Rückkehr der Heiligen

Als der 1492 geweihte Annenaltar nach der Säkularisation 1808 in die Frankfurter Museumssammlung gelangte, fehlte u. a. bereits die Heiligentafel der Außenseite (um 1503-1506 entstanden), die jetzt vom Historischen Museum Frankfurt mit Unterstützung der Kultur­stif­tung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Hessischen Kultur­stiftung und der Ernst Max von Grunelius-Stiftung angekauft werden konnte. In der Sammlung des Kunsthändlers Jacques Goudstikker seit 1928, wurde die Tafel als Teil seines Galeriebestands unter Zwang verkauft, nachdem Goudstikker auf der Flucht vor den Nationalsozialisten 1940 starb. Ein großer Teil der Goudstikker-Sammlung mit der Tafel des Annenaltars gelangte damals in den Besitz Hermann Görings. Die Frankfurter Tafel wurde nach dem Krieg von den Alliierten an die holländische Regierung übergeben, die die Sammlung Goudstikker im Jahr 2006 schließlich an die Erben des Kunsthändlers restituierte. Jetzt konnte die Tafel nach zweihundert Jahren wieder nach Frankfurt am Main zurückkehren.

Für das Historische Museum Frankfurt ein Glücksfall, kann es doch jetzt das frühe Hauptwerk des „Frankfurter Meisters“, das sich seit 1877 im Besitz des Museums befindet, wieder fast vollständig präsentieren – lediglich die zwei Predellentafeln befinden sich heute in der Staatsgalerie Stuttgart. Gerade die nun erworbene Außentafel verdeutlicht den enormen Einfluss des flämischen Meisters auf den Heller-Altar von Albrecht Dürer und Matthias Grünewald, der nur wenige Meter vom Annenaltar entfernt in der Frankfurter Dominikanerkirche 1509 aufge­stellt wurde – und der sich heute ebenfalls im Historischen Museum Frankfurt be­findet. Denn auf der zurückgekehrten Tafel, die zwei Patroninnen des Altars – die Heilige Cäcilie und die Heilige Ottilie – zeigt, finden sich zwei Motive, die Grüne­wald zu seiner Gestaltung der Heiligen des Heller-Altars inspiriert haben dürften. Der Meister aus Antwerpen hatte mit seiner trotz Typisierung lebendig wirkenden Darstellung der Figuren, die bei beschränkter Farbgebung nur Haut und Haare der Heiligen in natürlichen Farben wiedergibt, eine für Deutschland äußerst ungewöhn­liche Gestaltung in Frankfurt präsentiert. Der folgende große Einfluss der nieder­ländischen Meister auf die altdeutsche Kunst lässt sich jetzt durch die mögliche Gegenüberstellung umso deutlicher in Frankfurt nachvollziehen.

Der sogenannte Frankfurter Meister, der wahrscheinlich nie Frankfurter Boden be­trat, hatte Anfang des 16. Jahrhunderts eine Werkstatt von beträchtlicher Größe, die der immensen Nachfrage nach Werken des erfolgreichen Künstlers nachzu­kommen versuchte. Der Annenaltar jedoch reprä­sentiert noch ein seltenes Werk aus der frühen Schaffensphase, bevor in seiner Werkstatt in den folgenden Jahr­zehnten in serieller Produktion über 100 Werke schablonenartig hergestellt wurden.