Unter Schwestern

Im reizvollen Gegensatz porträtiert, sind die Schwestern einander dennoch zugewandt: 1762 inszenierte der aus Berlin stammende Georg David Matthieu (1737–1778) Magdalena Charlotte Stegemann (geb. Olthoff) und ihre jüngere Schwester Anna Regina Olthoff in prächtiger allegorisch-mythologischer Kostümierung – einerseits die treusorgende Mutter mit Kind in Erscheinung einer Vestalin, andererseits die dem Tanz und der Musik zugeneigte Unvermählte als Bacchantin. Die aller Wahrscheinlichkeit nach als Pendants angelegten, in vergoldete Rocaille-Rahmen eingefassten Gemälde sind Würdigungen der Geschwister des damaligen amtierenden Oberregierungsrats von Stralsund Adolf Friedrich von Olthoff (1718–1793).

Als Unternehmer und Politiker leistete sich der schwedisch-pommersche Regierungsrat Olthoff einen großzügigen Lebenswandel, der ein beachtliches Mäzenatentum einschloss: 1762 lud er Matthieu und den befreundeten Maler Jakob Philipp Hackert nach Stralsund ein, wo letzterer einen Saal in Olthoffs Stadtpalais mit sechs wandgroßen, bis heute erhaltenen Landschaftsbildern ausstattete. Matthieu widmete sich den Porträts mehrerer Familienmitglieder Olthoffs – neben den Bildnissen der Schwestern entstand auch ein Porträt von Olthoff selbst mit Pelz und türkischem Turban, das als verschollen gilt. Die bereits verheiratete Schwester Magdalena Charlotte malte Matthieu zusammen mit ihrer Tochter Anna Magdalene und hüllte sie in ein weißes Seidenkleid mit Schleier. Ihre Darstellung als antike Figur der Vestalin spielt allegorisch auf ihre häusliche Mutterrolle an: Ganz wie eine Vestalin – eine Opferpriesterin der römischen Göttin Vesta, die das Herdfeuer des Tempels hütet – verhindert Magdalena Charlotte das Erlöschen der Flammen, fächert mit Hilfe eines kostbar glänzenden Tellers einem Feuer Luft zu, das in einem reichverzierten Altar brennt. Die jüngere Anna Regina dagegen tritt als lebenslustige Bacchantin auf: In einem grün-violett schimmernden Seidenkleid, an dessen Dekolleté ein Pantherfell appliziert ist, lehnt sie an einem Mauerpodest auf dem üppige Weintrauben überborden und ein goldener Weinpokal glänzt. In der erhobenen rechten Hand hält sie, wie zum Tanze auffordernd, ein Tamburin – der Putto am vorderen linken Bildrand scheint ihrer Aufforderung nachzukommen. Ihre Linke umgreift einen weinlaubumrankten, von einer Artischocke oder einem Pinienzapfen bekrönten Thyrsosstab. Matthieu scheint in seiner Darstellung der jüngeren, noch unverheirateten Schwester den verspielten Gegensatz zur Älteren betonen zu wollen: Als Bacchantin – eine Anhängerin des Weingottes Bacchus – verbildlicht sie, statt der häuslich-weiblichen Rolle eher das heitere Temperament der Junggesellin. Diese Form des Porträts, des portrait historié, das die dargestellten Personen in mythologische oder historische Figuren übersetzte, erfreute sich um 1750 auch in Norddeutschland – besonders im Zuge der sich durch die Aufklärung nivellierenden Standesunterschiede – großer Beliebtheit. Die Abgebildeten, wie in diesem Falle die nicht adlig geborenen Schwestern Olthoff, erfuhren durch diese Art der Darstellung eine Würdigung, wie sie in der Kunstgeschichte zuvor nur dem Adel vorbehalten war.

Matthieu, der vor allem bei seinem Vater David Matthieu (1697–1755) gelernt hatte, aber auch von seiner Stiefmutter Barbara Rosina Lisiewska (1713–1783) beeinflusst war, trat 1764 als Hofmaler in den Dienst von Herzog Friedrich von Mecklenburg in der Residenz Ludwigslust, wo er bis zu seinem Lebensende 1778 arbeitete. Die beiden Porträts demons-trieren den Beginn von Matthieus Tätigkeit als Auftragsmaler und lassen den französischen Stil des Berliner Rokokos erkennen. Matthieus leichte, lockere Pinselführung, seine feinen Farbnuancen und die genaue Wiedergabe der kostbaren, stofflichen Texturen zeichnen ihn als einen der bedeutendsten Rokokomaler Deutschlands aus.

Niemals zuvor verkauft, gelangen die über 200 Jahre im Besitz der Olthoff’schen Nachkommen verbliebenen Matthieu-Gemälde nun mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern sowie der Ernst von Siemens Kunststiftung in das Stralsund Museum, wo sie aufgrund ihrer regionalhistorischen Bedeutung einen wichtigen Zuwachs für die Sammlung darstellen.