Christi Heimkehr
Es galt blitzschnell zu handeln, als das Londoner Auktionshaus Bonhams zur Versteigerung eines fränkischen Gemäldes des ausgehenden 15. Jahrhunderts rief – in der Fachwelt galt das Auftauchen der fast unbekannten Kreuzigungsszene eines anonymen Meisters als Sensation. In einer von der Kulturstiftung der Länder koordinierten Aktion glückte dem Germanischen Nationalmuseum der Erwerb der wohl um 1490 in Nürnberg oder Bamberg entstandenen Altartafel, die für über 160 Jahre in verschiedenen Privatsammlungen verschwunden war und von der bisher lediglich eine historische Schwarz-Weiß-Fotografie bekannt war.
Der stillen Marienklage beim Erlösertod antworten die hämischen Blicke der Peiniger des Gottessohnes: Die 144 x 142,5 cm messende Tafel zeigt einen sogenannten Volkreichen Kalvarienberg – die Meistererzählung des christlichen Glaubens und eine Königsdisziplin der Malerzunft jener Zeit. Als gemaltes Figurentheater verdichten Kalvarienberge das Passionsgeschehen zu einer dramatischen Kreuzigungsszene. Ein der Forschung noch unbekannter Künstler aus dem Umkreis der Werkstatt Wolfgang Katzheimers (1450–1508) – bedeutendster Maler des spätmittelalterlichen Bambergs – inszenierte die ursprüngliche Mitteltafel eines kostbaren Altaraufsatzes. Deutlich ließ er sich dabei von den anspruchsvollen Kompositionen und Motiven Hans Pleydenwurffs (um 1420–1472) anregen, der den innovativen Realismus niederländischer Malerei nach Nürnberg importierte. Malerisch setzte der Künstler jedoch zukunftsweisende Akzente: Mit exquisitem Pinselstrich verlebendigte er das biblische Personal mittels ausdrucksstarker Gesichtszüge; er beschrieb mit feinmalerischer Finesse den Faltenwurf der Gewänder und die detailreiche Landschaft im Bildhintergrund – allesamt intensiv studierte Vorbilder für die originellen Bildfindungen des jungen Albrecht Dürer (1471–1528), der sich vermutlich vom Gemälde inspirieren ließ. Es überrascht daher kaum, dass die hochkarätige Tafel bis ins frühe 20. Jahrhundert als ambitioniertes Frühwerk des Nürnberger Künstlers Dürer galt.
Glückliche Rückkehr nach Nürnberg: Das erworbene Altargemälde ist nach 165 Jahren mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung und der Rudolf-August Oetker-Stiftung wieder an seinem vermutlichen Entstehungsort Nürnberg zu bestaunen. Ab 1816 befand es sich in der Kunstsammlung von Friedrich Campe (1777–1846) – einem Nürnberger Buchhändler, Verleger und Kunstschriftsteller; 1849 gelangte die Tafel auf einer Londoner Auktion in englischen Privatbesitz, von dort schließlich im Jahr 1972 in die deutsche Sammlung Gustav Rau.
Vorerst präsentiert wird das fränkische Meisterwerk im Nürnberger Germanischen Nationalmuseum nur bis zum 2. Mai. Danach werden Wissenschaftler in Kooperation mit dem hauseigenen Institut für Kunsttechnologie und Konservierung versuchen, den Rätseln des Bildes auf die Spur zu kommen. Seine kunsthistorische Bedeutung wird erstmals umfassend im laufenden Forschungsprojekt „Die Deutsche Tafelmalerei des Spätmittelalters“ geklärt. Mit dem Erwerb bereichert das Museum seine breite Sammlung spätgotischer Gemälde um ein fränkisches Hauptwerk des ausgehenden 15. Jahrhunderts – einer wenig erforschten Etappe beim Aufstieg der Nürnberger Kunst zur weltweiten Geltung.