Etikett(e): Politisch
Zur Eröffnung der diesjährigen Art Basel rollte das mit 40.000 Vollmantelgeschossen gespickte Kunstwerk „Death Ball II“ (2017/2018) durch die Medien: Die dpa-Meldung verkündete mit Verweis auf dieses Werk Robert Longos (*1953) den Trend „repolitisierte Kunst und Verkäufe in Millionenhöhe“. Tausende von Projektilen stecken in dem großen, von der Decke hängenden Ball. Er ist mehr als doppelt so groß wie der erste „Death Ball“ des New Yorker Künstlers, Zeichen der ansteigenden Zahl an Amokläufen in den USA. Die Objektbeschreibung der Galerie spricht von einer „aggressiven, provokanten Oberfläche“. Sie sieht den Betrachtenden gezwungen, sich mit den grundlegenden Ursachen dieses, unsere Gesellschaft immer mehr einnehmenden Schreckens auseinanderzusetzen.
Auch Andreas Beitin, Direktor des Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen, beginnt seine Führung mit den Stipendiatinnen des Jungen Freundeskreises der Kulturstiftung der Länder in dem schwarzen Raum, den das Kugel-Werk dominiert. Ringsherum Messebesucher, die ihre Smartphone-Kameras auf das Objekt richten. Sein fachliches Interesse gelte politischer Kunst, erklärt der Museumsdirektor den fünf Volontärinnen, denen der Junge Freundeskreis den Besuch ermöglicht. Entsprechend seien die Positionen ausgewählt, die er heute hier auf dem Unlimited-Sektor vorstelle – dem kuratierten Teil der Messe, auf dem der US-amerikanische Ausstellungsmacher Gianni Jetzer großformatige Kunst präsentiert. Zu Robert Longos Arbeit erklärt Beitin, dass zwanzig Prozent des Kaufpreises an ein Projekt für sicheren Waffengebrauch gingen, „Everytown for Gun Safety“. 300.000 Euro sind es schließlich geworden, denn das zwei Tonnen schwere Objekt wurde bereits am ersten Messetag für 1,5 Millionen Euro verkauft. Mit einem Seitenblick auf die fotografierenden Menschen fragt Beitin: „Ob das Ganze nun wirklich politisch …“ oder „einfach nur eine Form von Ästhetisierung ist?“ ergänzt Britta Kaiser-Schuster, Dezernentin der Kulturstiftung der Länder.
Wie wichtig das Schreiben über die zum Verkauf ausgestellte Kunst sei, merkt Stephanie Götsch, Volontärin des Kunstmuseums Wolfsburg, an: „Die Kunstkritik spielt da eine wichtige Rolle. Sie entscheidet darüber, welche Positionen sichtbar werden. Es ist besorgniserregend, wie sich der Kunstmarkt widerständige und kritische Positionen aneignet, stets um vermeintliche Relevanz bemüht.“ Das wird deutlich aus den Gesprächen, die die jungen Museumsmitarbeiterinnen mit verschiedenen Galeristen führen. In der Koje von Sies + Höke zum Beispiel, zu der Reinhard Spieler, Direktor des Sprengel Museums, während seiner Führung den Weg durch die vielen Messegäste bahnt. Alexander Sies, der die Galerie gemeinsam mit Nina Höke in Düsseldorf führt, betont die politische Komponente der gezeigten Positionen von Julian Charrière (*1987): großformatige Fotografie aus der Serie „An Invitation to Disappear“ (2016), die das schwarze Profil von Palmen vor farbintensiven Hintergründen zeigen. Es fallen die Stichworte „Raubbau“, „Palmöl“, „Regenwald-Rodung“. Und „Rave“: Die Bilder muten wie eine nebelmaschinen-reiche Technoparty im Palmenhain an.
Gespräche, das stellten alle Volontärinnen während ihres dreitägigen Aufenthalts auf der Messe fest, sind das Öl im der Maschinerie des Kunstmarkts. Diese erleben sie hier auf Hochtouren: „Die Umtriebigkeit und Aktivität des Kunstmarktes ist jederzeit und allerorts wahrnehmbar“, bemerkt Sonja Wunderlich aus dem Ludwig Forum in Aachen. Stephanie Regenbrecht, Volontärin der Deichtorhallen Hamburg, beschreibt das Markttreiben „als gesprächsintensive Arbeit und Vermittlung, als Netzwerk zwischen Kunstwerk, Künstler, Galerist, Museumsprofi und vielen weiteren Akteuren des Kunstfeldes“. Ihre Kollegin aus Aachen ergänzt, dass die Gespräche an den Ständen, auf den Gängen, im Hof „das Gefühl vermitteln, jeder kenne jeden. Es ist sowohl eine in sich geschlossene als auch eine bestens vernetzte und untereinander gut bekannte Szene. Diese zum Teil deutliche Geschlossenheit macht es schwer, von außen einen direkten Einblick in die Marktmechanismen zu erhalten“.
Doch ein paar Themen, die in der Szene kursieren, sind allgegenwärtig: die hohen Kosten, die eine Messeteilnahme den Galerien abverlangt, und die Krise, in der sich die sogenannten mid-sized galleries befinden. Das sind Galerien, um die der „erste Hype“ abgeklungen ist, die den Status „hot shit“ verloren haben, erklärt die Kunstsammlerin und Zuständige für VIP-Relations Karen Boros im Gespräch mit den Volontärinnen. „Die anfallenden Teilnahmekosten (50.000 bis 60.000 Euro) können in der Regel nicht von kleineren oder jüngeren Galerien aufgebracht werden und bewirken somit eine gewisse Stetigkeit hinsichtlich der teilnehmenden Galerien und präsentierten Positionen auf der Messe“, stellt Kati Renner von der Berlinischen Galerie fest. „Auch das Auswahlverfahren ist kritisch zu hinterfragen“, findet Renner. „Hier entscheidet ein aus unterschiedlichen internationalen Galeristinnen und Galeristen bestehendes Selection Committee über die Teilnahme ihrer Kolleginnen und Kollegen.“
Eine Kunstmessen-Politik der anderen Art stellt Jacqueline Uhlmann, Verantwortliche für Messeleitung und Kommunikation der LISTE, den Volontärinnen vor: Keinen Kilometer von der Art Basel entfernt, zeigt die weltweit führende Förderer- und Entdeckermesse im alten Gebäude der Warteck-Brauerei junge, noch weniger etablierte Galerien. 1995 kontaktierte die österreichische Galeristin Eva Presenhuber gemeinsam mit ihrem Kollegen Peter Kilchmann den Ausstellungsmacher Peter Bläuer mit der Idee, eine Messe für die neuen Gesichter im Kunstmarkt zu schaffen. Unter der Leitung von Bläuer stellten schon im nächsten Jahr 36 Galerien aus 12 Ländern auf der ersten LISTE aus. Während der Art Basel-Direktor Marc Spiegler im Interview mit Monopol betont, dass „die Art Basel als Unternehmen profitabel sein“ muss, wird auf der LISTE deutlich gemacht: Hier geht es um die Förderung von Kunstschaffenden und Galerien. Die Standpreise s ind gestaffelt, von 7.000 Schweizer Franken im ersten Jahr der Teilnahme bis zu maximal 12.000 Schweizer Franken, und eine Jury aus Kuratierenden und Kunstschaffenden wählt aus den internationalen Bewerbungen aus. Ein Erfolgskonzept: LISTE-Teilnehmer der ersten Ausgabe, wie zum Beispiel David Zwirner und Neugerriemschneider, oder auch die Ideengeberin Presenhuber selbst, sind zu den Größ(t)en des Kunstmarkts geworden. Die Galerie Neugerriemschneider, nur zwei Jahre vor der ersten LISTE 1994 in Berlin gegründet, vertritt zeitgenössische Künstler wie Ai Weiwei, Ólafur Elíasson und Tobias Rehberger – und vertreibt deren Positionen inzwischen auf der Art Basel. Drei Jahre alt war die Galerie David Zwirners, als der Sohn des deutschen Kunsthändlers und Galeristen Rudolf Zwirner 1996 seine Werke aus der New Yorker Galerie in Basel zeigte. Heute präsentiert Zwirner seine Werke in einer der prominentesten Kojen der Art Basel: Während großformatige Fotografien von Wolfgang Tillmanns und Stan Douglas die Außenseiten schmücken, hängen im Inneren des Standes Werke von Donald Judd.
Fünf Volontärinnen drei Tage auf zwei Messen in Basel: Der Junge Freundeskreis bietet den Museumsmitarbeiterinnen einen intensiven Einblick in den Kunstmarkt. Die vibrierende, bunte Vielfalt an zeitgenössischer Kunst, zuverlässigen Bestsellern der Moderne und Marktteilnehmern wie -interessierten zeigt sich gerne und bleibt dennoch geheimnisvoll. Preise werden auf Nachfrage bekanntgegeben, Kaufende bleiben anonym. Verkaufsstrategien wie das Proklamieren „politischer Kunst“ werden augenscheinlich, der Kreis der Akteure jedoch für Beobachter verschlossen. Und es wird deutlich, dass „das ‚Unternehmen Galerie‘ langfristige Arbeit“ bedeutet, sagt Stephanie Regenbrecht. Denn „aus reiner Liebe zur Kunst kann man eine Galerie nicht erfolgreich führen“, resümiert Kati Renner abschließend.
Weitere Informationen über alle Aktivitäten und Reisen des Freundeskreises sowie zu den Restaurierungsprojekten finden Sie auf unserer Website:
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