Innenraum eines prunkvollen Eisenbahnwagens mit blauen Sitzpolstern und Goldverzierungen
RESTAURIERUNG / BAYERN

Ein Versailles auf Rädern

Nach sorgfältiger Restaurierung ist im DB Museum Nürnberg wieder der Hofzug Ludwigs II. zu bestaunen, ein Meisterwerk königlicher Extravaganz / Fabrice Braun, Fotografien Sorin Morar

Wenn sich die Türen des Salonwagens öffnen, betritt man eine andere Welt. Überall glänzt und glitzert es. Die Wände sind mit tiefblauem Seidendamast bespannt, dazwischen vergoldete Applikationen, Putten und Leuchter. Selbst die Notbremse leuchtet golden. Auf dem roten Teppich stehen vier Prunksessel mit gepolsterter Lehne, daneben ein opulentes Sofa. Die Türen sind verspiegelt und lassen den Raum wie in einem Spiegelsaal größer wirken als er ist. An der Decke hängen mehrere Gemälde, das größte zeigt Kinder aus vier Kontinenten – eine romantisierte Welt, wie Ludwig II. (1845–1886) sie so liebte.

Der bayerische König ließ 1870 den Salonwagen seines Hofzugs so umgestalten, dass er wirkte wie ein Versailles auf Rädern. „In jedem Detail zeigt sich hier Ludwigs Geschmack“, sagt Stefan Ebenfeld, Sammlungsleiter des DB Museums in Nürnberg.

Den Zug hatte Ludwig von seinem Vater Maximilian II. geerbt, als er 1864 dessen Nachfolger als bayerischer Regent wurde. Er ließ ihn im Stil des Sonnenkönigs Ludwig XIV. umbauen, den er verehrte. Überall im Wagen findet sich deshalb die bourbonische Lilie – ein Symbol, das Ludwig XIV. verwendete und Ludwig II. bewusst übernahm. Auf dem Dach ließ er eine riesige Krone anbringen, natürlich auch vergoldet.

Der ungewöhnliche Wagen spiegelt die Persönlichkeit Ludwigs II., seine Vorliebe für vergangene Epochen und sein Selbstverständnis als Monarch. Der Hofzug ist aber auch faszinierender Schnittpunkt zwischen Tradition und Moderne – ein im Stil des französischen Absolutismus gestaltetes Transportmittel, das gleichzeitig als das Symbol der industriellen Revolution galt.

Heute ist er das, man kann es nicht anders sagen, Glanzstück der Sammlung des DB Museums und ein Besuchermagnet. Schulklassen, Touristen und Eisenbahnfans drängen sich an die Fenster, um einen Blick auf das prächtige Interieur zu werfen. Das Innere dürfen sie nicht betreten, die Ausstattung ist zu empfindlich.

Das letzte Mal wurde der Hofzug 1953 restauriert, als das Museum nach dem Zweiten Weltkrieg wieder eröffnete. Während des Krieges hatten Bomben das Museum beschädigt, danach stahlen Plünderer viele Teile der Inneneinrichtung und mehrere Deckengemälde, die ersetzt oder neu erstellt werden mussten. Das blieb bis jetzt die letzte Überarbeitung des Wagens.

Nach mehr als siebzig Jahren war eine umfassende Restaurierung der Wagen dringend notwendig. Deshalb arbeiteten im vergangenen Herbst sieben Restauratoren und Restauratorinnen der Demmel Werkstätte aus München zwei Monate lang, um den Zug wieder auf Vordermann zu bringen – Fachleute für Holz, Textilien und Gemälde. „Es ging nicht darum, etwas neu zu machen – sondern darum, zu erhalten, was da ist“, sagt Julia Knöpfle-Richter, die als Restauratorin des DB Museums das Projekt geleitet hat.

In 660 Arbeitsstunden arbeitete sich das Team mit viel Feingefühl Zentimeter für Zentimeter durch den Salon- und den filigranen Terrassenwagen, die zusammen den Hofzug von Ludwig II. bilden. Die wertvolle Seidenbespannung an den Wänden, die Stoffe der Fensterrollos und die Polsterbezüge auf den Möbeln wurden genäht und gesichert, wo es sich als nötig erwies, aber nicht ersetzt. Diese Methoden verlangen viel Genauigkeit und Wissen über alte Stoffe.

Um den Staub von Jahrzehnten, der sich auf die vielen Vergoldungen gelegt hatte, auch aus den kleinsten Ritzen schonend zu entfernen, kam ein spezieller, fast wasserfreier Reinigungsschaum zum Einsatz. Mit einer Spritze trug der Restaurator den Schaum auf die vergoldeten Ornamente und Wappen auf, saugte ihn nach ein paar Minuten Einwirkzeit wieder ab und säuberte alles mit einem Pinsel. Eine besondere Herausforderung waren auch die monochromen, königsblauen Außenflächen der Wagen, die sich als sehr empfindlich erwiesen.

„Wir mussten einige konservatorische Abwägungen treffen: Wie weit geht man mit der Restaurierung? Welches Bild wollen wir damit erzielen?“, erklärt Julia Knöpfle-Richter. „Wir wollten keinen Wow-Effekt, sondern ein geschlossenes, gepflegtes Gesamtbild erreichen.“ Selbst die Spuren der früheren Restaurierung aus den Fünfzigerjahren wurden deshalb bewusst belassen.

Bei der Rekonstruktion damals wurden vor allem die Details in den Sichtachsen besonders akkurat wiederhergestellt – also dort, wo die Museumsbesucher genauer hinsehen konnten. Woanders wurde gespart, so fehlt etwa im Waschkabinett, in das man von außen nicht blicken kann, bis heute das Waschbecken. „Das haben wir nicht geändert, das ist schließlich Teil der Objektgeschichte.“ Nur an wenigen Stellen griffen die Restauratoren und Restauratorinnen stärker ein und setzten kleine Teile des Bodens neu ein oder rekonstruierten fehlende goldene Zierrondelle unter dem Dach des Terrassenwagens.

Bei der Restaurierung gab es auch unerwartete Entdeckungen, etwa beim königlichen Abort. Selbstverständlich liebte es Ludwig II. auch hier luxuriös: So ist der Toilettensitz mit einem Sitzring aus feinem Stoff gepolstert. Im Laufe der Zeit hatten Insekten das Naturmaterial angefressen. Bei den Arbeiten fand das Team darunter eine bislang versteckte Zierlasche, die ursprünglich eine Kante bedeckte. Sie sollte wohl verhindern, dass die hochherrschaftlichen Beine das schnöde Holz berühren mussten.

Dieser Hang zum übertriebenen, wohlwollend gesagt: märchenhaften Luxus war typisch für Ludwig II. und zeigte sich auch in seinen Schlössern in Neuschwanstein, Linderhof und Herrenchiemsee, in denen er eine absolutistische Ästhetik zelebrierte, die damals schon längst überholt war. Während die Industrialisierung das Land veränderte und Monarchen immer weniger Macht besaßen, schuf sich der bayerische Regent eine Traumwelt, in der sich alles immer noch um den König drehte. „Man redet immer von drei Königsschlössern in Bayern, zwei in Oberbayern, eins in Schwaben“, sagt Stefan Ebenfeld. „Doch es gibt noch ein viertes Schloss, das hier in Mittelfranken steht – das ist den meisten nur nicht bewusst.“

Wie bei seinen anderen Bauten griff Ludwig auch beim Hofzug stark in die Gestaltung ein. Weil ihm die Entwürfe des Architekten Friedrich Bürklein nicht gefielen, beauftragte er Franz von Seitz  (1817–1883) mit dem Umbau, den technischen Direktor des Münchner Hoftheaters, der auch Schloss Linderhof mitplante.

Der Wagen demonstriert auch die Technikbegeisterung des Monarchen. Wie in seinen Schlössern, in denen es schon sehr früh elektrische Beleuchtung, Telefonanlagen und sogar eine Wellenmaschine gab, war die Technik im Zug des Königs auf dem damals neuesten Stand. Er verfügte über eine moderne Dampf-heizung, die unter dem Sofa versteckt war, und war für Geschwindigkeiten von bis zu 100 Stundenkilometer ausgelegt.

Kein Wunder also, dass der Umbau des Zugs nach den Wünschen Ludwigs viel Geld kostete, alleine der Salonwagen verschlang 16.000 Gulden – fast dreimal so viel wie der ganze Neubau des Terrassenwagens gekostet hatte.

Obwohl Ludwig II. so viel in den Hofzug investierte, ist er wohl nur selten damit gefahren. Er nutzte die Wagen zwar 1866 für seine bekannte Reise nach Franken, als es ihm nach dem verlorenen Krieg gegen Preußen gelang, die Franken wieder für die bayerische Krone zu begeistern. Doch der Zug war damals noch deutlich schlichter und bei Weitem nicht so prunkvoll. Es gibt Hinweise darauf, dass der König für seine Fahrten noch einen zweiten Zug mit normalen, unauffälligen Wagen besaß, mit dem er lieber reiste als mit dem auffälligen Prunkzug, weil er unerkannt bleiben konnte. Der Glanz, in dem sich Ludwig zuvor so sonnen wollte, wurde zur Belastung für den menschenscheuen Regenten, der sich zunehmend zurückzog.

Einige Jahre nach dem Tod Ludwigs im Jahr 1886 wurden die Wagen noch einmal technisch modernisiert und erhielten eine Gasbeleuchtung, ein Drehgestell und eine Westinghouse-Druckluftbremse. Der Hofzug war damals zwar ständig betriebsbereit für das Königshaus, angeblich stand sogar immer eine Lokomotive unter Dampf, doch bewegt wurde er wohl kaum noch. Gesichert ist nur, dass 1889 der Schah von Persien mit dem Zug fuhr, als er zu einem Staatsbesuch nach Bayern kam. Nach dem Ende der Monarchie 1918 kam der Hofzug nach Nürnberg ins Museum. Im Jahr 1925 wurde er in der Ausstellung des neu eröffneten Verkehrsmuseums zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert.

Damit kehrte der Zug dorthin zurück, wo er 1860 von der Firma Klett & Co, der späteren MAN, erbaut worden war. Dafür, dass der ungewöhnliche Zug wieder in Nürnberg steht, gibt es auch noch einen anderen Grund: Die Stadt war einer der größten Standorte für den Eisenbahnfahrzeugbau in Deutschland. Hier wurde 1835 der allererste Eisenbahnwagen überhaupt in Deutschland konstruiert, und bis Anfang 2000 wurden in der Stadt noch ICE produziert. Insgesamt wurden mehr als 170.000 Fahrzeuge gebaut.

Die nächste Herausforderung nach der gelungenen Auffrischungskur für den Hofzug wird es jetzt sein, ihn einem noch größeren Publikum bekannt zu machen. Dafür soll es Kooperationen mit den Schlössern von König Ludwig geben. Einen Besuch wert ist er in jedem Fall:

„Dieser Zug ist Kunstwerk, Eisenbahnfahrzeug, Kulturgeschichte und persönliche, biografische Geschichte in einem“, schwärmt Stefan Ebenfeld. „Das haben Sie in so einer konzentrierten Form bei kaum einem anderen Objekt.“

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