Aus Berlin nach Berlin
Liebe Leserin, lieber Leser,
wohl selten ist eine Ausstellung einer Stadt so im Gedächtnis geblieben wie „Lotte Laserstein – Meine einzige Wirklichkeit“ im Berliner Ephraim-Palais 2003. „Lotte wer?“, hörte man damals nur allzu oft – der Name dieser Künstlerin war nicht nur in der Hauptstadt nahezu unbekannt. Und das nicht von ungefähr. Denn der Nationalsozialismus hatte nicht nur physisch vernichtende Folgen: Auf die Zerstörung folgte das Vergessen. So hat man jene Künstler, deren Anfänge in den zwanziger Jahren lagen und deren junge Karrieren die Machtergreifung Hitlers zerstörte, mit Recht die „verschollene Generation“ genannt. Selbst wer lebend durch das „Dritte Reich“ gekommen war, in innerer oder äußerer Emigration, fand nach 1945 nicht zur alten künstlerischen Kraft zurück.
So erging es auch Lotte Laserstein. Ihre vielversprechenden Anfänge endeten jäh im schwedischen Exil, wo sie bis 1993 lebte und sich mit Auftragsarbeiten, meist Porträts, über Wasser hielt. Doch was hatte sie bis zu ihrer Flucht nicht alles geschaffen! Meisterliche Bildnisse, messerscharf beobachtet und melancholisch zugleich, hoch realistisch und doch artifiziell, niemals aber kühl oder karikierend. Eindeutig kann in ihrem Œuvre dabei das Hauptwerk benannt werden: Der großformatige „Abend über Potsdam“, den Laserstein ins Exil rettete und als schmerzhafte Erinnerung an vergangene Tage in „Meine Freunde“ umbenannte. Erst gegen Ende ihres Lebens trennte sie sich von dem Bild, notgedrungen, denn eine Verkaufsausstellung in London konnte und sollte nur dann stattfinden, wenn die Malerin auch ihr Hauptwerk dort feilbot. Hierauf gelangte das Bild in Privatbesitz und dann, im Juni dieses Jahres, auf eine Auktion von Sotheby’s. Die Kulturstiftung der Länder ist stolz und glücklich, dass sie die Erwerbung für die Sammlung der Berliner Nationalgalerie anstoßen, koordinieren – und auch mitfinanzieren – konnte.
Parallel hierzu wirkten wir auch für die Sammlung der Alten Nationalgalerie. Denn just im selben Monat bot Christie’s mit Constantin Meuniers monumentalem „Sämann“ eine der Hauptattraktionen moderner Plastik aus den Berliner Beständen an – nachdem die Staatlichen Museen zu Berlin die Statue an die Erben des in der sowjetischen Besatzungszeit unrechtmäßig enteigneten Sammlers Otto Krebs zurückgegeben hatten. Nach kurzem Zwischenstopp in London sät der Sämann nun wieder im Kolonnadenhof auf der Museumsinsel und erinnert damit auch an den großen belgischen Bildhauer, der seinerzeit berühmt war wie sonst nur Rodin und auch von der Berliner Künstlerschaft um 1900 gefeiert und geschätzt wurde. Lotte Laserstein, Constantin Meunier und seinem Sammler Otto Krebs wollen wir denn auch den Schwerpunkt in der letzten Ausgabe von Arsprototo im Jahr 2010 widmen.
Mir bleibt, Ihnen und Ihren Familien ein schönes Weihnachtsfest und einen glücklichen Jahreswechsel zu wünschen! Und: Ihnen ab Seite 58 Uta Baiers Porträt des Bildhauers Ewald Mataré in Nordrhein-Westfalen zu empfehlen – der erste Artikel unserer neuen Serie. Denn nachdem wir in den vergangenen 16 Heften das kulturelle Leben in den Ländern von früher bis heute haben Revue passieren lassen, möchten wir Ihnen in den kommenden Ausgaben von Arsprototo jeweils eine Künstlerpersönlichkeit vorstellen, die ihrem Land auf ihre Weise ein Gesicht gegeben hat – und sich (wieder-)zu entdecken lohnt.
Ihre Isabel Pfeiffer-Poensgen