Triptychon im Stahl

Ein komplexes Spiel zwischen Distanz und Nähe, Flüchtigkeit und Beständigkeit verbirgt sich hinter Katharina Sieverdings Hommage an ihren Lehrer, den Kunststar Joseph Beuys. Die Arbeit „Kontinentalkern IV“ (1986/2013), basierend auf einer Fotografie eines Fernsehbildes aus einem TV-Interview von Beuys anlässlich seines gefeierten Japan-Besuchs 1984, offenbart erst auf den zweiten Blick ihre Vielschichtigkeit. Durch zahlreiche Verschachtelungen von Abbildern und Rahmungen kreierte die Multimedia-Virtuosin Sieverding, die von 1967 bis 1971 bei Beuys studierte, ein monumentales Triptychon von 337 x 420 cm.

1986 schuf Sieverding die ursprüngliche Fotografie anlässlich des 65. Geburtstags des kurz zuvor verstorbenen Künstlers, die erst- und in dieser Form einmalig im Münchner Lenbachhaus in der Ausstellung „Beuys zu Ehren“ gezeigt wurde. Im abfotografierten TV-Still bleibt das Antlitz Joseph Beuys‘ trotz starker Vergrößerung und tiefsitzendem Hut unverkennbar. Ein flüchtiger Moment der Gegenwart, gebannt für die Ewigkeit. Die Untertitelung in japanischen Schriftzeichen des gerade Gesagten – „nämlich etwas, daß man heute in der materiellen Begrifflichkeit nicht fassen kann“ – verweist auf Beuys‘ Kritik am materialistischen Denken, die Sieverdings Œuvre stark beeinflusst. Eingefasst in einen Stahlrahmen, von einem schimmernden Drahtnetz vergittert, fotografierte die Künstlerin das Foto vor dunklem Hintergrund erneut. Für die Fassung von 2013, die nun im Museum Schloss Moyland bewundert werden kann, rahmte Sieverding jenes Bild im Bild als Triptychon monumentalen Ausmaßes und verlieh dadurch dem Abbild ihres Mentors ein weiteres, verfremdendes „Gitter“. Solch großdimensionierte Fotografien charakterisieren insbesondere ab den 70er Jahren das Schaffen der 1944 in Prag geborenen Künstlerin, die durch jeweils individuelle Bearbeitungsprozesse und Präsentationsformen aus Fotoarbeiten Unikate entstehen lässt.

Die verschiedenen, übereinander gelagerten Abbildungsstufen in „Kontinentalkern IV“ kommentieren raffiniert Möglichkeiten und Grenzen der Wirklichkeitsreproduktion. Foto um Foto, Rahmen um Rahmen, Gitter um Gitter wird die vom Porträt ausgehende Verbindung zum Betrachter transformiert. Schließlich zwischen Be- und Entzug, Verbindung und Entfremdung oszillierend, fordert die experimentelle Arbeit Sieverdings den Betrachter heraus, die eigene Stellung zum Werk zu reflektieren. Im wahrsten Sinne des Wortes: In der Hochglanzoberfläche der finalen Rahmung spiegelt sich der Betrachter wider. Er wird zwangsläufig Teil des Bildes, dennoch scheint das Werk fern und fremd durch die unüberwindbare optische Irritation der eigenen Reflektion.

Mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Kunststiftung NRW sowie der Familie Bösken-Diebels gelangt nun erstmals ein großformatiges Werk der international anerkannten Beuys-Schülerin Katharina Sieverding in das Museum Schloss Moyland. Zurückgehend auf die Sammeltätigkeit der Brüder Hans und Franz Joseph van der Grinten verfügt das Museum über die weltweit größte Beuys-Sammlung. Als wichtige Position der zeitgenössischen Kunst bereichert Sieverdings „Kontinentalkern IV“ von nun an den Sammlungsstrang der von Joseph Beuys beeinflussten Künstlerinnen und Künstler, der unter anderem Reiner Ruthenbeck, Norbert Tadeusz, Jörg Immendorff und Inge Mahn umfasst.