der Besatzung. Wir sehen also diese kriegerische Welt, die im Mittelalter auch auf dem Kontinent zu beobachten ist. Wir sehen dass diese Überfälle, die in der Art und Weise, wie sie durch die Skandinavier umgesetzt wurden, tatsächlich ein Novum waren und etwas Besonderes waren. Wir sehen aber auch diesen großräumigen Handelskontakt, der, der von Byzanz bis nach Grönland reichte, den Kontinent umfasste, England, natürlich Irland. Und wir sehen dieses weit entwickelte Handwerk, insbesondere die Metallverarbeitung, die im frühen Mittelalter in Skandinavien zu einer großen Blüte gelangte. Wir sehen die kunstvollen Verzierungen, wir sehen die Stile, wie wir es archäologisch heute nennen. Das bleibt alles übrig. Davon ist nichts verschwunden. Nur die Dinge, die vor allem im 19. Jahrhundert mit dem Begriff Wikinger in Verbindung gebracht wurden, der romantische Blick in die Geschichte oder der nationalistische Blick in die Geschichte oder eben jener aus der Zeit des 20. Jahrhunderts, die wir mit dem Nationalsozialismus in Verbindung bringen müssen. Der rassistische Blick in die Geschichte, das zerstören wir in unserer Ausstellung. Davon bleibt tatsächlich nicht viel übrig.
Interviewer:
Ihr Ausstellungstitel spricht er von der Wikinger Dämmerung und von einer Zeitenwende. Von wann bis wann war denn die Wikingerzeit?
Dr. Ralf Bleile:
Die Wikingerzeit ist definiert als der Zeitabschnitt von 793. Das ist der Überfall auf das Kloster Lindisfarne. Das ist einer der ersten Viking-Überfälle, die es gegeben hat. Nicht der erste, aber einer der ersten ist 1066. Im Jahr 1066 wird Haithabu, die bedeutendste Stadt ganz Nordeuropas, der zentrale Handelsplatz der Skandinavier, hier im inneren Ende der Schlei zerstört. Das ist ein definiertes Ende. Und Wilhelm, Herzog der Normandie, erobert England, und das ist ebenfalls im Jahr 1066 und ist ebenfalls ein definiertes Ende der Wikingerzeit. Wir gehen in unserer Ausstellung der Frage nach, ob dieses Jahr 1066 eine Zeitenwende markiert, in der tatsächlich in kurzer Zeit viel Neues passiert, viel Altes über Bord geworfen wird oder ob es sich eher um Dämmerung handelt, das heißt, es transformiert. Transformieren sich Entwicklungen bereits in den Jahrhunderten davor und noch in den Jahrhunderten danach.
Interviewer:
Sie haben es gerade schon angesprochen: Haithabu, eine der wichtigsten Siedlungen in Nordeuropa oder die wichtigste im frühen Mittelalter, liegt ja direkt bei Ihnen vor der Tür. Deswegen ist eine Ausstellung über die Wikinger in Schleswig ja irgendwo naheliegend. Aber wie sind Sie in diesem Fall dazu gekommen, diese Ausstellung zu machen? Und können Sie sich noch erinnern, wann Sie die Idee dazu hatten?
Dr. Ralf Bleile:
Die Idee der Ausstellung geht zurück auf ein Forschungsprojekt, das wir gemeinsam mit der Christian Albrechts Universität durchgeführt haben. Da ging es uns genau um die Frage Wie kommt es zu dem zu dem Ortswechsel von Haithabu nach Schleswig? Das war in der Forschung schon lange eine Frage, und es gab unterschiedliche Theorien, dass Haithabu schon viel früher im Niedergehen begriffen war, schon vor 1066 und Schleswig schon früher entstand und es ein allmählicher Übergang war. Es gab die Theorie, dass das, dass es bestimmte Infrastrukturen bereits am Nordufer gab, wie zum Beispiel die Kirche Ansgar oder auch die Pfalz des dänischen Königs, diesen Theorien sind wir nachgegangen und haben herausgefunden, dass es tatsächlich ein sehr abrupte Zeitenwende gab. Haithabu blühte bis 1066 und Schleswig entstand, soweit es archäologisch bislang nachweisbar ist, auch tatsächlich erst danach. Und aus den schriftlichen Quellen wissen wir ja, dass Haithabu immer auch Schleswig genannt wurde und Schleswig dann auch weiterhin immer noch Haithabu genannt wird. Es ist im Grunde ein Ort Haithabu/Schleswig im Inneren Ende der Schlei, der über mehr als vier Jahrhunderte in Nordeuropa eine zentrale Rolle, wenn nicht die zentrale Rolle als Warenumschlagplatz gespielt hat. Aber es gibt eben einige Komponenten, die sich ändern, wie der starke Blick in Richtung Osten, über die Ostsee nach Nowgorod von Schleswig aus oder eben auch von von Haithabu aus. Der starke Blick in Richtung England. Das sind Sachen, die wir herausgefunden haben. Das wollten wir in der Ausstellung gerne, der Öffentlichkeit präsentieren. In der Zwischenzeit sind weitere Forschungsprojekte hinzugekommen: ein Forschungsprojekt, das sich mit den skandinavischen Königen im Frühmittelalter beschäftigt hat und das im Zentrum für baltische und skandinavische Archäologie entwickelt worden war. Dieses Zentrum für baltische und skandinavische Archäologie ist inzwischen im Leibniz-Zentrum für Archäologie Mainz aufgegangen, und wir haben uns sehr darüber gefreut, dass das Leibniz-Zentrum für Archäologie, unser Hauptpartner bei der Entwicklung dieser Sonderausstellung geworden ist. Gemeinsam haben die Stiftung Landesmuseum Schloss Gottorf und das Leibniz-Zentrum für Archäologie in Mainz die Ausstellung entwickelt. Und letztlich kam noch ein Dissertationsprojekt hinzu, das an der Universität Göttingen zu Hause ist und in diesem Projekt geht es um die Rezeption des Wikingerbegriffs und des Begriffs der Wikingerzeit. Und dieses Forschungsprojekt verleiht unserer Ausstellung ein Alleinstellungsmerkmal. Denn Sonderausstellungen zur Wikingerzeit haben bisher sich in dieser Breite und Tiefe mit der Rezeption nicht beschäftigt.
Interviewer:
Mich würde noch interessieren, was denn Ihr Lieblingsexponat ist. Ich habe so ein Verdacht, weil ich ja bei der Führung dabei war. Welches ist es denn?
Dr. Ralf Bleile:
Mein Lieblings Exponat ist tatsächlich kein originales, sondern es ist der Nachdruck des Teppichs von Bayeux. Bei meiner letzten Dienstreise vor Corona war ich im Februar 2020 mit einem Kollegen, unserem Chefkurator, in Bayeux, und wir haben dort Leihgaben verhandelt, weil ja Herbert Jankuhn auch mit dem SS-Ahnenerbe 41 in Bayeux war und den Teppich untersucht hat. Das wollten wir auch gerne mit darstellen und diese Propaganda auch mit erläutern, die dort dahintergestanden hat. Und dort konnten wir es vereinbaren, dass wir das Recht bekommen, den Teppich nahezu eins zu eins komplett zu reproduzieren als Nachdruck. Und das haben wir gemacht und das ist wirklich sehr, sehr beeindruckend, das einmal zu sehen, diese Detailtreue auf der einen Seite, dieses gigantische Werk von acht über 68 Meter Länge auf der anderen Seite und sich die einzelnen Phasen anzugucken, die in dem Teppich thematisiert werden. Und dann wirklich zu verstehen. Die Schlacht von Hastings ist nur ein kleiner Teil. Die ganze Vorgeschichte, die die Rechtmäßigkeit des Vorgehens Wilhelms zum Ausdruck bringt, ein viel größerer. Und das da freue ich mich sehr darüber, dass wir das hier einmal bei uns darstellen durften und darstellen konnten. Und das ist für mich das absolute Highlight bei allen Schätzen, die wir zeigen. Tatsächlich ja einige Schatzfunde der Wikingerzeit, die in den letzten Jahren aus der Erde gekommen sind. Aber da bin ich so ein bisschen verliebt in den Teppich.
Interviewer:
„Wikingerdämmerung. Zeitenwende Im Norden“ heißt die Ausstellung auf der Museumsinsel Schloss Gottorf in Schleswig. Und die läuft noch bis zum 2. November 2025. Weitere Ausstellungstipps dieser Art von der Kulturstiftung der Länder finden Sie auf YouTube, iTunes und Spotify und eine Übersicht auf unserer Webseite kulturstiftung.de und dort unter Media. Mein Name ist Hans-Georg Moek. Und Ihnen, Herr Dr. Bleile, danke ich ganz herzlich für diese Einführung in die Ausstellung.
Dr. Ralf Bleile:
Ich danke Ihnen.
In diesem Podcast mit Dr. Ralf Bleile, Direktor des Museums für Archäologie Schloss Gottorf in Schleswig, geht es um die Ausstellung „Wikingerdämmerung. Zeitenwende im Norden“. Im Gespräch mit Hans-Georg Moek spricht er über Fragen wie „Wer waren die Wikinger?“ oder „Von wann bis wann reichte die Wikingerzeit?“. Viele Klischees über die Wikinger sind in der Zeit der Nationalromantik und später im Nationalsozialismus entstanden, in dem die Wikinger Teil einer pseudowissenschaftlichen Vereinnahmung in eine vermeintlich „germanische“ Geschichte wurden.
Wikingerdämmerung. Zeitenwende im Norden
16. April – 2. November 2025
Museumsinsel Schloss Gottorf
Schloßinsel 1, 24837 Schleswig
Öffnungszeiten: Dienstag – Freitag 11–16 Uhr, Samstag – Sonntag 11–17 Uhr