Körper aus Wachs

Der Stiftung Deutsches Hygiene-Museum in Dresden gelingt mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und des Freundeskreises des Deutschen Hygiene-Museums der Ankauf eines wertvollen anatomischen Wachskabinetts für ihre Sammlung.

Das historische Ensemble, das seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu großen Teilen in Dresden entstanden ist, besteht heute noch aus mehr als zweihundert Objekten. Die Objekte dokumentieren alle Facetten dieser historischen Wanderkabinette, die in der Tradition der anatomischen Wachsbildnerei standen. Diese Spezial­disziplin entwickelte sich Ende des 17. Jahrhunderts mit dem Ziel, den Bau des ge­sunden menschlichen Körpers in seiner Gesamtheit und im Detail so natur­getreu wie möglich darzustellen. Die Wachsmodelle waren zunächst akade­mischen Kreisen und den fürstlichen Kunst- und Wunderkammern vorbehalten. Erst seit Beginn des 19. Jahrhunderts zählen anatomische Schauen zu den Instrumenten einer program­matischen Popularisierung der Naturwissenschaften.

Anatomische Wachskabinette waren meist auf die menschliche Anatomie und medizinische Themen spezialisiert. Sie wurden einem breiten Publikum in Aus­stellungshallen, aber auch auf Jahrmärkten präsentiert. Noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts reisten sie mit großem Erfolg quer durch Europa, gerieten dann aber mehr und mehr in Vergessenheit und wurden größtenteils aufgelöst. In

Deutschland sind aus derartigen Wachskabinetten heute nur noch verstreut einzelne Stücke in Museen und Sammlungen überliefert. Ein ähnlich vollständiges Ensemble wie das Dresdner ist nicht mehr vorhanden. Zur neu erworbenen Sammlung ge­hören ganzfigurige Übersichtsmodelle wie die „Anatomische Venus“ ebenso wie eine Fülle von Detailarbeiten etwa aus dem Bereich der Embryologie, Derma­tologie oder Venerologie. Hervorragend belegt ist in diesen qualitätsvollen Stücken die enge und intensive Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und hochspezia­lisierten Handwerkern.

Einzelne spektakuläre Figuren wie der „Schwertschlucker“ gehören einem populären Genre an, das vor allem für Jahrmarktsunternehmen um 1900 charakteristisch war. In ihnen gehen der Anspruch auf Vermittlung medizin­wissenschaftlicher Fortschritte und die Sensationslust des Publikums eine enge Verbindung ein. Auf diese Weise informierten und unterhielten diese „Wunder­kammern für das Volk“ über Jahrzehnte ihr Publikum, bis sie von moder­neren Medien abgelöst wurden.

Mit dem Erwerb dieser bedeutenden kulturhistorischen Sammlung wird die Ge­schichte der anatomischen Wanderkabinette ebenso bewahrt wie das heute nicht mehr existente Kunsthandwerk der anatomischen Wachsmodellierung. Für die Sammlung des Deutschen Hygiene-Museums stellt dieser Ankauf insofern einen ganz spezifischen Glücksfall dar, als die anatomischen Wachskabinette wissen­schaftsgeschichtlich betrachtet einen wichtigen Teilaspekt der Vorgeschichte der eigenen Institution markieren. Das Dresdner Museum war 1912 als eine Volks­bildungseinrichtung mit professionellen Visualisierungstechniken und Popularisie­rungsstrategien gegründet worden. In seiner Gründungsphase bediente sich das Museum einerseits jener Künstler und Manufakturen, die mit ihren Produkten zuvor die anatomischen Schauen beliefert hatten; andererseits bedeutete die Ver­wissenschaftlichung, Versachlichung und Institutionalisierung der Vermittlung von Körperwissen, die das Deutsche Hygiene-Museum dann praktizierte, den Anfang vom Ende der medizinischen Lehrschau als Nervenkitzel, wie sie in den Wachs­kabinetten üblich war. Exakt dieser Umschlagpunkt ist mit der jetzt angekauften Sammlung perfekt dokumentiert.

Die einzelnen Sammlungsstücke befinden sich in einem sehr unterschiedlichen Erhaltungszustand. In den nächsten Monaten werden die Neuerwerbungen darum zunächst eingehend begutachtet und der Bedarf an konservatorischen und restaura­torischen Maßnahmen ermittelt. Voraussichtlich im Jahr 2012 soll das anatomische Wachskabinett in einer Sonderausstellung im Deutschen Hygiene-Museum präsentiert werden.

Im Rahmen des KUR-Programms zur Konservierung und Restaurierung von mobilem Kulturgut, das die Kulturstiftung der Länder gemeinsam mit der Kultur­stiftung des Bundes aufgelegt hat, werden momentan die in der Sammlung bereits vorhandenen Wachsmoulagen des Dresdner Hygiene-Museums bearbeitet. Das Deutsche Hygiene-Museum Dresden besitzt mit 2.000 Objekten eine der weltweit größten Sammlungen naturnaher Wiedergaben von Krankheitsbildern in Wachs, so genannten Moulagen. Die heute noch in europäischen Museums- und Universitäts­sammlungen vorhandenen kultur- und medizinhistorisch wertvollen Bestände sind vielfach in einem gefährdeten Zustand. Erst langsam entsteht das Bewusstsein dafür, dass es sich um einzigartiges Kulturgut handelt, für dessen langfristige Erhaltung es fachgerechter, wegweisender Konservierungskonzepte bedarf.

Das KUR-Projekt entwickelt ein innovatives Verfahren zur Konservierung und Restaurierung von Moulagen und setzt es an den Objekten der Sammlung des Deutschen Hygiene-Museums um. Es geht dabei darum, Richtlinien zur Kon­servierung und Restaurierung von Moulagen herauszuarbeiten und auf dieser Grundlage ein Weiterbildungsangebot – insbesondere für die Betreuer von Moulagensammlungen – zu entwickeln. Eine internationale Fachtagung mit dem Titel „Wachsmoulagen als Kulturgut. Erforschen ­– Erhalten und Restaurieren“ wird am Abend des 24. Septembers im Dresdner Hygiene-Museum eröffnet.