Brüche und „Brücke“

Liebe Leserin, lieber Leser,

vier Jahre ist es her, dass die Kulturstiftung der Länder gebeten wurde, das Auswahlverfahren für die „Kulturhauptstadt Europas“ 2010 zu übernehmen, die in diesem Jahr auch eine deutsche Stadt sein sollte. Die Reise unserer Jury führte uns in zehn Städte, die sich um den Titel bewarben: Braunschweig, Bremen, Görlitz, Halle an der Saale, Karlsruhe, Kassel, Lübeck, Potsdam, Regensburg und Essen – alles einzigartige Städte, reich an Kultur, an Geschichte, aber auch an Brüchen, und alle mit dem Wunsch oder der Notwendigkeit, sich für die Zukunft zu rüsten. Unseren Favoriten fanden wir schließlich einmütig: Essen, das sich stellvertretend für das Ruhrgebiet beworben hatte.

Denn „Essen für das Ruhrgebiet“ machte uns deutlich, welch entscheidende Bedeutung der Kultur in dem Prozess des Wandels von der Industrie- zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft zukommt. Exemplarisch, wie wir fanden, für die enormen ökonomischen, ökologischen, sozialen und städtebaulichen Probleme, vor denen viele europäische Städte stehen, die einstmals von der Schwerindustrie genährt und dann verzehrt wurden.

Zweifelsohne war es der Neubau des Museum Folkwang, mit dem sich die Kulturhauptstadt Europas in diesem Jahr einen Höhepunkt bescherte. In einem beispiellosen Akt hatte die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung die Finanzierung des Gebäudes zugesagt – und mit der Eröffnungsausstellung „Das schönste Museum der Welt“ knüpfte das Haus an seine glanzvolle Geschichte als eines der ersten Museen für die Kunst der Moderne an. Doch Freude und Wehmut mischten sich bei dieser Schau: Denn manches Meisterwerk, das früher das Museum schmückte, musste aus aller Welt (zurück)geborgt werden: Essen hatte es im nationalsozialistischen Bildersturm verloren.

Um so glücklicher ist die Kulturstiftung der Länder, dass wir dabei helfen konnten, ein herausragendes Gemälde von Karl Schmidt-Rottluff für das Museum Folkwang zu erwerben: Das Bild „Haus und Bäume“ von 1912 zeigt auf eindrucksvolle Weise die Auseinandersetzung mit französischen Vorbildern, vor allem dem Kubismus, und schließt insofern nicht nur eine Lücke in der Essener Sammlung, sondern schlägt auch eine Brücke zu anderen Werken der klassischen Moderne im Museum.

Und eben diese wunderbare Brücke ist es denn auch, die den „Brücke“-Schwerpunkt unserer Herbstausgabe von Arsprototo einläutet. Denn nicht nur Essen, sondern auch das Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Oldenburg und das Max Beckmann Archiv in München können sich über herausragende Zuwächse von Kunstwerken und Dokumenten aus dieser Malervereinigung freuen. Während im Norden der Erwerb von Erich Heckels farbenfrohem „Mittag in der Marsch“ gelang, konnten im Süden über 1.000 Briefe an den Expressionisten-Sammler Carl Hagemann gesichert werden.

Mir bleibt, Ihnen einen schönen Herbst zu wünschen und ab Seite 52 Sebastian Preuss’ kulturellen Streifzug durch Berlin zu empfehlen, mit dem wir nach 16 Ausgaben von Arsprototo unseren Gang durch die Kunst und Kultur der 16 Länder Deutschlands beschließen wollen. Doch auch im Winterheft von Arsprototo werden Sie den Ländern auf neue Weise wiederbegegnen

Ihre Isabel Pfeiffer-Poensgen